Der Elch an meinem Bett
NORR-Chefredakteurin Karen Hensel befindet sich täglich auf einer Elchsafari.
Als ich klein war, verbrachte ich einen Sommer mit meinen Eltern in Småland. Meine Erinnerungen sind von einem Gegenstand geprägt, den ich pausenlos mit mir führte: einem Fernglas. Ich wollte unbedingt einen Elch erspähen. Die Tiere faszinieren mich, seit ich denken kann: Ihre Oberlippen, die weit über die Unterlippen hängen, und die riesigen Buckel auf den Schultern der Bullen, an dem die Muskeln ansetzen, die das 20 Kilogramm schwere Geweih tragen, beeindrucken mich. Die maximal 10 Zentimeter langen Schwänze finde ich possierlich. Dass sowohl Männchen als auch Weibchen Bartträger mit einem 25 Zentimeter langen Kinnflaum sind, ist mir sympathisch.
Täglich zogen wir also los, schlichen durch Wälder und warteten an Lichtungen – vergebens. Da ihnen meine Betrübnis leid tat, versuchten mir meine Eltern einzureden, dass die Silhouette, die sich am letzten Abend in der Ferne zeigte, ein Elch sei – ich wusste, dass es ein Felsen war. Damals hatte ich keinen Schimmer, dass ich einmal selbst in Schweden leben und sich alles ändern würde.
Wenn ich heute aufwache, stolziert regelmäßig eine Elchkuh vor unserem Haus umher, die sich für unsere Äpfel interessiert – auf perfekter Fresshöhe von zwei Metern, denn Elche können nur schlecht Dinge vom Boden aufklauben. Manchmal kommt sie dabei so dicht ans Fenster, dass wir uns in die Augen sehen. Neulich ertappte ich einen Elchbullen dabei, wie er sich an den saftigen Zweigen im Garten eines Nachbarn gütlich tat. Als ich im Sommer im Kanu unterwegs war, sprang ein junger Elch vor mir in den Fluss und hievte sich auf der anderen Seite umständlich ans Ufer.
Ich bin der festen Überzeugung, dass meine hochfrequenten Elchbegegnungen damit zu tun haben, dass ich sie mir als Kind mit aller Kraft herbeisehnte. Vielleicht stehe ich heute unter einer Art magischem Elch-Bann. Doch obgleich Elche nun fast zu meinem Alltag gehören, freue ich mich jedes Mal wieder wie ein kleines Kind und betrachte sie Ewigkeiten voller Dankbarkeit, ohne Fernglas, oft aus meinem Bett. Auch wenn sie dabei die gesamten Apfelbäume leerfuttern. Es sei ihnen gegönnt.