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Feuer und Flamme: Schwedische Meisterschaften im Outdoor-Cooking

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Outdoor-Küche ist heute mehr als Gaskocher und Tütensuppe. Mit der richtigen Ausrüstung lässt sich unter freiem Himmel die ambitioniertesten Gerichte zaubern. NORR trieb es auf die Spitze und schickte den Gourmetautoren Steven auf die schwedischen Meisterschaften im Outdoor-Cooking.

Es sollte eigentlich nur ein schöner Themenvorschlag sein: Die schwedischen Meisterschaften im Outdoor-Cooking auf dem Berg Billingen, einem naturschönen Ausflugsziel in der Provinz Västergötland. Gleich mehrere meiner persönlichen Leidenschaften auf ein und demselben Teller: Outdoor, Kochen und Kreativität.

»Super«, meinte auch der Redakteur, als ich ihm meine Idee vortrug. Ich könne ja direkt selbst mit dabei sein. »Lade ein paar Freunde ein. Und dann machst du einen schönen Insiderbericht.«

Gastronomischer Undercover-Einsatz

Sicher gibt es Uninteressanteres als gastronomischen Undercover-Journalismus. Aber beim Kochduell mitmachen? Auf Zeit? Mit einem Reglement? Mit Konkurrenten, einer Jury und Richtern? Und scharfen Messern … vor hunderten Leuten?

»Ja, das klingt richtig toll«, meinte ich. Zuerst brauchten wir ein Team. Weil ich selbst kein Koch bin und so eine Ahnung hatte, dass wir dem unbekümmerten Enthusiasmus des guten Redakteurs zum Trotz einen Profikoch brauchen würden, rief ich meinen Freund Tobias Andersson an, der als Küchenchef im Ulvö Hotell in Höga Kusten arbeitet. Wenn sich jemand für diese Idee begeistern würde, dann er. Aber einen Küchenchef für ein Wochenende, an dem auf der Schäreninsel Hochbetrieb herrscht, von seinem Restaurant loszueisen, dürfte kein leichtes Unterfangen sein.

»Na klar!«, sagte er sofort. Außerdem konnten wir Emilia Magnusson, die 21 Jahre junge neue Souschefin des Ulvö Hotell, für unser Team gewinnen. Ich zog also Ulvöns Starköche während der Hochsaison von der Insel ab und mit einem Mal war ich kein einsam an die Front geschickter Journalist mehr. Jetzt hatte ich ein Team unter mir und durfte um des Gastro-Himmels Willen das in mich gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen.

Freiluftküche als Lebensstil

Warum überhaupt ein Gourmetwettbewerb im Outdoor-Cooking? Ist die feine Küche denn wirklich mit der rauen Realität der Wildnis vereinbar, wo man doch nur auf die Zutaten und Gerätschaften zugreifen kann, die man findet oder mit sich trägt? Und umgekehrt – zeichnet sich das kulinarische Erlebnis in der freien Natur nicht gerade durch das Einfache und Provisorische aus – und das Stressfreie?

Vielleicht. Andererseits ist Outdoor inzwischen eine Art Lebensstil und da gehört das Kochen einfach dazu. Wer draußen unterwegs ist, muss schließlich auch essen. Hier hat in den letzten Jahren ein enormer Wandel stattgefunden. Statt der schnellen Suppe aus der Tüte als notwendiges Übel für den Energienachschub, die ich aus meiner Kindheit kenne, sehen die Alternativen für Lebensmittel heutzutage völlig anders aus, egal, ob gefriergetrocknet oder frisch gekocht. Deutlich besser, attraktiver und in unvergleichlich größerer Vielfalt.

Hightech-Küchen für unterwegs

Auch auf der Ausrüstungsseite tut sich was. Im vergangenen Jahr brachte die schwedische Outdoor-Cooking-Marke Primus etwa eine Serie transportabler Gasküchen für höhere Kochansprüche auf den Markt, die man zwar nicht wochenlang durch die Wildnis schleppt, aber gut auf einen (kulinarischen) Ausflug in die nahe Umgebung mitnehmen kann. Hinzu kommen verschiedene Veranstaltungen, die das Lustvolle und Kreative der Outdoor-Küche betonen und die zeigen, wie gern die Skandinavier im Freien kochen. Aus meiner Sicht hat beides seinen berechtigten Platz. Je mehr, desto besser. Auch wenn unser Kochduell weder mit der Alltags- noch mit der Wildnisküche besonders viel gemein hat, so kann es doch für beide Bereiche inspirieren und motivieren, sich höhere Ziele zu setzen. 

Und eines steht fest: Kochen im Freien macht Spaß – und interessanterweise schmeckt es auch besser. Die Bewegung an der frischen Luft und das Wetter (egal welches) wirken appetitanregend und lassen das Ganze zu einem besonderen kulinarischen Erlebnis werden. Dabei ist es relativ egal, ob man vorher wandern, klettern, paddeln oder nur ein bisschen spazieren war. Das kulinarische Erlebnis wird einfach intensiver, wenn man draußen kocht und isst.

Kreativität bis zum Startschuss

Einen Tag vor unserer Abreise nach Västergötland treffen wir uns im Ulvö Hotell. Emilia und Tobias haben sich schon Gedanken über unsere Meisterschaftsgerichte gemacht und wir können aus Unmengen regional produzierter Delikatessen auswählen. Schon früh hatten die Teilnehmer eine Liste mit regionalen Zutaten erhalten, die meisten davon aus ökologischem Anbau. Auf der Liste stehen Fisch, Meeresfrüchte, Hähnchen, Bison (!), Gemüse, Wurzelgemüse, Kräuter, Obst, Käse und viele weitere Leckerbissen.

Ich will gern etwas mit den Austern aus Grebbestad und Zander zubereiten, vielleicht als Sashimi. Die beiden greifen meine Idee auf und heraus kommt eine Vorspeise aus apfelfrischem Spitzkohltaco mit einem Sashimi aus Austern und Zander mit einem Hauch Apfelessig. Dieses Gericht entwickeln wir auf der Autofahrt, ja noch bis zum Startschuss weiter. Wir lassen unseren Ideen freien Lauf, wobei uns klar wird, dass die meisten Teams wohl auf ein Dessert mit Äpfeln setzen würden, weil gerade Apfelsaison ist und verschiedene Apfelsorten zur Auswahl stehen. Also denken wir um. Apfel zur Vorspeise und etwas völlig anderes zum Dessert. Pilze vielleicht? Trompetenpfifferlinge?

Strenge Regeln unter freiem Himmel

Dann ist der große Wettkampftag da! Der Billingen gehört zu den 13 Tafelbergen von Västergötland. Auf und rund um den Berg gibt es ganze 14 Naturschutzgebiete. Ein perfekter Ort für das Sweden Outdoor Festival, zudem noch mit schöner Aussicht über Skövde, das am Fuße des Berges liegt. Obwohl es sich erst um die zweite Auflage der  schwedischen Meisterschaft im Outdoor-Kochen handelt, ist die Veranstaltung von A bis Z perfekt durchorganisiert und professionell.

Die Kleidung der jeweiligen Teilnehmerteams ist fast durch die Bank weg aufeinander abgestimmt. Einige tragen weiße Kochmontur mit der schwedischen Fahne am Kragen und scheinen gerade dem Bocuse d‘Or entstiegen zu sein, andere tragen eher Outdoor-Kluft, allerdings mit gleichen Kappen, Schürzen, korrekten Karohemden und anderen Teamdetails. Bei einem solchen Wettbewerb ist nicht zu übersehen, dass Kochen ein ziemlich Gadget-lastiger Zeitvertreib ist und vielleicht auch deshalb ein recht männerdominierter dazu.

In den abgesteckten Wettbewerbsquadraten darf außer den erlaubten Arbeitsschritten nichts vorbereitet werden. Weder Holz noch Wasser und schon gar nicht irgendwelche Zutaten. Die Richter begutachten unsere Kisten mit Gerätschaften und Schüsseln, um zu überprüfen, dass wir auch nur Erlaubtes dabeihaben: eigene Messer, Schüsseln, Schneebesen, Handtücher, Zangen, Löffelchen und allerlei andere Helferlein, die unseren Stand eher wie einen OP-Tisch als eine Outdoor-Küche aussehen lassen. Platz haben dort nur zwei Arbeitstische und eine Feuerstelle mit Sand. Bewertet werden beim Wettbewerb Geschmack, Präsentation, Zusammenstellung, Mise en Place, Hygiene, Know-how und wirtschaftliches Arbeiten, wobei der Geschmack höher gewichtet wird. Bei Zeitüberschreitung gibt es Punktabzug.

Zwei Küchenprofis – und Steven

Das erste Team ist um 9.30 Uhr dran. An unserem Stand steht ein Schild mit unmissverständlichen Angaben: »Team 8. Beginn 10.15 Uhr. Ausgabe an die Jury 14.15 Uhr.« Klare Ansage. Na klar, Punktabzug bei Zeitüberschreitung. Kurz vor dem Start verteilt Tobias die ersten Aufgaben. Emilia soll an die Kühlwagen, um Zutaten auszuwählen, ich in großen Eimern Wasser heranschleppen und Tobias Holz holen und Feuer machen. Wir wollen ein richtig großes Feuer machen, die Mutter aller Feuer sozusagen, auf das wir ordentlich auflegen. Daraus entnehmen wir dann glühende Holzstücke und entfachen nach Bedarf neue Feuer.In den letzten Minuten vor dem Start merke ich jedoch, dass sich die Stimmung im Team plötzlich ändert. Meine Kochfreunde werden stiller, fast meditativ. Den ganzen Morgen haben wir gelacht und Witze gemacht und viel Spaß gehabt. Jetzt nicht mehr. Stattdessen herrscht eisiges Schweigen.

Dann, um 10.15 Uhr, erfolgt für uns der Startschuss. Alle rennen los, um ihre ersten Aufgaben zu erledigen, und bald brennt ein ordentliches Feuer an unserem Stand. Wir arbeiten alle drei mit Tunnelblick und hochkonzentriert, wie das so oft in Restaurantküchen vorkommt. Mise en Place, alles und alle haben einen festen Platz, eine feste Aufgabe. Geredet wird nicht. Es sei denn, man hat einen komischen Kauz in der Küche – wie mich.

Küchenhierarchien und Schweißausbrüche

»Steven, hast du das Feuer im Griff? Was macht das Wurzelgemüse?« Ich bin schweißgebadet. Die Hitze, die das riesige Feuer verbreitet, ist nahezu unerträglich. Schnell hole ich noch mehr Holz und wende dann das geröstete Wurzelgemüse, das im Feuer schmort. Mehr Schweiß. »Steven, wo bleibst du?« Emilia macht mir ganz schön Beine. Und so soll es auch sein. Ich befinde mich mitten in einer vierstündigen Küchenschlacht; da sind Konzentration und blinder Gehorsam gefragt. Und eine strenge Hierarchie. Wir haben einen Küchenchef, der alles im Blick hat, und eine Souschefin, die mich im Blick hat. Mich, einen Journalisten in bester Wallraff-Manier, der sich unversehens auf der schwedischen Meisterschaft im Outdoor-Kochen auf dem Berg Billingen wiederfindet.

Wo ist eigentlich unsere Anfangseuphorie hin, denke ich verwirrt, während ich von Auftrag zu Auftrag hetze. Und wieso bin ich stolzer Teamchef plötzlich der Küchensklave? Einige Zutaten, die wir eingeplant hatten, sind nicht verfügbar – eines dieser natürlichen Risiken, wenn man nur wenige und regional produzierte Lebensmittel einsetzt. Wetter und Ernte sind eben launisch. Also müssen wir umplanen. Das (fast) endgültige Menü, das ich der Jury um 14 Uhr, genau 15 Minuten vor der obligatorischen Ausgabe der Gerichte, per Mail schicke, ist dieses hier:

Vorspeise – Kohltaco, Zander-Sashimi mit Austern an Apfelessig, Dinkelmiso und Winterapfel.

Hauptgericht – Hähnchen mit Bier- und Honigkruste, karamellisiertes Wurzelgemüse, gebackene Zwiebelcreme und Salsa Verde aus Västergötland.

Dessert – Pastinaken-Reibekuchen, 1 Liter Almnäs (regionale Käsespezialität), in Haselnusshonig karamellisierter Starkriechender Pfifferling, Sauerrahm und Sauerampfer.

Zu fortgeschrittener Wettbewerbsstunde fällt Tobias nämlich ein, dass wir den Aspekt des wirtschaftlichen Arbeitens mehr einbeziehen und die Zanderhaut mitverarbeiten sollten. Besser gesagt die Schuppen. »Wir rösten die Schuppen und machen eine coole Garnitur für den Kohltaco«, meint er. Emilia und ich finden die Idee toll. Vielleicht mehr die Idee mit dem wirtschaftlichen Arbeiten als die Vorstellung, Fischschuppen zu essen. »Och, das wird sicher gut«, denke ich. Also ab mit den Schuppen in die Grillpfanne. Das sollte die Jury doch wirklich positiv bewerten.

Der Countdown

Und dann ist es so weit. Aus den Lautsprechern schallt die überschwängliche Stimme des Ansagers. Der Countdown für uns läuft. Das Publikum hilft auch mit und klatscht. »10 …9…8…7…« (Noch schnell den Sauerampfer auf dem Dessert anrichten.) »6…5…« (Wer trägt welche Platte?) »4…« (Schnell zum Juryzelt! Zeitüberschreitung gibt Punktabzug!) »3…2…« (Geschafft!), »1!«

Alles ist gut gegangen. Keine augenfälligen Katastrophen. In dem Gefühl, unser Bestes gegeben zu haben, servieren wir Punkt 14.15 Uhr stolz unsere Gerichte. Jetzt ist die Jury dran.

Die Sache mit den Fischschuppen

Wir haben natürlich nicht gewonnen, sind aber trotzdem sehr zufrieden mit uns, als wir uns wieder auf dem Heimweg befinden. Was ist eigentlich schiefgegangen? Nichts. Die Gewinner haben ganz einfach ein wunderbares Essen gezaubert. Einige Tage nach unserer Rückkehr erhalte ich die sehnlichst erwartete Mail mit dem Feedback der Jury. Andächtig lese ich sie durch – bis zur Vorspeise …

Schöne Präsentation.

Vorspeise – gut ausgewogene Aromen, aber die Fischschuppen bleiben im Hals stecken und sind schwer zu kauen.

Hauptgericht – gutes Hauptgericht mit feinen Aromen, es fehlt jedoch das gewisse Extra, um das Gericht strahlen zu lassen.

Dessert – sehr gute Aromen, jedoch eher als Fingerfood oder Vorspeise geeignet.

Später frage ich Tobias, ob er schon einmal Fischschuppen als Zutat benutzt habe. »Nö.« »Okay.« Eine tolle Veranstaltung, für mich aber in erster Linie eine Art Brückenschlag, der der Inspiration dienen soll. Wenn Profiköche (denn die meisten Teilnehmer stammten ja nun aus irgendeiner Ecke der Gastronomiebranche) zeigen können, welche Gerichte der gehobenen Küche draußen in einem bestimmten Zeitfenster zubereitet werden können, lassen sich vielleicht auch Hobbyköche davon inspirieren.

Aber nur vielleicht. Vermutlich dürfte es aber noch ein bisschen dauern, bis die Leute mit einem kleineren Food-Truck an Zutaten und Gerätschaften in den Wald ziehen, um sich das Naturerlebnis noch schmackhafter zu machen. Eine Muurikka, die finnische Grillpfanne, ist nämlich ganz schön schwer!

Das beste Aroma und die besten Zutaten sind immer noch frische Luft, das Salz des Meeres, die Düfte des Waldes, die Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn man mit Freunden draußen unterwegs ist, und der unglaublich appetitanregenden Rauch des knisternden Lagerfeuers.

 

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