Zehntausende Schafe auf den Färöern liefern den Rohstoff für groß- oder kleinmaschige, kühne oder klassische Strickmode.
Es gibt genau zwei Inselgruppen im Nordatlantik, von denen man behaupten kann, dass nicht Menschen, sondern Tiere die eigentlichen Bewohner stellen: Während mit den Eisbären auf Spitzbergen nicht zu scherzen ist, haben die Schafe ihr Dasein auf den grünen Hügeln der Färöer ganz allein dem Menschen zu verdanken.
Es waren die Wikinger, die vor gut einem Jahrtausend gen Westen segelten und auf den 18 Inseln so günstige Bedingungen vorfanden, dass sie sich mitsamt ihrer tierischen Mitbringsel dort niederließen und das neue Land »Schafsinseln« tauften. Der Alltag auf dem oft nebelverhangenen Archipel forderte den Bewohnern seit jeher Zähigkeit ab. An die 300 Regentage gibt es im Jahr. Doch die Färinger machten sich die natürliche Anpassung der Schafe an die maritimen Verhältnisse von Anfang an zunutze:
Der hohe Lanolingehalt der Wolle und die damit verbundene Wasserresistenz eigneten sich ideal für die Herstellung wind- und wettertauglicher Kleidung für die Fischer. Die Frauen begannen, ihren Männern Pullover mit individuellen Mustern zu stricken, damit diese beim Tod auf hoher See eindeutig zu identifizieren waren. So besagen es zumindest färöische Geschichtsbücher.
Strick auf Streife
Nun schickt sich eine junge Generation von Designern an, die im Überfluss vorhandene Ressource wieder salonfähig zu machen. Und die Nachfrage ist riesengroß. Seit Kommissarin Sarah Lund in der dänischen Erfolgsserie »Forbrydelsen« (dt. Das Verbrechen) färöischem Strick zu neuer Prominenz verhalf, indem sie Pullover des Labels »Gudrun & Gudrun« trug, können sich die Designerinnen vor Bestellungen nicht mehr retten. Günstig ist es nicht, jenes begehrte Modell mit dem Sternstrickmuster. Wer aber weiß, dass in jedem Stück mehr als ein Tag Handarbeit steckt, kann den hohen Preis nachvollziehen. Losgestrickt wird erst auf Bestellung – und bis zum endgültigen Eintreffen des Unikats können schon mal Wochen vergehen.»Man muss die Stricksachen ab und zu beiseite legen, denn die Arbeit ist anstrengend für Hände und Schultern«, weiß Gudrun Rógvadottir, Mitbegründerin des hippen Stricklabels.
Das Modelabel »Sirri«, dessen Name von dem färöischen Lockruf der Schafshirten stammt, sieht sich – ähnlich wie »Gudrun & Gudrun« – in der Pflicht, den kostbaren Rohstoff schonend zu nutzen. Daher wird nur einheimische Wolle für die Produktion verwendet, die bei der Tierzucht ohnehin als Nebenprodukt abfällt. Zunächst wird sie in fünf natürliche Grundtöne sortiert und anschließend mit einer speziellen Technik gefärbt und zu über 150 Designs weiterverarbeitet.
Inspiration Inselwelt
Für Beinta Poulsen, Inhaberin des Labels »Soul Made« ist die Heimat immer wieder Inspirationsquelle: »Für mich ist es sehr wichtig, auf den Färöern zu sein, wenn ich meine neuen Kollektionen entwerfe«, meint die inzwischen in Malmö lebende Designerin. Nicht nur der Stricktradition wegen, vielmehr seien auch die Landschaft und das spezielle Wetter an sich ihre »Musen«. Wenn man ganz genau hinsehe, könne man die Konturen der Landschaften sogar in den Strickstrukturen erkennen. Die düsteren Nuancen des nordischen Winters beeinflussten auch den Look ihrer Winterkollektion, so Beinta. Die zeitlosen Kleidungsstücke nehmen einerseits das minimalistische skandinavische Designerbe wieder auf, sind aber auch sehr stark von der Unstetigkeit färöischer Lebenswelten geprägt. Nicht nur Beinta, sondern auch »Gudrun & Gudrun« sehen sich daher auch mehr als färöische denn als skandinavische Designer.
Den avantgardistischsten und gleichzeitig radikalsten Ansatz verfolgt Barbara í Gongini. Die Wetterkapriolen ihrer Heimat und das damit verbundene Bewusstsein von Vergänglichkeit prägen auch ihre Entwürfe, die mit ihren scharfen geschnittenen Konturen an die Schroffheit färöischer Felsklippen erinnern.
Für die überwiegend in schwarz gehaltenen Entwürfe kombiniert Barbara Natur- und recycelte Kunststoffe – Wolle, Leder, Baumwolle und Plastik können in einem einzigen Kleidungsstück auftauchen. Nachhaltigkeit und Multifunktionalität sind bei ihr zu einem Prinzip geworden, das sich auf alle Materialien bezieht. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es einmal keine Schafe mehr auf den Färöern geben sollte, hat sie den wohl zukunftsträchtigsten Weg eingeschlagen.