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In der letzten NORR-Winterausgabe suchte Björn Klauer Mitstreiter und Nachfolger für seine Husky-Farm im nordnorwegischen Innset. Wir haben ihn und seine Frau Regina im einsamen Fjell besucht und zwei Kandidaten kennengelernt.
Mein Herz schlägt heftig und die Finger zittern, als ich die Hand zur Sicherungsleine führe, um sie zu lösen. Acht Grönland-Huskys zerren wie wild an meinem Schlitten, springen und bellen, als ginge es um ihr Leben. Mit aller Kraft presse ich die gusseiserne Bremse mit beiden Füßen in den Schnee. Dann schiebe ich die eiserne Schnalle zurück – und die erste Schlittenhundefahrt meines Lebens beginnt.
Wir jagen über die hölzerne Brücke, vorbei an der tief eingeschneiten Kapelle, den kleinen Abhang hinunter auf den zugefrorenen Fluss und durch den Birkenwald. Ich bremse und schreie und schreie und bremse. Kontrolle fühlt sich anders an. Wo der Waldweg schräg auf die geräumte Straße trifft, passiert, was nicht passieren soll: Der Schlitten kippt um. Ich kralle mich fest am Griff und der Anker bremst zum Glück unsere Fahrt. Die Hunde bleiben stehen und drehen sich zu mir um, wie ich so daliege, schreckerschlagen. Sechzehn Augen blicken mich an und scheinen zu fragen: »Wer bist du denn eigentlich?« Und ich denke: »Wahrscheinlich nicht der Husky-Farmer, den ihr sucht.«
Huskyfarm sucht Huskyfarmer
Ich bin mit Henry, sechs Jahre und Hundeliebhaber, in Innset, einem winzigen Örtchen mit acht Einwohnern in der nordnorwegischen Gemeinde Bardu. Wir sind zu Gast bei Regina Elpers und Björn Klauer, die hier, in der einsamen weiten Fjelllandschaft nahe der norwegisch- schwedischen Grenze, ihre Husky-Farm betreiben. Unser Besuch hat einen besonderen Hintergrund: Im vergangenen Winter hatte sich Björn mit einem etwas anderen Leserbrief an die NORR-Redaktion gewandt. Seit 25 Jahren betreibe er auf dem Bergbauernhof in Innset seinen Schlittenhundebetrieb, nun suche er jemanden, der ihn und Regina bei der täglichen Arbeit unterstützen und sich vorstellen könne, langfristig den Betrieb mit 65 Hunden zu übernehmen. Das klang nach einer spannenden Casting-Geschichte, die wir gerne in NORR verfolgen wollten. Was sind das für Menschen, die in ein einsames Tal im norwegischen Fjell ziehen wollen, um dort mit Schlittenhunden zu arbeiten? Und was müssen sie mitbringen, damit aus einem solchen Traum auch Realität wird?
Wir veröffentlichten Björns Anliegen unter dem Titel Husky-Farm sucht Husky-Farmer in der NORR-Winterausgabe 2016, auf unserer Web- und Facebookseite. Die Resonanz war enorm. Der Beitrag wurde wild geteilt, unter anderem von Visit Norway und Globetrotter, und Björn mit Bewerbungen überhäuft. »Da waren schon ziemlich viele Träumer dabei«, so der Husky-Farmer, »aber auch ein paar richtig gute Kandidaten, die Erfahrung mit Hunden haben, sich in der Natur auskennen und verstehen, was es heißt, selbstständig so einen Betrieb zu schmeißen.«
Casting auf dem Hundeschlitten
Zwei davon sind Annett und Gerald aus der Nähe von Ulm, die gerade auf einer Husky-Farm im schwedischen Sorsele arbeiteten, als ihnen dort die NORR-Ausgabe mit Björns Aufruf in die Hände fiel. Sie meldeten sich direkt. Beide sind selbstständige Natursteinleger, nehmen sich aber immer wieder Auszeiten von ihrer eigentlichen Tätigkeit und arbeiten für ein paar Monate etwa auf einer Sennerei in den Schweizer Alpen – oder eben auf einer Husky-Farm im Norden. Warum nicht gleich eine übernehmen? An diesem Mai-Wochenende sind sie ebenfalls mit uns in Innset.
Am Morgen, bei der Tourvorbereitung auf dem Hof, sind wir uns das erste Mal begegnet. Es dauerte nicht lange, bis ich verstehe, wie sehr sie sich in dieser Welt zu Hause fühlen. Routiniert bereiteten sie ihre Schlitten vor und ließen sich von Regina in den Charakter der Tiere sowie die Route des Tages einweihen. Sicher holten sie die enthusiastischen Hunde aus den Boxen und machten sie an ihren Schlitten fest. Als zwei Gespanne beim Start ineinander gerieten, dauerte es nur Sekunden, bis Gerald sein Gefährt verankert hatte, um mit Regina zusammen die kämpfenden Hunde zu trennen – wie selbstverständlich.
Nun gleiten wir gemeinsam über den Altevatn, den großen zugefrorenen Stausee oberhalb von Innset – vor mir Regina und die beiden Ulmer, hinter mir Sandra aus der Schweiz, die letzte Besucherin dieser Saison, und Eric, ein Handwerker aus Baden, der den ganzen Winter lang auf der Huskyfarm als Mann für alles gearbeitet hat. Henry ist mit Björn und der Hundetrainerin Corinna auf dem Hof geblieben. Sie wollen Würstchen stopfen, Brot backen, Holz stapeln und eine eigene kleine Tour in der näheren Umgebung machen.
Nach dem aufregenden Start und einem längeren Anstieg, bei dem die Hunde immer wieder unsere Hilfe brauchen, kann ich mich endlich entspannen. Inzwischen habe ich gelernt, mein Gewicht so zu verlagern, dass der Schlitten auch in die – von mir – gewünschte Richtung fährt und meine Kommandos so einzusetzen, dass mein tierisches Team mich ernst nimmt. Mit dem rhythmischen Hecheln in den Ohren lasse ich die Landschaft auf mich wirken.
Auf beiden Seiten des Sees baut sich das schneebedeckte Fjellmassiv auf – eine gewaltige und grenzenlose Natur, in der ich mich klein und ehrfürchtig fühle. Das Tal hier wird eingerahmt von zwei Nationalparks: dem Øvre-Dividal im Norden und dem Rohkunborri im Süden. Tage- und wochenlang kann man hier einsam in der Wildnis unterwegs sein, mit dem Hundeschlitten oder auf Skiern, mit Schnee- oder im Sommer mit Wanderschuhen.
Björn im Glück
Es ist diese Landschaft, die Björn Klauer vor über zwanzig Jahren zu seiner Heimat machte. »Um hier zu landen, musste ich erst einmal Norwegen der Länge nach durchwandern«, hatte er mir gestern Abend beim Rotwein erzählt. 3 500 Kilometer und zwölf Monate lang war der Hamburger Abenteurer damals von Oslo bis nach Kirkenes an der russischen Grenze gelaufen und hatte sich anschließend in Nyksund auf den Vesterålen niedergelassen, rund 300 Kilometer von seinem heutigen Heimatort Innset entfernt.
»Da gab es dann jemanden, der mich fragte, ob ich nicht seine Schlittenhunde übernehmen wollte. So ist es wohl mit mir und den Hunden – die landen irgendwie bei mir.« Wenn Björn so redet, dann vermittelt er den Eindruck, als würden die Dinge in seinem Leben überhaupt immer »irgendwie bei ihm landen«.
Einfach so. Als sei er ein Björn im Glück, dem immer zum richtigen Zeitpunkt das Richtige passiert. Als habe er den idyllischen Berghof hier am Tor zur atemberaubenden Wildnis im Jahr 1988 aus purem Zufall gefunden. Als treffe er immer zufällig die richtigen Menschen, die ihm bei seinen Unternehmungen helfen können und wollen: den Handwerker aus der Nachbarschaft, der sich so perfekt mit dem norwegischen Hüttenbau auskannte. Den Gast, der Bauingenieur war und ihm die Brücke über den Fluss entwarf. Den Hundetrainer mit IT-Kenntnissen, der ihm schon Anfang der Neunziger die Domain huskyfarm.de sicherte und eine Homepage programmierte, damit deutsche Huskyfans auch bei ihm landeten. So auch Regina, die 2001 eine Tour auf der Huskyfarm buchte und 2002 dort einzog.
Seitdem entwickelt sie das Unternehmen auch nach ihren Vorstellungen weiter: »Vorher haben wir ausschließlich große Abenteuerexpeditionen angeboten. Regina hat dann erkannt, dass mehr in dem Hof steckt und dass die Hunde, die gerade nicht auf Tour sind, auf andere Weise aktiviert werden können«, so Björn. »Heute kann man auch als Familie einfach hier wohnen, Tagestouren und andere Aktivitäten mit und ohne Hundeschlitten machen und auf der Farm mithelfen. Oder nach einer Expedition einfach noch ein paar Tage hierbleiben und sich entspannen.«
Dank der begeisterten Skifahrerin Regina hat die Huskyfarm inzwischen auch Skitrekking im Angebot, bei dem man auf Tourenskiern mit Hund und Pulka in die Berge zieht. Björn ist heute dankbar für diese Entwicklung, die dafür gesorgt hat, dass die Huskyfarm inzwischen mehr ist als ein Basecamp für anspruchsvolle Abenteurer: Ein Platz für alle, die ihren Urlaub mit Huskys in großer Natur verbringen wollen.
Grenzenloser Abenteuerspielplatz
Wir verlassen das Eis des Altevatn und kämpfen uns die Steigung zum Lifjellet hinauf, das wir in den nächsten Stunden umrunden und teilweise überqueren werden. An der Baumgrenze binden wir unsere Schlitten an den letzten knorrigen Fjellbirken fest und gönnen uns eine Pause bei warmem Tee und selbst gebackenem Kuchen. Der Himmel ist vollkommen klar und das Plateau, auf dem wir uns befinden, bietet einen großartigen Blick auf Björns und Reginas grenzenlosen Abenteuerspielplatz. Reginas Hand bewegt sich über das Panorama und bleibt in allen Himmelsrichtungen stehen, als sie Annett und Gerald zeigt, durch welche Teile des Fjells die mehrtägigen Touren der Huskyfarm führen und wo die Hütten und Biwaks liegen, die dabei angesteuert werden.
»Das ist noch richtige Wildnis hier«, meint Gerald. »Dagegen war die Landschaft rund um Sorsele, wo wir in den letzten Monaten unterwegs waren, geradezu erschlossene Zivilisation, mit all den Wegen, Loipen und Scooterrouten.« Es ist gerade die Unberührtheit der Natur, die das Paar fasziniert und die es bei seinen Auszeiten jenseits des Alltags sucht. »So schön und idyllisch es auf der Schweizer Alm, auf der wir gearbeitet haben, auch war – irgendwie gab es immer Flugzeuge am Himmel oder Wandergruppen, die vorbeikamen«, meint Annett. »Man hatte trotz der Natur immer das Gefühl, sich in der Zivilisation zu befinden.« Das klingt nicht gerade nach Angst vor der Einsamkeit des Fjells – eher nach dem Gegenteil.
Die Hunde werden ungeduldig und wir brechen wieder auf. Eine Zeitlang folgen wir den Spuren eines Vielfraßes, die das menschenscheue Raubtier vor Kurzem hinterlassen hat. Die letzten Bäume verschwinden. Bald sind wir umgeben von sanften weißen Berghängen und nähern uns in Serpentinen der Kuppe. Danach geht es in wilder Fahrt wieder hinab. Ein Höllenritt, bei dem mein ganzes neues Können gefragt ist.
Als wir wieder entspannt über das Eis des Sees fahren, bin ich aufgeputscht und glücklich und denke darüber nach, was einen guten Hundeschlittenfahrer auszeichnet: Man muss richtig vorbereitet sein, anpacken können, wenn es darauf ankommt, sich gut und sicher mit den Hunden und in der Gruppe fühlen und es ansonsten einfach laufen lassen können. Wahrscheinlich sind es gerade diese Eigenschaften – die Kombination aus Gewissenhaftigkeit und Entspanntheit, Tatkraft und Teamfähigkeit – die einen auch zum guten Huskyfarmer machen. Insofern glaube ich auch nicht so recht an einen Björn im Glück.
»Wir machen hier das meiste selbst. Anders geht das gar nicht«, hatte mir Regina gestern bei unserer Hofbesichtigung erklärt. In der Werkstatt im Erdgeschoss des Gästehauses, wo sonst die Schlitten gebaut und Hundegespanne genäht werden, malten Björn und Erik gerade die Fenster des neuen Mitarbeiterhauses, das im nächsten Jahr gebaut werden soll. Bei unserer Ankunft wurde noch im Raum nebenan das Kraftfutter für die nächsten Monate gemischt – aus Resten der lokalen Fleischerei, Knochenmehl und Fischöl.
Der Alltag auf der Huskyfarm folgt – wie wohl auf jeder anderen Farm – festen Routinen. Er lebt davon, dass man selbst mit anpackt und vieles selbst beherrscht. Oder dass man Menschen kennt, nah und fern, die einen mögen und helfen, wenn es drauf ankommt.
Eine Entscheidung fürs Leben
Es ist später Nachmittag, als wir die Huskyfarm erreichen. Henry empfängt mich mit roten Backen und strahlenden Augen. »Björn und ich haben mindestens hundert Würstchen gemacht«, erzählt er stolz. Er hilft mir, die Hunde in die Boxen zurückzubringen und den Schlitten in der Garage am Kopf des Gästehauses zu parken. Dann präsentiert er den riesigen Holzhaufen dahinter, den er während meiner Abwesenheit aufgestapelt hat, und stellt mir schließlich seine Lieblingshündin Nele vor, die ihn unter Corinnas Aufsicht treu durch die nahen Wälder gezogen hat.
Am Abend sitzen wir alle gemeinsam in der Grillkota, essen Wildlachs aus der Region und Henrys selbst gestopfte Würste. Die Stimmung ist fröhlich und entspannt. Björn und Regina erzählen von ihrer großen Spitzbergen-Expedition, von Tourerlebnissen, von den Samen, die jedes Jahr hier Rast machen. Annett und Gerald berichten von ihren Outdoor- und Huskyerfahrungen.
Man lernt sich kennen, sucht nach Gemeinsamkeiten und versucht wahrscheinlich, sich vorzustellen, wie es wäre, zusammen hier zu leben und zu arbeiten. Und auch wenn es scheint, als würde alles passen, was sich Björn einst in seinem NORR-Brief wünschte, braucht es doch auf beiden Seiten so viel mehr für diese große Entscheidung. Morgen wollen die vier sich noch einmal »ordentlich zusammensetzen und über die Details sprechen«. Ohne den Journalisten. Damit ist unser Huskyabenteuer vorerst beendet.
Im Nachtzug von Narvik nach Stockholm lassen wir am nächsten Tag die Fjelllandschaft nach und nach hinter uns. Henry liegt träumend in seiner Schlafkoje, im Arm seinen geliebten Stoffhund namens Huskis. »Wir könnten doch Huskyfarmer werden, Papa«, meint er ernst. Ich denke kurz an den Blick der sechzehn Hundeaugen. »Vielleicht. Du wärst bestimmt der perfekte Huskyfarmer. Mal schauen, was Mama sagt.«
Weder Annett und Gerald noch Henry und Philipps Familie wurden letztlich die neuen Huskyfarmer von Innset. Dafür haben Regina und Björn nun ein anderes Paar gefunden. NORR wünscht alles Gute!