Auf der Suche nach dem Sinn der Sauna
Für viele Nordländer liegt das Saunabad irgendwo im Grenzbereich zwischen Fanatismus und Religion. Auf einer Bergstation im schwedischen Fjäll haben wir einen veritablen Missionar besucht.
Jahrelang habe ich mich quer durch das ganze Land gesaunt, von der Rauchsauna im finstersten Tornadal bis zur holzbeheizten Trockensauna in Ribergsborgs Kaltbadehaus in Malmö. In der Originalsauna meiner Großmutter im ländlichen Finnland hatte man mich alle Regeln der Saunakunst gelehrt. So verfiel ich immer wieder in philosophische Grübeleien darüber, wie die ideale Sauna beschaffen sein müsste. Und endlich (nachdem ich ein Jahr gequengelt hatte) bekam ich den Auftrag für meine Traumreportage. Er lautete: Geh auf die Jagd nach der perfekten Sauna.
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Wenn man unter schwedischen Sauna-Profis herumfragt, dann führen alle Wege zu Staffan Lindberg, dem die fünfzehn Berghütten des schwedischen Tourismusverbands (STF) zwischen Ammarnäs in Lappland und Grövelsjön im südlichen Fjäll unterstellt sind. Diese Hütten stehen im Sommer den Wanderern und Kletterern offen, im Winter den Skiläufern. Sie sind mit einfachen Schlafräumen und Kochgelegenheit ausgestattet – und mehrere von ihnen neuerdings mit Sauna.
Das ist Staffan Lindberg zu verdanken. Er hat sich in den letzten zehn Jahren als Vorkämpfer der Saunakultur in diesen Breitengraden profiliert, sozusagen als Sauna-General des STF. Obwohl unter seinen eigenen Truppen die Skepsis gegen den Saunabau im Hochgebirge verbreitet war (dort fehlt nämlich eine wichtige Zutat: das Holz), hat Lindberg seine Mission unbeirrt weitererfolgt. Und das erweist sich nun als Geniestreich. Überall dort, wo man eine Sauna eingebaut hat, sind die Belegungszahlen gestiegen, ohne dass irgendwelche anderen Verbesserungen vorgenommen wurden.
Wenn Staffan behauptet, dass die Sauna von Stensdalen im jämtländischen Fjäll die beste von allen ist, dann tut man gut daran, auf ihn zu hören. „Um die Qualität einer Sauna zu beurteilen, muss man mehrere Faktoren in Betracht ziehen“, erklärt er, als wir uns an einem sonnigen Wintertag bei Stensdalen treffen. Ich bin auf Skiern gekommen, Staffan Lindberg mit dem Schneescooter. „Dass sie mit Holz beheizt werden muss, versteht sich von selbst. Wichtig ist auch die Lage – am besten mit Aussicht über das Fjäll. Und dann möchte man natürlich Zugang zu einem Jokk haben, einem Wasserlauf, in dem man sich abkühlen kann.“
Die Kulturgeschichte der Sauna
Vor dem abendlichen Saunagang richte ich mich in einem der Vierbettzimmer ein und hole mein Lieblingsbuch hervor, „Die finnische Sauna“ aus dem Jahr 1946, verfasst von dem finnischen Dampfbad-Orakel H.J. Viherjuuri. Es ist vermutlich das beste Werk über die Kulturgeschichte der Sauna, das je geschrieben wurde. Die Vorstufen dieser Erfindung werden bis in die Wikingerzeit zurückverfolgt. Dabei stellt sich heraus, dass die frühe schwedische Saunakultur mit der finnischen eng verwandt ist, dass aber die Sauna noch im 17. Jahrhundert auch im übrigen Europa relativ verbreitet war.
Viherjuuri schreibt: „Die finnische Sauna ist nicht einfach eine Art Kompromiss zwischen dem trockenen römischen Heißbad und dem feuchten russischen Dampfbad, aber sie vereint in sich die Vorteile von beiden. In einer gut geheizten finnischen Sauna ist die Luft trocken. Man schwitzt zuerst darin, und wenn man dann einen Aufguss macht, wird die Luft feuchter und ‚zwickt‘ die Haut. Die finnische Sauna ist die einzige der Welt, die sowohl trockene als auch feuchte Luft bietet. Das römische Bad ist immer trocken, während die russische Dampfsauna stets eine hohe Luftfeuchtigkeit aufweist.“
Jetzt ist es an der Zeit, klassischen Boden zu betreten, den persönlichen Kandidaten des Generals für den Titel „die perfekte Sauna“ zu begutachten. Schon am „Altar“ wird klar, dass die Sauna von Stensdalen mit großer Sorgfalt gefertigt wurde: Auf dem finnischen Narvi-Ofen liegen Milchquarzkristalle, in der Umgebung von Hand gesammelt. Göran Wiig, der Erbauer der Sauna, hat sich bei Morgenspaziergängen mit seinen Hunden die Taschen davon vollgestopft, als er im warmen Sommer 1999 hier arbeitete.
Staffan, der Saunageneral, nimmt auf der obersten Bank Platz. Von seiner enormen Energie kann man sich leicht erschlagen fühlen, er hört nicht auf zu reden, er bestürmt einen mit seinem ununterbrochenen Wortstrom. Bei seiner Überzeugungsarbeit kommen ihm vermutlich die Jahre zugute, in denen er als Verkäufer für den Stiefelhersteller Lundhags tätig war. Ich merke, dass ein Tornado auf der obersten Saunabank gelandet ist, und ich staune nur, dass er so lange stillsitzen kann. Vielleicht ist das hier tatsächlich seine Schnellstraße zur Entspannung, wie man es aus seiner Theorie über die perfekte Sauna heraushören kann.
„Die Seele des Saunabades ist die Ruhe und Stille, die eine abgeschiedene Lage mit sich bringt. Am schönsten ist eine kleinere Sauna, nicht zu heiß, mit viel Dampf und mit einer Gelegenheit zum kalten Tauchbad draußen vor der Tür. Nach einer solchen Saunakur ist die Haut glatt wie ein Kinderpopo, du wirst ruhig und entspannt, es geht dir körperlich und seelisch sofort besser. Nach einem stressigen Arbeitstag fühlst du dich wie neugeboren.“
Staffan Lindberg hat einen erstklassigen Sauna-Geschmack. Die Wärme ist wunderbar wohltuend, und der Gedanke, dass man sich in einer einsamen, unwegsamen Landschaft befindet, würzt das Erlebnis mit intensivem Wildnis-Aroma. Von den Steinen steigt der heiße Dampf auf, der auf Finnisch „löyly“ heißt, was von der Ursprungsbedeutung her ein Synonym für Geist, Seele, ja sogar Leben ist. So war auch die Rauchsauna in alten Zeiten ein Ort, wo man geboren werden und sterben konnte.
Auf dem Weg zum Jokk führt Staff an mir die Duschkonstruktion vor, mit einem Griff, der aus dem Eimerboden ragt, „das habe ich auf einer Safari in Masai Mara gesehen“. Man hat das deutliche Gefühl, dass es hier an nichts fehlt, es gibt sogar Petroleumbeleuchtung und einen Petroleumofen, der den Umkleideraum schnell aufheizt, obwohl draußen beißende Kälte herrscht.
Staffan zeigt mir das Loch im Eis des Flüsschens Stensån und schildert anschaulich, wie es hier im Sommer zugeht: Zwischen den Steinen des Baches hat man ein Bassin ausgegraben (mit einem Minibagger, der per Hubschrauber angeliefert wurde – es wird an nichts gespart, wenn es darum geht, das perfekte Sauna-Umfeld zu schaffen).
Jetzt ist das Eisloch nicht größer als ein kleiner Brunnen, aber es reicht, um darin zu stehen und sich mit dem Wassereimer zu begießen. Was für ein Gefühl! Im Hintergrund erhebt sich das Lillstensdalsfjäll, die blaue Stunde zieht herauf, und gleich kehren wir zurück in die perfekte Sauna. Mir ist klar,dass ich mein Ziel erreicht habe. Besser als hier kann es nicht mehr werden.
Nach dem Saunabad lese ich im Schein der Stearinkerzen weiter in Viherjuuris Bibel, über die Ursachen, die zur Erfindung der Sauna führten. Der Ursprung des Schwitzbades lässt sich eindeutig in den Waldgebieten der nördlichen Erdhalbkugel ansiedeln: In den Zeiten der harten, mühevollen Schwendwirtschaft, also der Brandrodung zwecks Gewinn von Ackerland, diente es den Arbeitern dazu, ihre geplagten Körper zu regenerieren.
„Wir wissen“, schreibt Magister Eino Nikkilä, „dass viele finno-ugrische Volksstämme das Saunabad eher zum Schwitzen als zur Reinigung benutzen. Nach dem langen Arbeitstag ist es wichtig, die Glieder aufzuweichen, um die Arbeitskraft zuerhalten.“ Kurz gesagt, es gibt zwei Grundbedingungen für die Entstehung der Sauna: harte Arbeit und Waldwuchs. Heutzutage besteht die harte Arbeit oft in der Jagd nach dem Abenteuer. Aber die Sauna wird immer noch gebraucht. Und die beste ist gerade gut genug.