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Mit regionalen Zutaten und Menüs holt Hurtigruten den Geschmack der Landschaft an Bord der Postschiffe. Das neue Gourmet-Konzept der Reederei spiegelt die ganze gastronomische Vielfalt der norwegischen Küste wieder. Philipp Olsmeyer war auf Geschmackssafari.
Abendessen bei Windstärke sieben auf dem Vestfjord: Regen und Gischt spritzen auf die Scheiben des Bordrestaurants. Draußen erkenne ich schemenhaft das dunkelgraue Meer, in das die brechenden Wellen ein abstraktes Muster aus Schaum zeichnen. Bei Helligkeit und einigermaßen guter Sicht könnte ich von hier aus bereits die Küsten und Berglandschaft der Lofoten bewundern. Heute tröste ich mich damit, sie auf jeden Fall schon mal schmecken zu dürfen. Denn der arktische Kabeljau auf meinem Teller wurde in den Gewässern der Inselgruppe gefangen. Die Käsespezialitäten, die als Nachtisch folgen, stammen vom Aalan Gård, einem kleinen Hof in der Nähe von Bøstad.
Seit 2014 setzt die norwegische Reederei Hurtigruten in den Bordrestaurants ihrer Postschiffe verstärkt auf lokale Spezialitäten der norwegischen Küstenregionen. Sechs Tage dauert die über 2 500 Kilometer lange Reise von Bergen nach Kirkenes und an jedem Abend passt sich die Speisekarte der jeweiligen Landschaft an, die das Schiff passiert. Die thematischen Menüs entwickelte Hurtigruten zusammen mit dem norwegischen Fernsehkoch Andreas Viestad. Gleichzeitig baute man die Zusammenarbeit mit kleineren lokalen Produzenten aus und nannte das Ganze »Norways Coastal Kitchen«. Ich bin an diesem Abend auf der MS Nordkapp in Richtung Lofoten unterwegs, um herauszufinden, was sich hinter dem Konzept verbirgt und welche Menschen dahinterstecken.
Nordische Geschmackserlebnisse
Im Salon treffe ich Freddy Storaker Bru. Der »Food and Beverage Manager« kam vor zwei Jahren von der Hotelkette Scandic zu Hurtigruten, um die kulinarische Strategie mitzuentwickeln. ›Norways Coastal Kitchen‹ ist für uns ein Leitgedanke, der sich in allen Bereichen des Unternehmens wiederfindet«, sagt der Manager, »in der Auswahl der Lieferanten, in der Logistik, in den Menüs und zusätzlichen Erlebnisangeboten wie Krabbenfischen oder kulinarischen Landausflügen und schließlich auch in der Ausstattung der Schiffe.«
Gerade ist Freddy mit einer Gruppe Architekten und Designer an Bord, die das »Refurnishment« der MS Nordkapp und drei weiterer Schiffe planen. Decks, Restaurants und Bars sowie ein Großteil der Kabinen werden komplett neu gestaltet. Das Design soll die arktische Küstenlandschaft in den gastronomischen Bereichen widerspiegeln und so den richtigen ästhetischen Rahmen für die regional inspirierten Menüs schaffen. Man will die Gäste noch mehr an der Zubereitung der Speisen teilhaben lassen: »Zu sehen, wie frische Zutaten direkt verarbeitet werden und im besten Fall selbst dabei mitzuhelfen, ist ein Teil des authentischen Erlebnisses«, meint Freddy.
Kulinarik im Mittelpunkt
Das kann Halvor Dahl nur bestätigen. Der Küchenchef der MS Nordkapp ist seit dem 6. Februar 1978 im Dienst der Hurtigruten. Er hat die gesamte Entwicklung der Postschiff-Reederei zum Kreuzfahrtunternehmen inklusive Nordic-Cuisine-Konzept hautnah miterlebt. »Damals haben wir ausschließlich hinter den Kulissen gearbeitet, heute sind wir vor allem ›Essens-Präsentierer‹«, sagt Halvor. Ohne Zweifel sei das kulinarische Erlebnis für die Reisenden in den letzten Jahren immer wichtiger geworden und natürlich habe sich dadurch auch seine Rolle verändert: »Ich bin eben Teil des großen Hurtigruten-Pakets.«
Grundsätzlich freut sich Halvor, dass sein eigener Bereich dank des neuen Konzepts noch mehr Bedeutung bekommt, bei den Rohwaren die Qualität besser und die Vielfalt größer geworden ist. Auch den direkten Kontakt mit den Gästen findet er gut, weil er dadurch mehr Feedback für seine Arbeit bekommt. Mit dem neuen Konzept und seinen von vornherein festgelegten Menüs seien allerdings auch mehr Regeln in die Schiffsküche gekommen: »Es gibt weniger Möglichkeiten, kreativ mit den Rohwaren zu arbeiten.« Der zentralisierte Einkauf bedeutet auch, dass nicht spontan etwas an Bord genommen werden kann, auch wenn die Gelegenheit günstig wäre. »Die Küste hat einfach so viel zu bieten«, sagt Halvor und scheint sich in diesem Moment nach den Zeiten zu sehnen, in denen der Schiffskoch im Hafen noch persönlich an Land ging und aus dem, was er dort fand, ein Menü zauberte.
»Cod Father« und Fußballfan
Die Nacht in Svolvær war ebenso stürmisch wie der Tag auf dem Vestfjord. Schon am Abend war klar, dass das Fischerboot, mit dem ich heute in See stechen wollte, im Hafen bleiben würde. Stattdessen habe ich mich mit seinem Besitzer im Frühstücksraum des Hotels verabredet. Der Fischer Geir Halvard Nilssen Antonsen trägt ein Fußballtrikot seiner britischen Lieblingsmannschaft Ipswich, auf dessen Rücken der Name »Cod Father« (dt. KabeljauVater) steht – ein Geschenk seiner Fanfreunde. Ob mein Kabeljaufilet von gestern Abend tatsächlich von Geir gefangen wurde, ist ungewiss. Aller Fisch gelangt über den Großhändler an Bord der Hurtigruten. Die Fischer dürfen offiziell ihren Fang gar nicht selbst verkaufen.
Unzählige Fischerboote sind rund um die Lofoten unterwegs, die im vergangenen Jahr zusammen 65 000 Tonnen Skrei, wie der geschlechtsreife Kabeljau hier genannt wird, aus dem Wasser zogen. »Sobald die Sonne wieder zurück ist, kommen die Fische aus der Barentssee zum Laichen hierher. Dann ist hier richtig was los«, sagt Geir, der 2001 seinen Beruf als Schreiner an den Nagel hing und sich einen kleinen Kutter kaufte.
Im Winter liegt sein Boot in Sildpollnes am Austnesfjord, den Rest des Jahres in Digermulen am Raftsund. Mit einer Länge von unter fünfzehn Metern darf es auch in den Fjorden und vor der Küste zum Fischfang eingesetzt werden, wo größere Schiffe ihre Netze an Bord lassen müssen. »Wir haben in der letzten Zeit unglaublich viel Fisch hier«, sagt Geir, der neben Skrei auch Schellfisch, Heilbutt und viele andere Arten in seinen Netzen findet.
Einerseits gebe es wegen des wärmeren Klimas für viele Arten mehr Nahrung. Andererseits merke man auch die nachhaltige Fischpolitik der norwegischen Regierung, die unter anderem mit Fangquoten, Sperrzonen und einer konsequenten Bekämpfung der Piratenfischerei für eine Erholung der Bestände gesorgt hat. Immer häufiger nimmt Geir inzwischen auch Touristen mit an Bord, unter ihnen auch viele HurtigrutenReisende. »Die Leute freuen sich, dabei sein und mithelfen zu können. Es ist immer ein Erlebnis, wenn die Fische aus dem Netz lebend auf das Deck purzeln. Es gibt keinen schöneren Platz dafür als die Lofoten – egal zu welcher Jahreszeit.«
Alles Käse
Der Fisch mag den Lofoten ihren Reichtum gebracht und die Kultur an der Küste geprägt haben, aber auch die Landwirtschaft und das Lebensmittelhandwerk spielen für die Inselgruppe seit jeher eine wichtige Rolle. Selbst die Wikinger waren abgesehen von der Robbenjagd und der kurzen Kabeljausaison in erster Linie Bauern. Tova und Knut Åland führen die Tradition auf ganz eigene Weise fort. Auf ihrem Hof Aalan Gård im kleinen Tal Lauvdalen betreiben sie eine der wenigen Ziegenfarmen der Region mit eigener Käserei.
Wir sitzen auf dem Sofa im gemütlichen Wintergarten, während über uns der unermüdliche Regen auf das Dach prasselt. Im Raum nebenan befindet sich der kleine Hofladen, in dessen Regalen neben den eigenen Käsesorten andere regionale Lebensmittel stehen. Durch eine große Scheibe blickt man in die Käserei. Im Stall gegenüber warten 200 Ziegen darauf, gemolken zu werden.»Sie sind draußen auf den Berghängen, solange es geht. Nur im Winter bleiben sie auch tagsüber unten auf dem Hof«, sagt Knut. Wie viel Freude ihm die Tiere machen, sieht man später im Stall, als er strahlend zwischen ihnen steht, während sie ihn liebevoll am Hemd zupfen.
Qualität und Experiment
Zweimal täglich werden die Ziegen gemolken. Die frische Milch gelangt dann direkt ein paar Meter weiter in die Produktion, was dem Käse eine besonders geschmeidige Konsistenz gibt. »Als wir uns 1996 entschlossen, selbst Käse herzustellen, haben wir uns auf die Suche nach traditionellen Rezepten aus der Region gemacht und uns dabei auch mit alten Menschen unterhalten, die früher mit Käseherstellung gearbeitet haben«, erzählt Tova. Ein weiterer wichtiger Grundsatz auf Aalan Gård sei, aus dem, was man hat, das Beste zu machen: »Wir brauchen nicht noch mehr Tiere und wollen hier keine große Käsefabrik«, so Tova.
Stattdessen arbeitet man an der Qualität der existierenden Sorten und experimentiert mit neuen Rezepten. Die beliebtesten Produkte sind unter anderem der Blauschimmelkäse »Blåtind«, der halbfeste »Capra« oder der »Brun geitost«, ein brauner Ziegenkäse. Diese Sorten landen schließlich auch auf den Tellern der Hurtigruten – inzwischen der wichtigste Abnehmer von Aalan Gård. Gut die Hälfte der sechs Tonnen Käse, die hier jährlich produziert werden, verlädt man in Svolvær auf die Postschiffe. Tova und Knut sind stolz über die Zusammenarbeit im Rahmen des »Coastal Kitchen«Konzepts. Doch sie haben auch andere Abnehmer. Die Nachfrage nach ihrem Ziegenkäse, mit dem sie auch Spezialitätengeschäfte von Spitzbergen bis Kopenhagen beliefern, ist groß.
In der Hauptsaison kommen bis zu zehn Busse wöchentlich mit Ausflugsgästen nach Lauvdalen, die auf dem Hof bewirtet und im Laden mit kulinarischen und anderen Souvenirs versorgt werden. Zusammen mit der Kommune und anderen benachbarten Unternehmen hat das Paar außerdem ein touristisches Konzept für das Gebiet Rolvsfjord-Lauvdalen-Hellosan entwickelt. In Zukunft soll man hier auf markierten Wegen durch die Berge wandern und die Kulturlandschaft mit ihren Höfen und Speisen entdecken können. Dahinter steckt, wenn auch in kleinerem Maßstab, der gleiche Gedanke wie hinter »Norways Coastal Kitchen«: das Landschaftserlebnis auf natürliche Weise mit dem kulinarischen Erlebnis zu verbinden. Diese Kombination ist das Wertvollste, was die norwegische Küste zu bieten hat.