Kilometerlange Loipen, unendliche Weite und sagenhaftes Panorama – es ist kein Wunder, dass der Langlaufsport immer mehr Anhänger im Norden findet. NORR hat zehn Loipenmekkas in Skandinavien besucht. Die Reise beginnt in Lillehammer.
NORWEGEN
#1 im Langlaufhimmer
Die meisten denken bei Lillehammer sofort an die Olympischen Spiele 1994, nicht zuletzt an die Langlaufwettbewerbe, wo die Norweger eine Goldmedaille nach der anderen einheimsten. Ich auch. Doch zwei Sekunden später haben sich diese Assoziationen bereits aus meinem Kopfkino verabschiedet. So lange dauert es, bis ich die Gardinen vor dem Hotelfenster zur Seite gezogen habe. Der Anblick, der sich meinen Augen bietet, verschlägt mir buchstäblich den Atem. Vor dem Fenster breitet sich eine märchenhafte Winterlandschaft aus. Die sanften Hügelketten erstrecken sich in alle Himmelsrichtungen und auf den Hängen schmiegen sich schneebedeckte Bäume aneinander, die vom rosaroten Schimmer des Sonnenaufgangs umfangen werden. Alles ist so wunderschön, dass ich andächtig stehen bleibe. In der Stille sehe ich, wie die Sonne über die Bergrücken steigt und die Landschaft in immer neue Farben taucht. Gleichzeitig taucht von irgendwoher eine Pistenraupe mit einem Loipenspurgerät im Schlepptau auf, die dann in die entgegengesetzte Richtung wieder verschwindet – und eine frisch gespurte Doppelloipe hinterlässt.
Lillehammer ist so viel mehr als eine olympische Erfolgsgeschichte. Mit über 2000 Kilometern gespurter Loipe gibt es hier das größte zusammenhängende Langlaufsystem der Welt, das durch unberührte Natur und über weitläufige Fjellhänge oberhalb der Baumgrenze führt.
Das Berghotel Pellestova, das auf 1000 Meter Höhe auf dem Gipfel des Hafjells liegt – und wo ich heute Morgen aufgewacht bin –, ist ein idealer Ausgangspunkt. Von hier aus kann man theoretisch auf Langlaufskiern bis zum Rondane-Nationalpark hinauffahren, vorausgesetzt man bringt genug Kondition und Zeit mit. Direkt vor dem Hotel beginnen nicht weniger als vier Doppelloipen, die in verschiedene Richtungen führen und schon bald mit anderen Loipen zusammentreffen und schier unendliche Möglichkeiten bieten. Für einen Mann mit Entscheidungsschwierigkeiten nicht gerade die ideale Umgebung. Zum Glück muss ich nicht alleine in die Loipe. Eine schwedische Einwanderin wird mir zur Seite stehen.
Langlauf geht vor
Vor über 30 Jahren haben wir zusammen an Langlaufwettbewerben in Värmland teilgenommen. Damals hieß meine Begleiterin noch Barbro Karlsson und träumte von einer WM-Teilnahme. Jetzt heißt sie Barbro Mørk, spricht fließend Norwegisch und wohnt seit 18 Jahren in Lillehammer. Einen besseren Guide als Barbro gibt es nicht. Gemeinsam mit ihrem Mann Jan nimmt sie mich mit in die Loipe. Die Sonne taucht den Schnee in gleißendes Licht und man wünscht sich, dass dieser Tag nie zu Ende gehen soll. Von Pellestova fahren wir nach Osten, hinunter zum Reinsvattnet-See. Tannen und Fjellbirken beugen sich unter der Last des Neuschnees, am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen und die Welt um uns herum glitzert verführerisch. Es ist, als hätte man uns auf einem Postkartenmotiv platziert oder in einem sich ständig verändernden Kunstwerk mit Fjellpanorama. Wir folgen der Loipe, die sich wie ein glänzendes Band durch das jungfräuliche Winterparadies zieht. Frisch gespurt und in jeder Hinsicht perfekt. »In Lillehammer sind die Loipen Ehrensache. Sobald es aufhört zu schneien, wird gespurt. Die Straßen werden erst danach geräumt«, erzählt Barbro und lacht.
Die norwegische Skiseele
Als wir nach etwa 30 Kilometern den Wald verlassen und erschöpft im Birkebeinerstadion ankommen, dämmert es bereits. Hier wären wir ins Ziel gekommen, wenn wir 1994 mit dabei gewesen wären. Genau davon haben wir Anfang der 80er Jahre geträumt, als wir uns Runde um Runde in der beleuchteten Loipe in Värmland vorwärtskämpften. Jetzt ist unsere Motivation eher das Gegenteil. Wir wollen bewusst so lange wie möglich unterwegs sein und das Skifahren und die Natur ausgiebig genießen. Dazu kommt, dass wir älter geworden sind und unser Ehrgeiz nicht mehr ganz so groß ist wie in unserer Jugend. In Norwegen hat man auch eine etwas andere Einstellung zum Skifahren als in Schweden, wie mir Barbro erklärt. Alles geht etwas entspannter zu.
»Ich bin während der letzten Jahre in meiner Skiseele ziemlich norwegisch geworden. In Schweden ging es immer eher um Training und Wettkämpfe, alles war auf das Ergebnis ausgerichtet. Hier geht es mehr um den Genuss und um das Naturerlebnis an sich«, erklärt Barbro. Ich bin dann wohl auch eher eine norwegische Skiseele, denke ich. Hatte nicht meine Oma Vorfahren aus dem Gudbrandsdalen?! Liegen nicht eigentlich dort meine Wurzeln? Vielleicht sollte ich auch nach Lillehammer ziehen. Dann hätte ich das halbe Jahr über dieses Winterparadies vor der Haustür. Ich überlege ernsthaft, wie ich den Umzug meiner Familie schmackhaft machen könnte. Und wie ich meine Frau am besten davon überzeugen könnte, ihre Festanstellung als Opernsängerin in Göteborg zu kündigen.
lillehammer.com
#2 Europas grösste Hochebene
Das Langlaufgebiet Numedal erreicht man über die Hardangervidda, die größte Hochebene Europas. Das über 300 Kilometer lange Loipennetz wird jedes Jahr frisch präpariert und verläuft durch Berge und Täler mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Das Plateau Dagalifjell im Osten der Hardangervidda bietet die größte Auswahl an Langlaufloipen. Weitere Loipen befinden sich in Nore, Tunhovd, Dagali und im Zentrum von Uvdal. Auch abseits der Loipen bietet Numedal gute Möglichkeiten für Langläufer.
uvdal.no
#3 Höhentraining in Jotunheinen
Mit mehr als 200 Gipfeln in über 2000 Metern Höhe ist Jotunheimen das höchste Gebirge Skandinaviens. Das Gebiet in der Provinz Oppland ist für seine gute Schneelage bekannt und ein Highlight für Wintersportler. Bis in den Sommer hinein kann man hier die Gegend unsicher machen. Die meisten der gespurten Loipen liegen in Sjodalen und um den Lemonsjøen-See herum. Weitere Loipen sind in der Region Stoa Sæter und in Grotli zu finden – insgesamt 520 Kilometer. 18 Kilometer sind beleuchtet und können auch nach Einbruch der Dunkelheit befahren werden.
visitjotunheimen.com
SCHWEDEN
#4 Die schönste Loipe Schwedens
Im Funäsfjällen in der historischen Provinz Härjedalen fallen im Winter mindestens fünf Meter Schnee. Manchmal auch mehr. Das Nordic Ski Center besitzt eines der größten Loipensysteme der Welt – mit Touren sowohl für Anfänger als auch Profis. Insgesamt sind 300 Kilometer gespurt. Die Loipen verlaufen durch tiefen Fichtenwald, lichten Birkenbewuchs und über die Baumgrenze hinaus. Die Mittåkläpps-Loipe am Ramundberget gilt als schönste Loipe Schwedens. Auf der 13 Kilometer langen Route locken immer wieder Ausblicke über einsame Gebirgslandschaften.
funasfjallen.se
#5 Mit den Profis unterwegs
Das Skigebiet Idre Fjäll in der Provinz Dalarna bietet abwechslungsreiche Übungsstrecken – sogar die schwedische Nationalmannschaft trainiert hier. Das gespurte Loipennetz ist insgesamt 82 Kilometer lang. Auf 30 Kilometern weisen Flutlichter nach Einbruch der Dunkelheit den Weg. Ein schönes Ausflugsziel ist Grövelsjön an der norwegischen Grenze, knapp 50 Kilometer in nordwestlicher Richtung. Das Fjäll-Gebiet lockt mit 100 Kilometern präparierter Loipen. Fernab der markierten Wege garantieren geführte Touren einen sicheren Skispaß. Nach Idre kommt man am besten mit dem Fjällexpress, der jeden Winter von Stockholm, Göteborg und Kopenhagen nach Norden fährt.
idrefjall.se
#6 Nördlich des Polarkreis
Der Hausberg der nordschwedischen Stadt Gällivare ragt mit 823 Metern über die Fjälllandschaft hinaus. Die Saison am Dundret startet bereits Ende Oktober und dauert bis Anfang Mai. Wer sich auf Wettkämpfe vorbereiten möchte, findet hier zahlreiche schöne Trainingsstrecken. Man kann sein Können auf Skiern auch im Skizentrum des Hellnerstadions testen. Rund um Dundret gibt es insgesamt elf Langlaufstrecken mit gut gespurten Loipen. Fünf Kilometer sind beleuchtet und können auch zu späterer Stunde sicher befahren werden.
dundret.se
#7 Generalprobe für den Wasalauf
Långberget im schwedischen Värmland gilt als bestes schwedisches Langlaufgebiet außerhalb des Fjälls. Auf dem Bergkamm befinden sich rund 80 Kilometer lange Loipen. Von dort hat man eine fantastische Sicht über die umliegenden Wälder. Wer noch etwas unsicher auf Skiern steht, hat die Chance, an einem Kurs mit Lars Göran Pettersson, einem ehemaligen Trainer der schwedischen Nationalmannschaft, teilzunehmen. Für alle, die sich auf den Wasalauf vorbereiten, ist Långberget der ideale Trainingsort. Die 25 Kilometer lange Wasa-Loipe hat es in sich.
langberget.se
FINNLAND
#8 Wildes Lappland
Das Fjällzentrum Kiilopää liegt am Eingang zum Urho-Kekkonen-Nationalpark, der nach einem ehemaligen finnischen Präsidenten benannt ist. Die Region bietet sportliche Outdoor-Aktivitäten jeder Art. Das Loipennetz ist gut gespurt und kreuzt stellenweise den Nationalpark – ideal für Langlauftouren durch die Wildnis Lapplands. Die Strecke ist insgesamt 190 Kilometer lang. Wer möchte, kann auch an einer geführten Tour teilnehmen, die auf das individuelle Niveau der Teilnehmer zugeschnitten ist. Entlang der Loipen gibt es Rastplätze und Übernachtungsmöglichkeiten. Die umliegende Natur bildet den perfekten Rahmen für aktive Urlaubstage. Mit etwas Glück, kann man hier Rentierenden in freier Wildbahn beobachten.
kiilopaa.fi
#9 Tunnelblick im Sommer
Viele der großen finnischen Skilangläufer haben ihre Ausbildung in Vuokatti an der Ostgrenze zu Russland erhalten. Dort liegt ein bekanntes Sportzentrum – ein Muss für alle, die in der Skiszene dieses skiverrückten Landes etwas werden wollen. Die Saison in Vuokatti ist lang. Eigentlich kann man das ganze Jahr Ski laufen – sogar im Sommer. Hier wurde nämlich der erste Skitunnel der Welt gebaut. Er ist acht Meter breit, 1,2 Kilometer lang und hält konstant Minustemperaturen. Die Loipenlänge beträgt insgesamt 150 Kilometer, von denen 120 Kilometer sowohl für Skating als auch auch für klassischen Stil geeignet sind. 32 Kilometer sind beleuchtet. In Vuokatti findet auch jedes Jahr der Skimarathon »Hiihto« statt, an dem mehr als 2000 Langläufer teilnehmen.
vuokatti.fi
#10 Skiverrückte Stadt
Gleichermaßen bekannt und bedeutsam für den nordischen Skisport ist die Stadt Lahti, die 100 Kilometer nördlich von Helsinki liegt. Schon sechs Nordische Ski- Weltmeisterschaften haben hier in der Vergangenheit stattgefunden. Das aber ist nicht alles: Jedes Jahr im März finden hier die »Lahti Ski Games« statt, ein Festival mit diversen Wettkämpfen in den Disziplinen Skisprung, Nordische Kombination und Skilanglauf, das Ski-Fans und Aktive aus aller Welt anlockt – seit 1923. Der Besucherrekord liegt bei 450 000 Schaulustigen.
lahti.fi