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Das grönländische Inlandeis erscheint unendlich weit, kalt und einsam. Mit Skiern und Parawings von Ost nach West zu kommen, ist die Herausforderung dreier Abenteurer. Sie wollen mit ihrer Expedition aber auch auf die Erwärmung der Arktis hinweisen.
Anfang Mai landen wir in Tasiilaq, dem größten Ort an Grönlands unwirtlicher Ostküste. Knapp 2 000 Menschen leben dort. Unser Ziel: Ilulissat an der Westküste, 750 Kilometer entfernt. Dazwischen das ewige Eis der größten Insel der Welt. 40 Tage haben Johannes, Georg und ich Zeit, um diese Strecke mit Ski und Parawings zu bewältigen, so lange werden unsere Lebensmittel reichen. Der einheimische Jäger Tobias bringt uns über die Ammassalik-Insel und den Sermilik-Fjord zum Festland, wo unsere Expedition endgültig beginnt. Bis der Fjord weitestgehend eisfrei ist, müssen wir in Ikateq abwarten. Auch in dieser Region wurde das Eis in den letzten Jahren auf den Fjorden immer dünner oder es bildete sich erst mit monatelanger Verspätung. Dadurch verkürzt sich der Zeitraum, in dem es mit Hundeschlitten befahren werden kann. Den Grönländern sind so die Wege zu ihren Jagdgründen versperrt und immer weniger können ihren Lebensunterhalt ausschließlich auf traditionelle Weise durch die Jagd auf Robben und Eisbären bestreiten. Nach zwei Tagen hat die Strömung das Eis soweit aus dem Fjord getrieben, dass Tobias uns hinüber bringen kann. Die Überfahrt bei Schneeregen in dem kleinen, offenen Boot ist kalt und ungemütlich. Als er uns an der Küste absetzt und kehrt macht, sind wir allein. Die Wolken hängen tief in den von schroff en Bergen umstandenen Tälern. In der folgenden Nacht fallen 30 Zentimeter Neuschnee. Der vor uns liegende Aufstieg auf das Inlandeisplateau wird zum Kraftakt – durch den tiefen Schnee zerren wir die über hundert Kilo schweren Pulka-Schlitten nach oben. Schweiß rinnt mir in Strömen das Gesicht herunter, über Brust und Rücken. Das Wetter hat sich gebessert, doch die Anstrengung bleibt. Wolkenloser Himmel und brennende Sonne, dazu der noch immer tiefe Schnee. Von der Kälte des Inlandeises ist nichts zu spüren. Zu dieser Jahreszeit hatten wir mit tieferen Temperaturen gerechnet, aber nun mühen wir uns nur mit Unterwäsche bekleidet, dem Inneren Grönlands entgegen. Ob die hohen Temperaturen mit der zunehmenden Erderwärmung zusammen hängen, die gerade in den arktischen Regionen deutlich auftritt? Grönland schmilzt und selbst am Nordpol bricht das Meereis immer früher und weiter auf.
WELLEN AUS SCHNEE
Oberhalb des Brückner-Gletschers laufen wir hinaus auf dieses Meer aus Eis und Schnee. Über Nacht bessern sich die Bedingungen auf dem Inlandeis. Starker Nordwest-Wind presst den lockeren Schnee zusammen und wir kommen von nun an schneller voran. Der Kompasskurs weist direkt auf unser Ziel in der Disko-Schneewehen reihen sich wie Wellenkämme aneinander. Dazwischen liegen blank gefegte Eisflächen.Bucht. Bis dahin geht es nur noch geradeaus und wir orientieren uns während des Laufens an der Sonne und unseren Schatten. Am folgenden Tag wird aus dem Gegenwind ein Sturm. Wir stemmen uns ihm entgegen, laufen sechs mal 60 Minuten. Zwischendurch nur kurze Pausen von je 10 Minuten, in denen wir uns mit den Rücken gegen den Wind auf die Schlitten setzen. Jeder hängt seinen Gedanken nach und während des Laufens entstehen in unseren Gesichtern Eisgebilde – gefrorener Atem, Schweiß und Rotz. Trotzdem kommen wir 19 Kilometer weit. Die Oberfläche des Inlandeises wirkt wie ein plötzlich gefrorener Ozean. Schneewehen reihen sich wie Wellenkämme aneinander. Dazwischen liegen blank gefegte Eisflächen. Die Pulkas knirschen auf dem harten Untergrund und rumpeln darüber. Der Sturm hielt zum Glück nicht lange an und bei erneut strahlendem Sonnenschein erhöhen wir unser Tagespensum um eine Stunde und knacken zum ersten Mal die 20 Kilometer-Marke. Tag für Tag nähern wir uns dem Scheitelpunkt des Inlandeises. Am östlichen Horizont verschwinden die letzten Berge, wo wir noch lange den Mount Forel im Schweizerland erkennen konnten. Nun umgibt uns nur noch das endlos erscheinende Eis. Doch die Ausgesetztheit wirkt nicht grenzenlos. Am Horizont scheint sie zu enden, da vorn, was oft so nah aussieht. Gleich müssten wir da sein, nur noch ein paar hundert Meter. Aber so geht es immer fort. Dann endlich Rückenwind. Zum ersten Mal können wir die Parawings in die Lüfte schwingen und ab geht die Post. Mit dem Einsatz der Segel wollen wir die Effi zienz von Windenergie demonstrieren. Stunde um Stunde zieht uns der Wind durch meist trübes Wetter. Der Horizont ist nur eine leichte Schattierung im sonst konturlosen Weiß zwischen oben und unten. Bis zum Abend schaff en wir über 50 Kilometer. Die Parole lautet: weiter, immer weiter. Bis der Wind am Ende des nächsten Tages einschläft, kommen wir unserem Ziel weitere 70 Kilometer näher – zu Fuß nur mit den Skiern undenkbar!
NEUER TAGESREKORD
An einem der folgenden Tage frischt der Wind weiter auf und treibt uns mit zunehmender Geschwindigkeit an. Wir segeln voll konzentriert, aber trotzdem stürzen Johannes und ich mehrfach. Es ist fast nicht mehr möglich, die 16 Quadratmeter großen Segel zu bändigen. Ich hänge an den dünnen Leinen und fühle mich wie eine Marionette im Spiel des Windes. Aus dem flotten Spaß wird rasender Ernst. Leinen reißen und verknoten sich. Nach mehr als 50 Kilometern in nicht einmal drei Stunden ist Schluss. Über weitere neun Stunden reparieren wir die Parawings – ein Tag, der so verheißungsvoll begann, endet im Frust. Anderntags geht es rasant weiter. Seitenwind und hohe Geschwindigkeit machen die Handhabung der Parawings erneut immer schwieriger. Nach mehreren Stürzen bricht an meiner Pulka das Zuggestänge. Ich überschütte den Schlitten mit Flüchen und verpasse ihm einen heftigen Tritt mit meinen schweren Skistiefeln. Nach einer Reparatur des Gestänges geht es mit rauschendem Tempo weiter. Wir fliegen über das Eis. Doch nach 91 Kilometern dann plötzlich Flaute. Trotzdem: Tagesrekord.
GLETSCHERSÜMPFE UND DER KLIMAWANDEL
In großen Wellen fällt das Eis zur Küste hin ab. Wir erreichen den Abstiegsgletscher vom Inlandeis und stoßen auf zahlreiche Schmelzwasserbäche, die unsere Route kreuzen. Die Skier tauchen unter, und wir stehen mit den Schuhen bis über die Knöchel im Wasser – Waten durch Gletschersumpf. Diese Abschmelz-Zonen nehmen auf Grönland seit 1979 jedes Jahr um durchschnittlich 16 Prozent zu. Ein Die Gewissheit, das Inlandeis gleich überquert zu haben, breitet sich in unseren Körpern aus, noch bevor wir die letzten Schritte getan haben.Anstieg des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre ist ein Grund dafür. Die Nordpolarregion wird sich weiterhin nahezu doppelt so schnell aufheizen wie der Rest des Planeten, wenn die Verbrennung fossiler Energieträger nicht reduziert wird, warnen Wissenschaftler im Arktis-Klima-Report. Ein vermehrter Einsatz und Ausbau regenerativer Energien könnte helfen, diesen Vorgang zu verlangsamen. Wie effizient gerade Windenergie ist, haben wir in den letzten Tagen erlebt. Doch nun ist an Segeln nicht mehr zu denken. In zehn Stunden schaffen wir dennoch über 30 Kilometer und das Festland liegt nun zum Greifen nah vor uns. Auf den letzten Metern über das raue Eis, vorbei an türkisblauen Schmelzwasserseen, überkommt uns Euphorie. Die Gewissheit, das Inlandeis gleich überquert zu haben, breitet sich in unseren Körpern aus, noch bevor wir die letzten Schritte getan haben. Als wir festen Boden unter den Füßen haben, sind wir jedoch noch nicht am Ziel. Bis nach Ilulissat erstreckt sich vor uns noch das Küstengebirge, welches wir in den folgenden Tagen durchqueren und das unseren Körpern die letzten Kraftreserven entzieht. Anfang Juni liegt nur noch wenig Schnee. Die letzten 40 Kilometer zerren wir die noch immer schweren Schlitten über Moose, Steine, Sumpf und Geröll hinter uns her. Doch nur 34 Tage nach unserem Start in Tasiilaq empfängt uns endlich das Gejaule unzähliger Schlittenhunde. Zwischen den bunten Häusern von Ilulissat liegen sie angekettet im Dreck. Im Meer dümpeln Eisberge, weißblaue Riesen, die der Ilulissat-Eisfjord in die Disko-Bucht entlässt, und die in der Mitternachtssonne orange schimmern. Wir sind am Ziel.