Verlorene Vielfalt: Das Geschäft mit dem Zuchtlachs
Das Geschäft mit Zuchtlachs aus Skandinavien ist längst zu einer lukrativen Einnahmequelle geworden. Eine Entwicklung, die für die Natur nicht ohne Folgen bleibt.
Kreisrunde Netzgehege, die nur knapp aus dem Wasser herausragen. Auf den ersten Blick sind Lachsfarmen zwischen den sanften Wellen des Atlantiks kaum sichtbar – und dennoch gehören sie mittlerweile an vielen Orten zum Landschaftsbild, wenn man eine Fahrt entlang der norwegischen Küste unternimmt. Seit Jahren ist das Land Nummer eins, wenn es um die Produktion von Zuchtlachs geht. Mehrere Tausend der im Meer versenkten Zuchtbehälter gibt es, in denen so jedes Jahr über 1,2 Millionen Tonnen Lachs produziert werden – ein Viertel des weltweiten mLachsbestandes.
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Lachszucht als eine der erfolgreichsten Industrien Norwegens gilt. Gleichzeitig sieht sie sich allerdings auch wachsender Kritik ausgesetzt: Zum einen liegt dies an den Zuchtbedingungen, zum anderen rücken aber auch die ökologischen Konsequenzen der vielen Lachsfarmen in den Fjorden in den Fokus. Insbesondere der natürlich in den norwegischen Gewässern lebende Wildlachs ist gefährdet, wie zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. »Immer wieder gelingt es Zuchtlachsen, aus den Netzgehegen auszubrechen. Sie konkurrieren dann mit ihren wilden Artgenossen und verdrängen sie – mit schwerwiegenden Folgen für das ökologische Gleichgewicht in unseren Flüssen«, erklärt Sten Karlsson. Sten arbeitet für das Norsk Institutt for Naturforskning NINA, einer von zahlreichen Einrichtungen, die sich mit den Auswirkungen der Lachszucht auf die Umwelt beschäftigen.
Zuchtlachs an der Angel
Jedes Jahr untersucht Sten mit seinem Team Norwegens Flüsse. Im jüngsten Report von 2017 nahmen sie so die genetische Entwicklung von 175 Wildlachspopulationen im gesamten Land unter die Lupe. Die Ergebnisse zeichnen ein drastisches Bild: »Mittlerweile gibt es Flüsse, in denen es für einen Angler wahrscheinlicher ist, einen Zuchtlachs oder Nachkommen eines Zuchtlachses zu fangen als einen Wildlachs «, sagt Sten. »In den norwegischen Fischfarmen leben rund 400 Millionen Zuchtlachse – in den letzten fünf Jahren sind circa 10 000 bis 300 000 Zuchtlachse pro Jahr in die Wildnis entkommen. Selbst wenn nur ein Bruchteil eines Prozents der Farmfische durch Unfälle, Wellengang oder Löcher in Netzen aus den Gehegen ausreißt, hat dies verheerende Auswirkungen auf das natürliche Gleichgewicht. Die Farmen müssen Buch führen – jedes Jahr entkommen bis zu 300 000 Zuchtlachse in die Wildnis.«
Domestizierte Fische
Im Zuge einer wachsenden Nachfrage nach Lachs begann man, in den 1970er Jahren die Fische im großen Stil zu züchten – in Netzgehegen, wie man sie heute zu Tausenden vor der norwegischen Küste findet. »Ursprünglich hat man die Lachse so ausgewählt, dass spezifische genetische Eigenschaften gestärkt wurden – zum Beispiel schnelleres Wachstum oder eine größere Körpergröße um den Ertrag für die Nahrungsmittelindustrie zu steigern. Heute hat der Zuchtlachs daher andere genetische Voraussetzungen als sein wilder Verwandter. Man kann das etwa mit Hund und Wolf vergleichen«, sagt Sten. Gerade hierin liegt die Gefahr. Die gezüchteten Lachse sind in der Natur lange nicht so überlebensfähig. »Viele sind schwach und sterben sehr schnell, da sie nicht an das Leben in Freiheit angepasst sind. Aber die, die es schaffen, pflanzen sich mit dem wilden Lachs fort – und geben ihre genetischen Eigenschaften weiter.
Das Ergebnis sind Lachse, die ebenfalls nicht mehr so widerstandsfähig sind und ihre unvorteilhaften Gene weitergeben«, sagt Sten. Aquakulturen bieten nicht nur den Lachsen gute Lebensbedingungen, sondern auch Parasiten. »Das unnatürlich hohe Vorkommen an Fischläusen wirkt sich auch auf die Wildlachse aus – mit dem Ergebnis, dass deren Zahl weiter reduziert wird. Junge Tiere sind besonders gefährdet«, sagt Sten. Sollte der Wildlachs aussterben, resultieren daraus unabsehbare Folgen für das ökologische Gleichgewicht. Dabei betrifft die Problematik nicht nur Norwegen. Weltweit sind die Wildlachsbestände aufgrund des Fish Farmings stark gefährdet.
Gefahr gleicher Fehler
Ein Beispiel: Island. Auch hier sei die Lachspopulation in Gefahr, wie Fridleifur Gudmundsson vom North Atlantic Salmon Fund erklärt. Die NGO setzt sich bereits seit Mitte der 1990er Jahre für den Schutz und Erhalt des Atlantischen Lachses ein. »Die isländische Regierung prüft gerade einen Gesetzesentwurf, der unsere derzeitige Lachsproduktion innerhalb von drei Jahren von 10 000 auf 70 000 Tonnen erhöhen würde. Im Gegenzug sprechen wir von gerade einmal 50 000 freilebenden laichfähigen Wildlachsen in den Gewässern der Insel.
Wenn das Gesetz durchkommt, stehen die wildlebenden Vertreter 30 Millionen Zuchtlachsen gegenüber. Wir hoffen inständig, dass Island nicht den gleichen Fehler wie Norwegen macht«, sagt Fridleifur.
Druck auf die Industrie
Aquakulturen und ihre Folgen – auch ein Dokumentarfilm hat sich nun der Thematik angenommen. Artifishial heißt das Werk des Regisseurs Josh Murphy, der Mitte April im isländischen Ingólfsskáli seine Europapremiere feierte. »Artifishial ist ein Film über die Zukunft wilder Fische und die Arroganz des Menschen«, erzählt Josh, der unter anderem auch im nordnorwegischen Alta drehte. »Hier gibt es eines der größten Wildlachsvorkommen Norwegens und wir waren von Anfang an von der beeindruckenden Natur fasziniert.
Aber auch in Alta ist der Wildlachs von den Folgen des Fish Farmings stark betroffen – etwa durch Umweltschäden oder Fischläuse«, sagt Josh, der in dem kleinen Ort an der nordnorwegischen Küste mit seinem Team zu einer Fischfarm schwamm und mit versteckter Kamera filmte. »Wir waren nur 30 Minuten dort – und trotzdem waren wir erschüttert, welche Schäden die Farmen anrichten können«, sagt er. Mit seinem Film möchte Josh Menschen dafür sensibilisieren, behutsamer mit der Natur umzugehen und Lachs nicht als reine Nahrungsquelle, sondern als Lebewesen zu betrachten. »Es geht dabei nicht allein um die Fische, sondern auch um unsere eigene Zukunft«, sagt Josh.
Es sind Forderungen, die auch Experten wie Fridleifur Gudmundsson unterstützen. Denn längst gibt es von verschiedensten Seiten aus Appelle an die Politik, die Fischzucht strenger zu reglementieren. Besser gesicherte Gehege, Sterilisation oder landbasierte Fischfarmen könnten es den Zuchtlachsen unmöglich machen, sich mit ihren wilden Artgenossen zu vermehren. Auch Genbanken sind eine Möglichkeit, die genetische Variation der Wildlachse zu bewahren.
Letzteres wird bereits versucht – gestaltet sich aber schwieriger als gedacht. Als im Hardangerfjord nahe Bergen jedoch Lachse für eine Genbank gefangen wurden, hatten nur zwei von zwölf gefangenen Individuen keine Zuchtfischgene – ein Ergebnis, das in Zukunft durchaus häufiger auftreten könnte. Denn auch wenn die Zahl der aus den Farmen entkommenen Lachse in jüngster Vergangenheit leicht rückläufig war: Noch sind die vielen offenen, nur knapp über die Meeresoberfläche hinausragenden Netzgehege vor den Fjorden prägend für die norwegische Küstenlandschaft. Norwegens Regierung hat trotz der Warnung der Wissenschaft bis heute übrigens nur wenig Initiative gezeigt. Bis zum Jahr 2050 will man die Lachszucht um das Fünffache vergrößern. Premierministerin Erna Solberg sprach bereits von einer »Industrie mit großer Zukunft«.