Lebensweisheit in Nebelschwaden

Umzukehren, war noch nie meine Stärke. Schon als Kind, so berichtet meine Mutter, kämpfte ich mich verbissen zu jedem noch so weit entfernten Gipfel hoch. Stoischen Schrittes war ich nicht zu bremsen, auch wenn meine Schwestern bereits auf der Hälfte umdrehen wolllten, um sich lieber eine Brause auf der Alm zu gönnen. Als wir einmal aufgrund eines Gewitters gezwungen waren, den Abstieg anzutreten, weinte ich Krokodilstränen, da ich mich nicht im Gipfelbuch verewigen konnte.

Wohlwollend könnte dieser rigide Charakterzug noch als Beharrlichkeit gewertet werden. Doch im vergangenen Sommer wurde er mir zum Verhängnis. Ich wanderte mit meiner besten Freundin Caro auf einen Bergkamm der Färöer Inseln, den wir noch nicht einmal zu einem Drittel erklommen hatten, als der Himmel zuzog. Caro linste besorgt nach oben. Bereits witternd, dass sie versuchen könnte, mich zum Umkehren zu überreden, verwickelte ich sie in zunehmend konfusere Gespräche. Nebel stieg auf und Caro merkte vorsichtig an, dass der Weg zurück ins Tal vielleicht die bessere Alternative sei. Da für mich aber nur noch zählte, das Dorf auf der anderen Seite zu erreichen, überspielte ich ihre Einwände immer gerissener.

Wenig später konnten wir die Markierungen, die uns den Pfad über dieses steil zu beiden Seiten abfallende Gelände hätten weisen sollen, nicht mehr ausmachen. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als uns hinter einen Stein zu kauern. Während wir verzweifelt dort ausharrten, musste ich irgendwann über die Worte der Psychologin Susan A. David nachdenken, die ich einmal gelesen hatte: dass das Losmachen von einem Ziel und das Anfreunden mit einer Alternative durchaus neue Möglichkeiten eröffnen und zu persönlichem Wachstum verhelfen kann.

Seither probiere ich, den Glaubenssatz zu beherzigen, dass abbrechen nicht gleich aufgeben ist, sondern nur die Verschiebung des Ziels. Gänzlich habe ich es noch nicht geschafft, aber ich gebe alles, um da anzukommen. Oder besser gesagt: Ich versuche von nun an, nur so weit zu gehen, bis ich spüre, dass eine Brause auch eine Option wäre.