Auf dem Hof Lida im småländischen Järnforsen hat man nach allen Himmelsrichtungen schöne Ausblicke in die südschwedische, von hügeligen Weiden und dunklen Wäldern geprägte, Natur. Ein idealer Ort für Matildas Hofmolkerei Räven & Osten (dt. der Fuchs und der Käse), wo sich gerade 500 Liter Milch langsam in Käse verwandeln.
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»Ich bin eigentlich Molekularbiologin, aber ein passender Job war in vertretbarer Entfernung von unserem Hof nicht zufunden«, sagt Matilda Johansson, während sie in aller Ruhe Lab in den Käsekesseln verrührt. Vor sieben Jahren hat sie ihre eigene Molkerei gegründet. Der Auslöser dafür war ein Artikel, den sie einige Jahre zuvor gelesen hatte, über eine Frau, die eine Hofmolkerei betrieb. Matilda nahm Kontakt mit ihr auf und durfte bei der Molkereihandwerkerin ein Praktikum machen. »Sie hat mich gewarnt: Die Arbeit in der Molk- erei besteht zu 90 Prozent aus Abwasch. Und sie hatte recht«, schmunzelt Matilda. Wenn man Käse herstellt, muss alles klinisch sauber sein; keine gefährlichen Bakterien dürfen in die Milch gelangen. Aber die lebenswichtige Bedeutung einer zuverlässigen Spülmaschine ist nur eines der Dinge, die man im Käsereikurs bei Räven & Osten lernt.
Hippes Käsemachen
Matilda führt uns in den Vorgang des Pasteurisierens ein und erklärt uns die Unterschiede zwischen verschiedenen Bakterienkulturen. Die Kultur, die bei der Herstellung von Blauschimmelkäse verwendet wird, darf beispielsweise auf keinen Fall mit der Milch in Berührung kommen, die einmal zu Weißschimmelkäse werden soll. Matilda misst Temperaturen und pH-Werte und schreibt alles akribisch in ihr kleines Logbuch. »Selbst wenn ich alles ganz genauso mache wie beim vorigen Mal, wird der Käse immer etwas anders geraten. Das ist wie beim Backen von Sauerteigbrot. Das Ergebnis kann vom Wetter beein usst werden oder auch von dem, was die Kühe vor dem Melken gefressen haben.«
Matilda ist eine der Molkereihandwerkerinnen, die dazu beigetragen haben, dass das Renommee schwedischer Käsesorten in den letzten Jahren kräftig gestiegen ist. Dasselbe gilt für Kerstin Jürss, die gemeinsam mit ihrem Mann die Molkerei Jürss betreibt und außerdem Verbandsvorsitzende der schwedischen Hofmolkereien ist. Sie sagt, dass die Verhältnisse jetzt vollkommen anders sind als noch vor 25 Jahren. »Es ist ziemlich cool geworden, Käse zu machen. Unsere Mitglieder sind zahlreicher und jünger. Früher waren es meist Leute mittleren Alters, die eine Hofmolkerei nebenbei als Hobby betrieben. Heute hingegen sind es junge Menschen, die sich unsere uralten Traditionen von der Pike auf aneignen, um sich damit ein solides Unternehmen aufzubauen.«
Für manche steht eindeutig fest, wo die Renaissance des schwedischen Käses ihren Anfang nahm: im Dorf Skärvången in Jämtland. Dort gründeten die Pioniere Tor und Roland Norrman in den späten Achtzigerjahren eine Ziegenfarm mit mobiler Molkerei. Es dauerte nicht lange, bis ihr exquisites Ziegenkäsesortiment über Jämtlands Grenzen hinaus und dann auch international bekannt wurde. Gourmetjournalisten pilgerten in Scharen zu dem kleinen Dorf im jämtländischen Fjäll.
Auch die Gastronomie war in den letzten Jahren sehr hilfreich; viele Restaurantbesitzer verstehen sich darauf, lokale Produzenten ins Licht zu rücken. Kerstin Jürss glaubt, dass es für den Aufschwung des schwedischen Käses noch andere Ursachen gibt. »Erstens ist die Qualität hoch und zweitens sind die Abnehmer vorwiegend jüngere Leute, die bewusst lokale Erzeugnisse mit begrenzter Produktionsmenge wählen und auch die Aspekte von Umwelt und Tierhaltung berücksichtigen wollen.«
Coole Ziegen
In Höjdens Ziegenmolkerei in Småland ist die Melkzeit gerade vorbei und die Ziegen hüpfen frei draußen auf der Weide herum. Alle haben Namen und manchmal kommen sie mit auf einen Spaziergang, genau wie Hunde.
In meinem Käse schmeckt man deutlich das Terroir von der schonischen Milch.
Yvette und Mario Wenzel sind eher durch Zufall zu Ziegenbauern geworden. »Wir hatten uns schon immer für Selbstversorgung inte- ressiert. Als dann zwei junge Zicklein bei uns landeten, merkten wir, wie cool das ist mit den Ziegen«, sagt Mario. Damals wohnten sie noch in einem normalen Haus, jetzt leben sie auf einem Hof, gemeinsam mit 40 Ziegen. Sie stel- len vor allem verschiedene Sorten von weichem Ziegenkäse aus unpasteurisierter Milch her. »Das rockt einfach mehr. Nein, im Ernst, die Milch hier ist so perfekt, dass es ganz unnötig ist, die guten Bakterien durch Pasteurisierung abzutöten«, erklärt Mario.
Im Hofladen wird Kaffee mit frischer Ziegenmilch serviert, dazu einige der hauseigenen Käseprodukte. Sie schmecken frisch und säuerlich, das Ziegenaroma ist unverkennbar, aber nicht aufdringlich. »Ziegenmilch eignet sich gut für weiche Käse- sorten. Um Hartkäse herzustellen, braucht man erheblich mehr Milch, dafür müssten wir sehr viele Ziegen halten«, sagt Yvette.
Die Grundlagen des Käsemachens haben sie bei Eldrimner gelernt, einer schwedischen Organisation, die sich dem widmet, was man heute Lebensmittelhandwerk nennt. Das Kompetenzzentrum von Eldrimner ist in Jämtland stationiert und hier werden unter anderem nationale Handwerksmeisterschaften in Disziplinen wie Bäckerei, Getränkeherstellung oder Fischveredlung veranstaltet. Das Fachwissen wird über Bücher, Kurse und Youtube verbreitet. Fast jeder, der in Schweden das Molkereihandwerk betreibt, hat mindestens einen Käsereikurs bei Eldrimner durchlaufen.
»Von Milchproduzenten, die ihr Produkt veredeln möchten, bis hin zu Leuten, die sich einfach für Lebensmittel, das Landleben oder eine Firmengründung interessieren, haben wir bunt gemischte Teilnehmergruppen. Außerdem kommen viele erfahrene Käser, um regelmäßig ihre Kenntnisse aufzufrischen und sich Inspiration zu holen«, berichtet Sofia Ågren, die bei Eldrimner für die Molkereibranche verantwortlich ist. Der Anfängerkurs bei Räven & Osten ist einer der Lehrgänge, für den man sich über Eldrimner anmelden kann.
Geduld und Augenmass
Ein großer Teil des Käsemachens besteht aus warten. Die Milch braucht Zeit, um nach der Pasteurisierung abzukühlen, es dauert eine Weile, bis die Käsemasse gerinnt, und dann nimmt es einige Zeit in Anspruch, die Masse in formbare Stücke zu teilen.
»Je härter der Käse ist, den man herstellen möchte, desto kleiner sollten die Stücke sein. Allerdings auch nicht zu klein, sonst wird der Käse trocken«, sagt Matilda und zieht ein Gerät, das man »Harfe« nennt, durch die flüssige Käsemasse. Während eines Kurstages in der Käserei schaffen wir es immerhin bis zur Formung der Käsemasse. Jeder hat sein Sieb, wir schöpfen und schöpfen. Dann muss der Käse dreimal gewendet werden, bevor er über Nacht ruhen darf. Matilda erzählt vom Salzen, von der Lagerung und von verschiedenen Schimmeltypen und sie lässt uns von einigen der fertigen Käselaibe probieren: Weißschimmel, Blauschimmel, Weichkäse und noch einige andere. Jetzt, wo wir wissen, wie viel Arbeit dahintersteckt, schmecken sie besonders köstlich. »Ich habe gerade einen neuen Käse kreiert, eine Art Raclettekäse, aber er ist noch nicht reif«, verrät Matilda – nicht ohne einen gewissen Stolz.
Die Milch, die in ihrer Molkerei verarbeitet wird, stammt vom Nachbarn. So ist es bei den meisten kleinen Molkereien: Wer kein eigenes Vieh hat, verarbeitet einfach die Milch von umliegenden Gehöften zu Käsespezialitäten. Auch bei Smålands Ost in Vrigstad kommt die Milch von verschiedenen Höfen in der Umge- bung. Hier wird der löchrige Hartkäse namens »Hemost« (dt. Heimatkäse) hergestellt, der als småländisches Kulturerbe klassi ziert ist.
Malin Kumberg von der winzigen Privatmolkerei Ådala in Skåne holt die Milch mit Biozerti kat selbst von einem sieben Kilometer entfernten Hof ab. »Und dann verarbeite ich sie in einem 100-Liter-Kessel. In meinem Käse schmeckt man deutlich das Terroir der schonischen Milch.« Ihre Käsesorten benennt Malin nach den Sternen am Himmel.
Es passieren gerade so viele neue und coole Sachen in der schwedischen Käseszene.
Von hart zu weich
In früheren Zeiten wurde auf schwedischen Höfen fast nur Hartkäse hergestellt. Das hatte praktische Gründe. So wurde die Milch haltbar gemacht, die man sonst hätte wegschütten müssen. Heute produzieren die schwedischen Handwerksmolkereien vor allem Dessertkäsespezialitäten, für die sie sich unter anderem aus Frankreich, England oder Italien Inspirationen holen. Überraschender ist die Nische, die Linda Elvingson in der Hofmolkerei von Ängsholmen nördlich von Uppsala für sich entdeckt hat: Sie macht ihren eigenen Büffelmozzarella. »Es passieren gerade so viele neue und coole Sachen in der schwedischen Käseszene«, schwärmt sie. Es war ihr Vater, der die Büffel vor ein paar Jahren anschaffte. Sie selbst ist von Haus aus Lebensmittelagronomin und hatte nicht die geringste Ahnung, wie man Mozzarella herstellt. Nachdem sie es ein paar Monate lang auf eigene Faust versucht hatte, reiste sie in die süditalienische Region Kampanien, um die Technik vor Ort zu erlernen.
»Jetzt, acht Jahre später, lerne ich immer noch. Die Käserei ist ein Handwerk und ich glaube, dass es genau das ist, was die Leute an dieser Branche so anzieht: etwas mit den Händen machen zu können.« Inzwischen kann Linda ihre gesamte Produktion restlos verkaufen und oft bildet sich eine Schlange vor dem Hofladen. »Ich weiß gar nicht, ob die Kunden begreifen, was für ein Luxus das ist: Was morgens noch Milch war, ist jetzt Käse. Wenn ich daran denke, habe ich das Gefühl, dass es die ganze Anstrengung wert ist.«