»Völlig irre.« Johan Sörberg sucht nach den richtigen Worten, während er aus dem Fenster schaut. »So etwas habe ich noch nie erlebt.« Auf dem Schotterweg vor der kleinen Bäckerei, die bald öffnen wird, zieht sich eine Menschenschlange an der Kuhweide vorbei. Ist sie 50 Meter lang? Oder 100 Meter? »Eigentlich verrückt, wenn man bedenkt, dass wir mitten im Wald liegen«, sagt Johan und schiebt ein weiteres Baguetteblech in den Ofen. In einem ehemaligen Stall im Dorf Trantorp, westlich von Eskilstuna, befindet sich die Bäckerei Svart/Verkstan, die Johan, der zuvor mehrere renommierte Bäckereien in Stockholm geleitet hat, Ende 2019 eröffnete. Die ersten in der Schlange sind Eva Lunde und Lena Larsson aus Eskilstuna, die den verführerischen Duft der Brötchen einatmen. In den Regalen türmen sich kunstvoll geschnittene Sauerteigbrote, Brötchen mit Sanddorn und Croissants mit Schokoladen- und Orangenfüllung sowie Wecken mit Ricotta, Hafer und Blaubeer- oder Nussfüllung. »Wenn man einmal Johans Brot probiert hat, will man nichts anderes mehr essen. Aber man muss früh kommen, denn am Nachmittag kann alles weg sein«, sagt Eva.
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Die Qual der Wahl
Auch Rocco Gustafsson ist Stammkunde bei Johan. Er ist verantwortlich für die Aptitrundan (dt. Appetitrunde), die an diesem Septemberwochenende stattfindet. Sie wird von dem Verein Sörmlands Matcluster organisiert. »Als wir 2010 das ersten Event ins Leben riefen, nahmen 13 Hofläden, Restaurants, Brauereien und Lebensmittelhandwerker teil; heute sind es fast 100 und rund 60.000 Besucher«, erzählt Rocco. »Gäste können ihre eigene Tour nach ihrem Geschmack zusammenstellen.«
Das Tolle ist, dass so viele den Weg zu Orten im Nirgendwo finden.
Zur Feier des Wochenendes hat Johan mehrere Freunde und Nachbarn eingeladen und so eine Miniatur-Aptitrundan auf seinem Hof geschaffen. Es gibt Büffelmozzarella und Büffelburger aus Sörmland, Rindfleisch mit dem Öko-Siegel von einem nahe gelegenen Bauernhof, Wildsalami, Grillsaucen, Marmeladen und lang gereifte Käse. An einem der Tische verkauft die Nachbarin Marie Karlström Eiscreme in den Geschmacksrichtungen Zitrone-Salbei, Thymian-Honig und Rosmarin-Braune Butter. Die Kräuter baut sie selbst an, und der Honig stammt von Johans Bienen.
Eichenwälder und Strohballen
Jeden Samstag können Besucher des Gutshofs Magda in Västra Näshulta normalerweise bei einem geführten Spaziergang durch die Eichenwälder mehr über die Kühe erfahren, die zu den ältesten Landrassen Schwedens gehören. »Aber aufgrund der Aptitrundan sind so viele Leute da, dass der Bauer in die Küche springen musste«, erklärt Eva Eneblad, die den Hof seit fast zehn Jahren leitet.
Der Gutshof wurde 1244 erbaut und ist einer der ältesten Höfe Sörmlands. Heute ist er um ein Café, ein Restaurant, einen Flohmarkt und einen Hofladen erweitert worden. In der rustikalen Taverne Magdakullan, die in einem ehemaligen Stall untergebracht ist, werden Drängens-Burger (dt. Burger des Knechtes) und andere Gerichte aus dem ökologischen Rindfleisch des Hofes serviert, aber auch selbst gefangener Zander aus dem See Hjälmaren, Wildfleisch aus den umliegenden Wäldern und sörmländischer Grillkäse. Im Innenhof sitzt Anders Möller, der Produkte aus eigens angebautem Chili verkauft. »Das Tolle an der Aptitrundan ist, dass sich zahlreiche kleine Lebensmittelhandwerker aus Sörmland präsentieren können«, sagt Eva. »Und dass so viele Leute zu Orten im Nirgendwo finden.«
Fichtensprossen und Birkenblätter
In Hälleforsnäs zwischen Eskilstuna und Flen wurde 1659 eine Eisengießerei in Betrieb genommen. In ihrer Blütezeit war sie eine der größten in Nordeuropa, doch 1997 ging sie in Konkurs. Seitdem haben sich auf dem Gelände, das jetzt Framtidsbruket heißt, völlig neue Unternehmen angesiedelt. In der ehemaligen Personalkantine wird heute Pizza mit sörmländischem Kaviar serviert, und im alten Pförtnerhaus im Erdgeschoss ist die Handwerksmolkerei Jürss untergebracht. Hier kann man preisgekrönte Käsesorten wie Tannenrindenkäse und den lokalen Blauschimmelkäse Sörmlands ädel probieren. Zum Nachtisch gibt es süßsaures Fichteneis, serviert von Lena Engelmark Embertsén, die den benachbarten Laden Högtorp gård betreibt. Sie und ihr Mann Ola Engelmark pflücken Fichtensprossen, Birkenblätter und andere Wildpflanzen und verarbeiten sie mit traditionellen Methoden wie Fermentieren zu köstlichen Aromen.
»Das nächste Projekt ist Steinpilz-Eis«, sagt Lena. »Wir haben versucht, eine Variante mit Büffelmilch und den Pilzen herzustellen, die bei der Herstellung von Steinpilzöl übrig bleiben, und das Ergebnis ist ein sehr schöner, nussiger Geschmack.« Ein Stück weiter hat Karin Liljegren ihr schwarzes Kastenfahrrad geparkt und Gläser mit Sauerkraut, Kimchi, Rhabarbersalz, Rhabarberchutney und Rhabarbermarinade aufgestapelt. Karin leitet das neu gegründete Unternehmen Eskilstuna matkultur und möchte Lebensmittel mit historischen Verbindungen zu Sörmland hervorheben. Als Verkäuferin gibt sie ihr Debüt auf der Aptitrundan, nachdem sie viele Jahre lang Besucherin war. »Es ist eine Ehre, hier zu sein, aber ich vermisse es, selbst zu all den wunderbaren Höfen zu reisen.« Ebenfalls zum ersten Mal dabei ist Johan Ek, der die Kleinbrauerei Stallarholmens Brygghus in einem ehemaligen Kuhstall inmitten von Pferdekoppeln am Rande von Stallarholmen betreibt. Er stellt Bier aus Malz her und benennt die Sorten nach Orten in der Umgebung.
Ich vermisse es, selbst zu all den wunderbaren Höfen zu reisen.
Das Sortiment umfasst Selaön Lager, Solåkra American Pale Ale, Gesta Pilsner und Mälsåker IPA. Das populärste Bier der Brauerei ist Najudden, ein Stout mit Lakritzgeschmack. Johan kümmert sich auch um übrig gebliebenes Brot aus der örtlichen Bäckerei und braut daraus Bier. Das Ergebnis heißt Bröl und schmeckt je nach Art des übrig gebliebenen Brotes unterschiedlich. »Das können Zimtschnecken, Körnerkuchen und alles Mögliche sein«, sagt Johan. Jessica Sobiecki und ihr Mann Markus haben während der Aptitrundan auf ihrer ganz eigenen Bier-Verkostungstour bei Johan einen Stopp eingelegt. »Das macht mehr Spaß, als zwischen den Kneipen in Stockholm umher zu laufen. Man muss nur etwas planen und die Haltestellen an den örtlichen Bus anpassen.«