Der Künstler Ólafur Elíasson ist so vieles. Däne isländischer Herkunft, Philosoph und Mathematiker, Realist und Traumtänzer. Und seine Arbeit? Natürlich künstlich.
»Stellen Sie sich einmal vor, Sie stehen mitten in der Natur Islands. In der Ferne erheben sich zwei große Berge in den Himmel, Sie fragen sich, wie weit sie wohl weg sind – ein paar Stunden, Tage oder sogar Wochen? Erst, wenn Sie sich in Bewegung setzen und die Berge entweder näherkommen oder aber so groß und weit weg erscheinen wie vorher, bekommen Sie ein Gefühl für die Entfernung und den dreidimensionalen Raum, in dem Sie sich befinden.«
So antwortet Ólafur Elíasson oft, wenn man ihn fragt, was seine Kunst bewegt. Dann redet er schnell wie ein Wasserfall, wirkt dabei unnahbar wie die Sonne – und hat beides schon geschaffen. Im New Yorker Hudson River ließ er Milliarden Liter Wasser von Gerüsten herabstürzen und errichtete 2003 im Tate Modern in London eine künstliche Sonne. Ein Pulk aus zwei Millionen Menschen ging hin, der Name Elíasson hinaus in die Welt.
VOM SEHEN ZUM ERLEBEN
Es riecht nach verstaubtem Dachboden und ein bisschen nach frischer Farbe im edlen Erdgeschoss des Moderna Museet in Stockholm. Von Weitem erscheint Elíassons Moss Wall als ein riesiges Gebilde, als dicker, grob gestrickter Pullover aus Island.
Erst von Nahem offenbaren sich Tausende kleine Äste, verschiedene Pigmente – eine Fülle an Leben und Vergänglichkeit. Das akribisch auf ein Fischernetz gespannte Moosgebilde muss ständig erneuert werden. Nicht so der Meteorit Touch, der buchstäblich nur einen Steinwurf entfernt hängt. Er steht für Ewigkeit, Ursprung. Und deutet an, dass wir hier in Ólafur Elíassons Universum angekommen sind.
»Identity is a compilation of where you spend time«, sagte Elíasson, der Däne aus Island mit Wohnsitz in Berlin, dem britischen Guardian in einer der vier Sprachen, die er perfekt beherrscht (dt. Identität ist eine Sammlung der Orte, wo wir Zeit verbringen). Geprägt von schwierigen Familienverhältnissen, ergriff er schon in jungen Jahren die Flucht in die Kunst. Er hielt einen Stift über ein Blatt Papier und ließ ihn von den Wellen bewegen, die wiederum das Boot, in dem er saß, bewegten. Wenig später stellte er für sich fest, dass es bei Kunst vielmehr um die Herstellung von Kontakt als um Abkopplung geht. Bis heute werden seine Werke von dieser Überzeugung bestimmt.
TRAUMHAFTE WIRKLICHKEIT
Die mystische Dunkelheit rund um die Installation Beauty vermengt sich mit dem Geruch von Kraftstoff. Nicht nur zu sehen – zu fühlen ist ein Vorhang aus Wasserdunst, der von einem einzelnen Theaterscheinwerfer angestrahlt wird. Viele seiner Kunstwerke scheinen getrieben von der Diskrepanz, die auch sein Leben definiert: die moderne, technologisierte und auf Hochglanz polierte Welt als Konterpart seiner naturverbundenen Herkunft, der gewaltigen Landschaften und natürlichen Materialien, die sich ihm dort erschließen.
ERLEBBARE KUNST
Da ist ein Labyrinth aus farbigen Planen, ein mit Natriumlicht gefüllter Raum, der wie ein begehbarer Instagram-Filter wirkt und der Sandstorm Park, in dem Luftdruck einen einfachen Gartenschlauch über den sandigen Boden peitschen lässt und in eine Art Wüstenschlange verwandelt, die um ihre Freiheit kämpft.
Das Kopfkino ist gewollt. Seeing yourself seeing (dt. sich selbst sehen sehen), ist, was er will und erreicht – wenn auch nicht alleine. Hinter dem prominenten Aushängeschild Ólafur Elíasson steht ein Team aus 90 Mitarbeitern, das einen wertvollen Wissenspool aus Architektur, Ökologie, Kunstgeschichte und Technologie bildet.
Und so entsteht in den 5 000 Quadratmetern einer ehemaligen Brauerei im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, wo Elíasson sein Studio hat, immer wieder Kunst, die erlebbar sein will. Sie soll uns anstatt nur zum Konsumieren zum Produzieren anregen – und uns letztlich in unserer anstatt in der Welt des Künstlers ankommen lassen.