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Wildwasser, Zirkus und Kultur sind die Zutaten für ein kleines, aber feines Sommerfestival in Dalarna. Für ein Wochenende werden die Schafsweide der Familie Wålstedt in Dala-Floda und die Stromschnellen des nahen Flusses zum Festivalgelände von DaFlo.
Carolina Hellström ist auf einem Festival. Sie wiegt sich vor und zurück und kämpft um ihre Balance. Aber sie ist weder betrunken noch high. Sie übt im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte die Eskimorolle im Lissforsen-Fluss in Dala-Floda. Zum allerersten Mal in ihrem Leben sitzt sie in einem kleinen runden Wildwasserkajak. Es schäumt gewaltig, als sie ihr Paddel in den reißenden Fluss eintaucht und versucht, sich durch die Stromschnellen zu manövrieren, ohne die Balance zu verlieren. Sie ist schwer damit beschäftigt, den klassischen Anfängerfehler zu vermeiden: sich mit dem Kajak in die Kurve zu legen, wie man es beim Radfahren macht. Das Wasser läuft an ihrem Neoprenanzug herunter, die Haare sind klatschnass und Carolinas Gesichtsausdruck zeugt von allerhöchster Konzentration. Sechs Stunden später ist sie auf dem Heuboden einer Scheune anzutreffen, in Sportklamotten und mit Turnschuhen. Aus einem CD-Player tönt afrikanischer Pop. Ein halbes Dutzend Menschen bewegt sich vor und zurück und versucht, Körperhaltung und Füße mit dem Rhythmus in Einklang zu bringen.
Festivals in Schweden bestehen oft einfach nur aus viel Musik und intensivem Partymachen. Das DaFlo-Festival findet unter dem Motto »Var modig« statt (dt. Sei mutig). Hier ist das Ziel nicht, sich Schritt für Schritt in einen Festivalzombie zu verwandeln, der pausenlos Bier trinkt und sich ausschließlich von Junk Food ernährt. »Wir wollen, dass die Leute hierherkommen, um sich selber herauszufordern und Dinge auszuprobieren, die sie noch niemals vorher gemacht haben«, sagt Britta Wålstedt, die zusammen mit Signe Veinholt für die verschiedenen Angebote auf dem DaFlo-Festival verantwortlich ist.
Drei Tage lang veranstalten sie jedes Jahr im Juli gemeinsam mit dem Rest der Familie Wålstedt Workshops im Wildwasserpaddeln, in Akrobatik, Paarakrobatik, Jonglage, Luftakrobatik, Yoga, Streetdance, Afrofusion, Hip-Hop, Gesang, Schlagzeug und Breakdance. James Venimore, der ursprünglich aus Neuseeland stammt, gehört zu “Die Atmosphäre ist super, sehr familiär und man kommt sofort mit Leuten ins Gespräch.”denen, die das Freestyle-Paddeln und die Rodeokajaks nach Schweden gebracht haben. Er sieht viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Tanz durch die Stromschnellen und der Akrobatik. »Genau wie die Zirkusakrobatik hat das Paddeln mit dem Rodeokajak etwas Spielerisches an sich. Es geht nicht darum, gegeneinander anzutreten, sondern Gemeinschaft zu pflegen und gemeinsam zu lernen. Du nimmst das Kajak auf die Schulter, gehst hinunter zum Wasser und paddelst ein paar Stunden, machst einige Tricks. Das ist ein Lebensstil, genau wie Zirkus und Akrobatik.« Am Abend kommen zu den 200 Teilnehmern der Tages-veranstaltungen noch einmal so viele Besucher. Dann treten Jongleure, Zirkusartisten, Musiker und Tänzer mit einem abendfüllenden Programm auf. Carolina Hellström ist zum ersten Mal bei DaFlo. Eine Freundin hatte es ihr empfohlen, die voriges Jahr dabei war. Sie ist alleine hier, aber das ist kein Nachteil: »Die Atmosphäre ist super, sehr familiär und man kommt sofort mit Leuten ins Gespräch«, sagt sie. »Tagsüber ist man selber aktiv und abends trinkt man entspannt ein Bier und hört richtig gute Musik, so mag ich das.«
WILDWASSER MIT TRADITION
Wildwasserpaddeln und Zirkusakrobatik sind die Hauptaktivitäten bei DaFlo. Und das ist kein Zufall. 1976 war Lars-Olof Tillman aus Dala-Floda Student an der Volkshochschule in Malung, das rund hundert Kilometer westlich von seinem Heimatort liegt. Dort saß er zum ersten Mal in einem Wildwasserkajak und paddelte auf dem Fluss Västerdalsälven. Zurück in Dala-Floda gründete er zusammen mit einem Nachbarn den Paddelklub »Floda forsfarare« (dt. Wildwasserfahrer Floda). Yngve Perjons, heute 53, fuhr daraufhin mit seinem Moped zum Fluss und war einer der ersten, der in dem neu gegründeten Klub das Wildwasserpaddeln im Hagforsen lernte. »Vorher hatte ich Hockey und Fußball gespielt; wie die anderen Jungs. Aber nach der ersten Tour im Wildwasserkajak hat es mich gepackt. Seitdem habe ich das Paddel nicht mehr aus der Hand gelegt«, sagt er. Der Paddelklub wuchs und bald hatte sich der gute Ruf des Wildwassers in der Region im ganzen Land verbreitet. Paddler der »Floda forsfare« gewannen schwedische und nordische Meisterschaften. Ab und zu kamen sogar einige Paddler von außerhalb in den Ort, die sich dort für einige Wochen oder Monate niederließen. Ein paar Enthusiasten haben sich in Dala-Floda sogar Ferienhäuser gekauft – nur, um ihren Lieblingsflüssen so nahe wie möglich zu sein.
Mitte der 90er Jahre sollten James und Annika Venimore den Vertrieb für einen Kajakhersteller in Schweden und Norwegen aufbauen. Nachdem sie eine Weile in der Region unterwegs waren, fiel die Wahl für ihren neuen Standort auf den Fluss Västerdalsälven zwischen Dala-Floda und Björbo. Ein strategisch günstiger Ort, denn von hier war es nicht weit zu den bevölkerungsreichen Gebieten in Norwegen und Schweden. Außerdem waren die vielleicht besten Wildwasserreviere Schwedens auch gleich um die Ecke. Weder James noch Annika haben ihre Wahl bereut. Heute betreibt James eine Wildwasserschule in Dala-Floda, die Leute aus dem ganzen Land und auch aus dem Ausland anlockt. Der kleine Ort ist dank der Initiative von James zu einem Treffpunkt für schwedische Paddelprofis geworden.
VOM FAMILIENFEST ZUM FESTIVAL
Einer der Profipaddler heißt Mats Wålstedt und ist der kleine Bruder von Britta, die das DaFlo-Festival leitet. Er wuchs mit seiner Schwester und weiteren drei Geschwistern auf dem Näbbäcksholen-Hof auf, der nur einige hundert Meter von den Flüssen Lissforsen und Hagforsen entfernt liegt. Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist die Familie schon auf dem Hof ansässig. Der Großvater von Britta und Mats gründete hier “Das war ein voller Erfolg und wir beschlossen, nun jedes Jahr ein solches Fest auf dem alten Heuboden in der Scheune zu feiern.”
gemeinsam mit seiner Frau eine Spinnerei. Seitdem gehört die Familie Wålstedt zu den Meinungsführern in der Region. Sie züchten Schafe, betreiben ökologische Landwirtschaft und einen Hofladen – und organisieren Feste. 1985, zum 30. Geburtstag von Mutter Margareta, gab es ein großes Erntefest. Weil gleichzeitig auch die Kartoffelernte stattfand, wurde aus der Geburtstagsfeier ein Kartoffelfest. »Das war ein voller Erfolg und wir beschlossen, nun jedes Jahr ein solches Fest auf dem alten Heuboden in der Scheune zu feiern«, erzählt Britta Wålstedt. Aus dem Familien- fest wurde 2005 das DaFlo-Festival. Das Kartoffelfest war mittlerweile so beliebt geworden, dass die Scheune aus allen Nähten platzte, und die Wålstedt-Kinder waren alt genug,um selber mit anzupacken. Sohn Mats fuhr seine ersten Wildwasserrennen und Britta hatte angefangen, sich für Zirkus und Akrobatik zu interessieren. »Wir riefen einfach ein Festival ins Leben, auf das wir selber gerne gehen würden«, erklärt Britta ihre Beweggründe.
Heute ist sie zusammen mit Singe Veinholt (der Frau von Per Wålstedt) für alles Praktische auf dem Festival zuständig. Beide Frauen sind ausgebildete Zirkusartisten und haben außerdem als Zirkuspädagogen gearbeitet. Auch im Bereich Festivalmanagement sind sie gut aufgestellt. Britta macht zurzeit eine Zusatzausbildung als Projektleiterin in Göteborg und Signe besucht ein Ausbildungsprogramm im Bereich Erlebnis- und Eventmanagement in Leksand. Im Sommer 2012 soll ein neues Buchungssystem beim DaFlo-Festival eingeführt werden, und eine Reihe neuer Artisten wird dabei sein. »Zirkus, Tanz und Wildwasserpaddeln sind weiterhin unsere Zugpferde«, sagt Singe. »Das Festival soll sich weiterentwickeln, doch die familiäre Stimmung muss auf jeden Fall erhalten bleiben.« Die Kombination der verschiedenen Angebote und Themen macht das DaFlo-Festival zu einem der originellsten Veranstaltungen in der schwedischen Festivalszene. Eine ähnliche Ausrichtung haben sonst nur noch das Urkult-Festival, das in der Nähe von Sollefteå stattfindet und das Norbergfestival in einer stillgelegten Grube in Bergslagen. Vermutlich wird Carolina Hellström auch in diesem Sommer wieder mit dabei sein. Letztes Jahr hat sie zwei Kurse im Wildwasserpaddeln gemacht, erste Erfahrungen beim Stand-up-Paddling gesammelt und sich in afrikanischem Tanz, beim Hip-Hop und Breakdance ausprobiert. Die Mischung aus Action und Kultur, die Gemeinschaft und die tolle Stimmung haben sie schwer beeindruckt. »Alleine hierherzukommen und total neue Dinge auszuprobieren, gehört zu den besten Sachen, die ich bis jetzt in meinem Leben gemacht habe!«