Camping-Liebe auf Dänisch
Ob Norwegens Fjorde, Schwedens Fjäll oder Finnlands Wälder – die nordische Natur bietet außergewöhnlich dramatische Zeltplätze. Doch wie ist es um die Outdoor- Kultur im vergleichsweise unaufgeregten Dänemark bestellt?
Während meiner Kindheit in einem Vorort von Kopenhagen spazierte ich jeden Tag auf dem Weg zur Schule an Auffahrten mit exotischen, cremefarbenen Wohnwagen vorbei, die Geschichten über Abenteuer aus ganz Europa trugen und damit meine eigenen Gedanken auf die Reise schickten: Welche Erlebnisse hatten diese mysteriösen Karawane schon hinter sich? Ich habe es nie herausgefunden, weil das Schlafen in Wohnwagen oder Zelten in meiner Familie einfach keine Option war, um Urlaub zu machen. Später aber habe ich festgestellt, dass es für viele meiner Freunde und Bekannten der wahre Schlüssel zu rundum glücklichen Ferien ist. Was bedeutet also das Campen für uns Dänen?
Eine Hommage an die Campinghistorie
Camping entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Nordamerika und tauchte bei uns in Dänemark erstmals Ende der 1920er Jahre auf, als die ersten Zeltplätze in fahrradfreundlicher Entfernung außerhalb der Städte angelegt wurden. Was mit einfachen Behausungen aus weißem Baumwollstoff und Bambusstangen begann, entwickelte sich in den 60er Jahren zum Autotourismus mit Zelt, während in den 90ern die ersten Campingmobile in Mode kamen.
Jetzt, über 100 Jahre später, hat der Dänische Campingverband (DCU) Europas erstes Campingmuseum am Schloss Egeskov auf der Insel Fünen eröffnet. Besucher können hier die Geschichte des dänischen Camping- und Outdoor- Lebens im Zeitraffer erleben: von den Anfängen in kleinen, zugigen Baumwollzelten über die Retro-Idylle im Wohnwagen bis hin zum hochmodernen Glamping- und Outdoor-Leben von heute. Bei Letzterem sieht der Geschäftsführer von Schloss Egeskov, Henrik Neelmeyer, eine stetig steigende Nachfrage. »Heute brauchen wir alle mehr denn je einen ruhigen Platz abseits der Hektik unseres modernen Lebens. Einen Ort, an dem wir im Moment innehalten und eine natürliche Nähe zueinander genießen können, die entsteht, wenn wir gemeinsam draußen sind«, sagt Henrik.
Die DCU wurde 1926 gegründet und ist die größte Interessenvereinigung für Campingbegeisterte in Dänemark. Heute betreibt der Verband 20 Zeltplätze im ganzen Land und hat sich zur Aufgabe gemacht, sowohl die Campingerlebnisse für seine 50 000 Mitglieder ständig zu verbessern als auch immer mehr Leute zu einem naturnahen Urlaub zu inspirieren. Die DCU arbeitet dafür auch mit über 400 Campingplätzen in ganz Europa zusammen.
»Die Eröffnung des Outdoor- und Campingmuseums geht Hand in Hand mit dem Hauptzweck der DCU, eine Umgebung zu schaffen, die uns Dänen zum Campen motiviert, und Raum abseits des hektischen Alltags zur Verfügung zu stellen«, sagt Anne-Vibeke Isaksen, CEO von DCU. Der Verband beobachtet nicht nur ein zunehmendes Interesse an der Natur, sondern auch das Aufkeimen einer neuen Generation von Outdoor- Enthusiasten, die die Normen des traditionellen Campings auf den Kopf stellt.
»Die jüngeren Menschen hier zu Lande sind weniger daran interessiert, ein eigenes Wohnmobil zu kaufen. Sie ziehen es vor, Hütten oder Shelter zu mieten oder in Zelten mit etwas mehr Komfort als nur einer Luftmatratze zu übernachten. Sie scheinen sich viel mehr auf nachhaltigen Tourismus zu konzentrieren, möchten der Natur näherkommen und dabei einen geringstmöglichen Fußabdruck hinterlassen«, sagt Thomas Svensson, Senior Marketing Manager bei DCU.
Paradigmenwechsel für mehr Freiheit
Glücklicherweise hat die Dänische Naturbehörde kürzlich die Regeln für das Campen in der Wildnis geändert. Ein uraltes Prinzip der Großzügigkeit, auch bekannt als Jedermannsrecht, ermöglicht Naturliebhabern in anderen skandinavischen Ländern seit jeher den nahezu uneingeschränkten Zugang zu öffentlichem oder privatem Land, Seen und Flüssen. Dänische Camper, die hoffen, sich mit dieser Freiheit langsam an ihre Nachbarländer anzupassen, können jetzt immerhin in 275 Wäldern im Land frei campen und dürfen für eine Nacht ihr Zelt außerhalb von vorgeschriebenen Plätzen aufstellen. Allerdings immer noch mit gewissen Reglementierungen.
Ein weiterer erfahrener Akteur auf dem nordischen Outdoor-Markt, der ein zunehmendes Verlangen nach Natur feststellt, ist Nordisk. Ursprünglich im Daunengeschäft tätig, wurde Nordisk 1901 als Firma mit Namen Northern Feather gegründet und ist heute für seine Zeltprodukte auf dem europäischen Outdoor-Markt bekannt.
Wie der Rest der Welt mussten auch die Dänen ihre Reisen während der Pandemie auf näher gelegene Orte umlegen. Nordisk erlebt daraus resultierend eine unerwartete Nachfrage nach Glamping-Produkten – ein Wortspiel und gleichzeitig Konzept aus Glamour und Camping, das so beliebt ist wie nie zuvor. Statt kleinen Funktionszelten liegen nun große weiße Planen, die ursprünglich von luxuriösen Safari- Lodges in Afrika verwendet wurden im Trend und vermitteln den etwas mehr Komfort liebenden Campern ein Gefühl von Luxus inmitten der Natur. Ein gemütliches Campingerlebnis, das Raum für Zweisamkeit und »Hygge« schafft ist ein wiederkehrender gemeinsamer Nenner in der dänischen Kultur.
Klimafreundlicher Tourismus
Egal, ob man sich nach extremen oder achtsamen Outdoor-Erlebnissen sehnt, bei Nordisk glaubt man, dass die Verbindung mit der Umwelt einem höheren Zweck dient: »Je mehr Zeit die Menschen in der Natur verbringen, desto mehr wollen sie sie schützen«, sagt Else Sørup, Head of Global Marketing bei Nordisk.
Tourismus wird zukünftig nach nachhaltigen, klimafreundlichen und lokalen Erlebnissen mit Schwerpunkt auf Naturabenteuer und Kulinarik streben, so Lars Kjerulf Petersen, dänischer Senior Scientist in Future Studies and Tourism. »Der neue Tourist reist gewissenhafter, macht klimafreundlicheren Urlaub und setzt sich für Nachhaltigkeit, lokale Entwicklung und Umweltschutz ein. Er wird vom Eskapisten zum Idealisten werden«, prognostiziert Lars.
»Hygge« im Zelt
Es scheint also, dass für die neue Generation dänischer Outdoor-Enthusiasten, Camping vor allem ein Gemeinschaftsgefühl und »Hygge« ist, das eine Brücke zur Natur schafft und die Campingkultur in Dänemark damit neu erfinden könnte.
Während das Campen für uns Dänen vielleicht nicht bedeutet, unter extremen Bedingungen auf Berggipfeln seine Grenzen in hochfunktionalem Zeltequipment zu testen, so schafft es Raum für Zusammengehörigkeit – sowohl unter uns Menschen als auch mit der Natur. Ich selbst werde bald meine ersten eigenen Campingerfahrungen wagen, indem ich einfach mal ein Zelt in meinem Garten aufstelle und es mit »Hygge« vollstopfe, um zu schauen, ob meine kleine Tochter es sich darin mit mir gemütlich machen mag.
Das 2 000 m2 große Camping- und Outdoor-Museum wurde am 1. Mai 2021 eröffnet. Mit über 250 000 Besuchern pro Jahr ist Egeskov eine der größten Touristenattraktionen in Dänemark.
Das Land hat mehr als 1 000 Naturgebiete und 275 Wälder in ganz Dänemark, wo man für eine Nacht ein Zelt auch außerhalb von Campingplätzen aufstellen darf. egeskov.dk, dcu.dk, naturstyrelsen.dk