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Hinter den sieben Bergen: Skifahren in Finnland

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In Finnisch-Lappland sind die Berge flach, hügelig und schneereich — ideal für Telemarksfahrer. NORRs schwedische Skiexperten sahen sich in Finnlands bestem Skiort um.

Hoch und unberührt liegt der Schnee vor uns, als wir die Schlucht auf der Rückseite des Pallastunturi erreichen. Dieser Berg ist der nördlichste des unter dem Namen »Sieben Berge« bekannten Gebirgszuges. Von unserem Ferienhaus in Äkäslompolo fuhren wir erst einige Kilometer mit dem Auto. Doch da die meisten der sieben Berge in einem Nationalpark liegen, kann man nicht direkt an sie heran fahren. Auch mit dem Snowscooter darf man hier nicht ohne weiteres fahren. Aber es gibt gespurte Loipen, denen man folgen kann. Als wir nach einer Weile den Fuß des Berges erreichen, geht es mit Fellen unter den Skiern bergauf. Lauri Ylimys, verantwortlich für die Sicherheit im Skigebiet Ylläs, bewegt sich vorsichtig oberhalb der Schlucht und macht einen Schneetest. Die Schneedecke ist instabil und wir entscheiden uns gegen eine Abfahrt. Stattdessen gehen wir auf dem Bergrücken weiter, der parallel zur Schlucht verläuft. So können wir trotzdem noch genug Skifahren, ohne dass wir in der Schlucht in eine eventuelle Lawine geraten.
Nun breitet sich kilometerlang eine unberührte und mindestens einen halben Meter dicke Schneedecke vor uns aus. Auf Englisch, Finnisch und Schwedisch beratschlagen wir über unsere Route. Jeder von uns möchte gern ein wenig unberührten Tiefschnee für sich allein haben. Aber eigentlich ist unsere Diskussion unnötig — es gibt mehr als genug Schnee. Wir werden wohl kaum alles davon »verbrauchen«.

MIT SCHWUNG BERGAB

Sanft, aber bestimmt gleitet Tuomo Poukkanen, ebenfalls ein Vertreter des Skigebietes Ylläs, den Berg hinab. Die breiten Skier bewegen sich mit schnellen, kurzen Schwüngen durch den Schnee. Lauri fährt als nächster los und folgt Tuomo mit einem sicheren Fahrstil. Es ist ein Genuss, diesen beiden exzellenten Telemarksfahrern zuzuschauen. Mats Christensén, der ursprünglich aus Göteborg stammt, zog wegen der guten Skimöglichkeiten nach Äkäslompolo. Er arbeitet bei der Pistenkontrolle, als Skilehrer für Telemark und als Bergführer. Enthusiastisch berichtet er von seinen vielen Abfahrten in den Bergen der Umgebung. Kurz darauf gleitet Mats nahe der Falllinie den Bergrücken hinunter und beendet seine Fahrt mit einem breiten Grinsen vor der Kamera des Fotografen Håkan Hjort. Vielleicht genieße ich die heutige Tour nicht ganz so doll wie die Männer. Das Pistentraining des gestrigen Nachmittags macht sich bemerkbar. Ich fühle mich wie ein kleines Kälbchen, das zum ersten Mal auf der Weide ist — meine Beine wollen mich nicht tragen. Der Schnee ist herausfordernd und verzeiht keine Schwächen. Ein bisschen zu tief und zu schwer für mich. Man sollte beim Schwingen möglichst keine Druck auf die Skier ausüben, sondern sie einfach gleiten lassen und auf dem Schnee surfen. Aber das gelingt mir nicht, die Skier sinken ein. Meine müden Beine wollen nicht mehr und so liege ich wieder und wieder im Schnee und vermesse gleichzeitig unfreiwillig dessen Höhe. Ich fühle mich hilflos und werde wütend. Vor mir liegen fantastische Hänge und ich kann nicht mehr. Wirklich blöd! Tiefschnee en masse, aber zu müde Beine. Ich schiebe die Schuld auf meine Skier, die sind einfach zu schmal. Wieder spannen wir die Felle unter die Skier und gehen bergauf, um noch ein paar schöne Schwünge im Tiefschnee zu machen. Noch zwei weitere Aufstiege folgen. Der Schweiß fließt und die Sonne scheint. Schließlich ist Zeit für eine ordentliche Kaffeepause. Vor dem letzten Aufstieg, der uns auf den Gipfel des Pallastunturi bringen soll, befestigen wir unsere Skier an den Rucksäcken. Die Passage ist zu steil, um mit Fellen dort hinauf zu gehen. Als wir den 807 Meter hohen Gipfel erreichen, breitet sich vor unseren Augen ein großartiges Panorama aus. Von hier oben aus wurde übrigens das Olympische Feuer 1952 nach Helsinki getragen.

SKIORT MIT TRADITIONEN

Wir strahlen mit der Sonne um die Wette. Ohne Frage, wir haben tolles Telemarksgelände gefunden! Bevor wir nach Finnland kamen, waren wir nicht ganz sicher, was dieses Land an Bergen und Gipfeltouren so zu bieten hatte. Böse Schweden oder Norweger würden die »Sieben Berge« wohl eher als die »Sieben Zwerge« bezeichnen. Doch das würde dem Gebiet nicht gerecht werden, soviel haben wir verstanden. Die »Sieben Berge« gehören sicher zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Finnen, und ich kann sie verstehen. So können sie diese tollen Berge für sich allein haben, denn die meisten Skifahrer in Skandinavien fahren lieber nach Schweden oder Norwegen, wo es höher und steiler ist. Aber mit Telemarksskiern und Fellen sind die »Sieben Berge« eine richtig gute Alternative. Außerdem gibt es hier auch einige der besten Langlaufloipen Finnlands und die Möglichkeit, eigene Skitouren von Berg zu Berg zu machen. Es ist wirklich nicht verwunderlich, dass diese Region Finnlands beliebtestes Skigebiet ist.
Die Geschichte von Ylläs begann 1927, als die finnische Olympiamannschaft hier ein Trainingslager abhalten wollte. Man hatte bereits von den guten Abfahrtsmöglichkeiten in St. Anton und anderen Skiorten in den Alpen gehört. Ein erfindungsreicher Finne sorgte dann dafür, dass ein paar Rentiere die Skifahrer auf den Berg transportierten. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, und man begriff, dass die Gegend für Touristen interessant sein könnte. Aber erst 30 Jahre später wurde der erste Lift eingeweiht. Das war der Startschuss für ein kleines Skiparadies, dass seitdem immer größer geworden ist. An den Hängen des Yllästunturi gibt es heute einen Sessellift, eine Gondelbahn und 27 Schlepplifte. 61 Abfahrten verteilen sich über den Berg, darunter auch diejenige mit Finnlands größtem Höhenunterschied von 463 Metern. In den Alpen würden diese überwiegend leichten Pisten wohl als Anfängerhügel bezeichnet werden. Doch abseits der Pisten gibt es auch anspruchsvolleres Gelände, wie wir feststellen konnten. Am einfachsten erreicht man das Offpist-Gebiet mit dem Lift, der auf den Yllästunturi hinauf geht. Von dort kann man einige kurze, aber sehr gute Tiefschnee-Abfahrten machen.
Auf der Rückseite des Berges, in Richtung Straße, gibt es eine lange Abfahrt, die weit unten im Wald endet. Oder man nimmt den Kellostapuli ins Visier. Dort gibt es einige gute Hänge, die nach ein paar Schwüngen in einen lichten Wald übergehen. Doch die schönsten Gipfel der »Sieben Berge« erreicht man nur mit Fellen: Pallastunturi, Aakenus und Kesänki.

PIZZA MIT BÄRENFLEISCH

Es ist noch früh am Morgen, aber die Zeit vergeht. Wir schauen auf die Uhr und fangen an ungeduldig zu werden. Die unberührten Hänge des Aakenus warten auf uns. Auch an diesem Tag wird es sicherlich müde Beine und strahlende Gesichter geben. Lauri ist verspätet. Mats ruft ihn an, um zu fragen, wo er steckt. Wir erfahren, dass in dem Gebiet eine Lawine runtergekommen ist. Lauri muss noch auf den Bericht der Pistenkontrolle warten, bevor er das Skigebiet verlassen kann. Die Lawine ist in Kellostapulinkuru, außerhalb der markierten Pisten heruntergekommen und wurde durch die Vibrationen eines Spurgerätes ausgelöst, mit dem die Langlaufloipen gespurt wurden. Wir hatten kaum geglaubt, dass es in Finnland Lawinen geben könnte. Aber die Schneemengen sind hier so groß, dass sogar flache Berge eine Lawinengefahr darstellen. Im Februar kam eine Lawine in Papinkuro herunter — mit einer Abbruchkante von bis zu vier Metern.
Also müssen wir heute ohne Lauri klar kommen. Auch Tuomo arbeitet, aber eine Ski- und Arbeitskollegin von Mats, Susanne Arpiainen, begleitet uns. Der Weg von der Straße zum Aakenus dauert eine knappe Stunde und führt durch den Wald. Dann ist es Zeit für den Aufstieg. Ungefähr ein halber Meter Tiefschnee liegt auf hartem Altschnee. Doch der Neuschnee hat die hohe Luftfeuchtgkeit aufgenommen und ist schwer. Auch das Gehen fällt in dieser Art Schnee schwer. Die besten Abfahrten liegen in dem schützenden Wald. Hier hat der Wind den Schnee noch nicht zusammen gepresst und er ist weich, kalt und richtig gut zu fahren. Den 519 Meter hohen Gipfel des Kesänki erreichen Mats, Håkan, Susanne und ich nachdem wir erst eine Weile der Loipe nach Kesängin Keidas gefolgt sind und dann durch die Schlucht bergauf gestiegen sind. Als Belohnung für die Strapazen erwarten uns einige wunderschöne Abfahrten. Zwei Kessel und die Hänge der Schlucht motivieren uns zu mehreren Aufstiegen.
Auf dem Rückweg, bei dem wir über einen See fahren, ist es sehr still. Viele glückliche, aber müde Skifahrer gleiten dahin. Nach Äkäslompolo kommt man nicht wegen des Après-Ski. Mit der Müdigkeit in den Knochen verzichten wir auf Tanzversuche und sitzen eine Weile später zufrieden in unserem Lieblingsrestaurant »Revontuliravintola Poro«, was übersetzt »Nordlichtrestaurant zum Rentier« heißt. Dort gibt es lappländisches Essen in einem gemütlichen Ambiente. Auch das Restaurant »Eväskori« ist einen Besuch wert — wenn man gern besondere Pizzen isst. Auf den ersten Blick wirkt das »Eväskori« eher wie eine schnell zusammen gezimmerte Bretterbude, was der Wahrheit ziemlich nahe kommt. Viele Gäste behalten ihre Jacken in dem zugigen Lokal lieber an. Aber die Pizzen sind einfach großartig! Sogar Pizza mit Bärenfleisch wird hier serviert. Am Abend gönnen wir uns einen klassisch finnischen Saunabesuch. Danach sind die Oberschenkel wieder fit für einen neuen Tag in den »Sieben Bergen«.