Skandinaviens Wanderwege stehen bei Trailrunnern hoch im Kurs. Die amerikanischen Laufprofis Krissy Moehl und Luke Nelson waren mit dem schwedischen Fotografen Fredrik Marmsäter eine Woche lang auf dem Kungsleden unterwegs – und wurden süchtig nach Preiselbeeren und Saunagängen.
Milchig-blaue Gletscher und saftige Beeren, die die grünen Ebenen dunkelrot punkten: Der Kungsleden lässt sich farbtechnisch einiges einfallen, um auch im Spätsommer Wanderer zu verzücken. Auf 450 Kilometern schlängelt er sich durch sattgrüne Wiesen, entlang steiler Felswände und über Bergpässe nördlich des Polarkreises. Die Strecke zählt zu den beliebtesten Fernwanderrouten Schwedens. Neben den zahlreichen, gemächlich wandernden Outdoorfans, entdecken auch immer mehr Trailrunner den Kungsleden für sich. Genau wie Krissy Moehl und Luke Nelson aus Boulder in Colorado, die im September 2014 die Laufschuhe schnüren, um den nördlichsten Teil des Wanderweges laufend zu erleben. Mit dabei ist der schwedische Fotograf Fredrik Marmsäter. Er brachte die Idee, in seiner schwedischen Heimat einen Trailrun zu absolvieren, bei einem Kneipenabend auf den Tisch. Damit die Idee Wirklichkeit werden konnte, musste er allerdings vorab ein paar extra Trainingsläufe absolvieren, um mit den beiden Laufprofis Schritt halten zu können.
LAUFEN IN DER GANZEN WELT
Skandinavien stand bis dahin nicht gerade ganz oben auf Lukes Wunschliste. In den letzten Jahren war der Trailrunner unter anderem in der Rann-Salzwüste in Indien, der Sierra Nevada in Kalifornien, auf La Palma, in Patagonien und in Alaska unterwegs. Schweden war für den 34-jährigen nicht mehr als ein blinder Fleck auf der Landkarte. Krissy ging es nicht anders. Sie entdeckte ihre Leidenschaft fürs Trailrunning im Jahr 2000, als sie mit ein paar Freunden spontan die Laufstrecke verließ und sich querfeldein durch die Natur schlug. Seitdem ist sie ebenfalls in der ganzen Welt unterwegs – in Schweden war sie allerdings auch noch nie gewesen.
Am Startpunkt in Vakkotavare stehen erst einmal traditionell geräuchertes Rentierfleisch und Waffeln in heißer Moltebeerensoße auf dem Programm, bevor der einwöchige Lauf ins 113 Kilometer entfernten Abisko beginnt. Mit strahlendem Sonnenschein und warmen Temperaturen zeigt sich Schwedisch-Lappland von seiner besten Seite. Alles was Krissy, Luke und Fredrik für ihr Abenteuer benötigen, tragen sie in ihren vier Kilo schweren Rucksäcken mit sich. Die Wegzehrung besteht aus einer Flasche Wasser, Energieriegeln und jeder Menge Tubenkäse. Süße kulinarische Höhepunkte bescheren ihnen die reifen Preisel- und Blaubeeren, die haufenweise entlang des Kungsleden wachsen. Man braucht sich nur zu bedienen.
VIELFÄLTIGE MÖGLICHKEITEN AM KUNGSLEDEN
Ein Grund, weshalb die schwedischen Wanderwege bei internationalen Läufern so ausgesprochen beliebt sind, ist das gut ausgebaute Hüttensystem der Svenska Turistföreningen (dt.: Schwedische Touristenvereinigung). Auf dem Kungsleden liegen die Übernachtungsmöglichkeiten meistens etwas zehn bis zwanzig Kilometer voneinander entfernt. Viele Hütten verfügen außer einfachen Betten und Proviantverkauf auch über Saunen. Zudem bietet der Kungsleden abseits des Hauptweges viele Optionen für Abstecher, Extratouren und Gipfelbesteigungen. Auch Krissy, Luke und Fredrik nehmen sich viel Zeit für Entdeckungstouren in die Umgebung. Sie durchqueren Seen, laufen über Wiesen und erklimmen Berge. Den Lauf auf den des 2 106 Meter hohen Kebnekaise müssen sie jedoch 100 Meter vor dem Gipfel notgedrungen abbrechen. Regen, Sturm und die fehlende Ausrüstung für eine derartige Wetterlage zwingen sie zur Umkehr. An der Kebnekaise Fjällstation nimmt Luke dafür zum Trost an einem kleinen Fitness-Wettkampf teil und bricht mit 10:59 Minuten den Rekord beim Lauf zu einem nahen Felsen. Luke ist auf dem 1,13 Kilometer langen Sprint stolze 59 Sekunden schneller als der vorherige Rekordbrecher.
Von der Fjällstation aus geht es dann in den nächsten drei Tagen über Tarfala nach Sälka. Am siebten Tag erreichen Krissy, Luke und Fredrik ihr Ziel Abisko, den nördlichsten Punkt des Kungsleden. Bereits 1906 eröffnete der STF hier eine Hütte und begann mit dem Ausbau des Wanderweges als Zugang zum Kebnekaise. Die raue Berglandschaft dieser Gegend erzählt von eiszeitlichen Gletscherbewegungen, und die über hundert Jahre alten, steinigen Wanderpfade zeigen im Kontrast dazu die Spuren menschlicher Zivilisation. Mit seiner wilden und mystischen Landschaft hat der Kungsleden mit jedem Schritt mehr das Läuferherz der Amerikaner erobert. Er gehört ab sofort zu Lukes Lieblingsstrecken. Sowohl er als auch Krissy wollen wiederkommen, um sich auch die südliche Strecke des Königswegs zu erlaufen – und noch einmal den Kebnekaise in Angriff zu nehmen.
Karens Interview mit Krissy und Luke könnt ihr in der NORR-Sommerausgabe lesen. Erhältlich im Zeitschriftenhandel, im Shop oder im Abo.