Eigentlich müsste Tormod Amundsen gar nicht erklären, wie er arbeitet. Sein Architektenbüro spräche für sich. An der Wand hängen Entwürfe, eine Landkarte, Fotos von Vögeln und von fertigen Objekten. Licht fällt von mehreren Seiten ein, Amundsen hat direkten Ausblick auf das Ufer der Barentssee. Aufgeräumt ist es nicht, man einigt sich darauf, das Chaos kreativ zu nennen. Er arbeitet gemeinsam mit drei Kollegen in Varanger, im äußersten Nordosten Norwegens, und entwirft Schutzhütten, Windunterstände und Aussichtsplattformen für Vogelbeobachter.
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Geschäftsleute und andere Architekten in dem Ort Vardø, wo sich der eigentlich aus dem südlicheren Trondheim stammende Amundsen mit seinem Architekturbüro niederlassen wollte, hatten ihm davon abgeraten, sich auf Unterstände für Vogelbeobachter zu spezialisieren. In Vardø herrschte Pessimismus, die Menschen dort leiden unter dem Rückgang der Fischerei und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit. »Niemand glaubt hier, dass irgendetwas gelingen kann. Andererseits wussten wir um das riesige Potenzial, das bis dahin niemand abgerufen hatte«, sagt der Architekt.
Touristische Initialzündung
Das Potenzial von Varanger sind die Natur und die Vögel. Amundsen ist selbst Vogelbeobachter und hatte sich während des Studiums darüber gewundert, dass zwar viel über CO2-Emissionen gesprochen wurde, es aber kaum Architekten gab, die sich mit Vögeln, Wildtieren und der Natur als solche beschäftigten. Anstatt sich darüber zu beschweren, wollte er derjenige sein, der daran etwas ändert. »Meine Idee war es, die Fähigkeiten des Vogelbeobachters mit denen des Architekten zu kombinieren.« 2009 eröffnete Amundsen das Architektenbüro »Biotope«. Sein Ziel: dem Naturtourismus in der Region die Initialzündung verleihen. Projekte allein aus dem Zweck des Naturschutzes zu initiieren, sei zwar toll, so Amundsen, wenn dabei aber gleichzeitig die Region wettbewerbsfähig gemacht werden könne, sei das noch besser.
Ohne Windschutz könnte man nur einige Minuten an diesen Stellen verbringen, ohne zu frieren.
Amundsen arbeitete anfangs zum Teil ohne Bezahlung und errichtete erste Stationen zur Vogelbeobachtung. Jedes Bauwerk hat ein eigenes Design, individuell abgestimmt auf den Standort und das dortige Vogelvorkommen. Das Wichtigste, so Amundsen, sei der Umgang mit dem Wind, denn selbst im Sommer ist es in Varanger, das am Polarkreis liegt, recht kühl. Ein Unterstand am sogenannten Vogelcliff ist so konstruiert, dass man von dort aus direkt in das Cliff schauen kann. Ein anderer ragt ins Meer hinein, und wieder ein anderer ist so positioniert, dass man bis zu 30000 Eiderenten zur gleichen Zeit sehen kann. Ohne Windschutz könnte man nur einige Minuten an diesen Stellen verbringen, ohne zu frieren. Mit der Hilfe von Amundsens Bauten können die Vogelbeobachter dort stundenlang ausharren.
Mit der Hilfe von Schemata für die gesamte Region wird entschieden, wo nicht nur ein Unterstand, sondern eine ganze Serie von Windschutzvorrichtungen gebaut wird. »Ein unterschätzter Teil des Jobs ist es, zu entscheiden, wo nicht gebaut wird«, so der Architekt. Dabei handle es sich vor allem um Orte, an denen viele Vögel brüten. Vor der Eröffnung des Architekturbüros »Biotope« war Varanger bereits unter Vogelexperten bekannt. 2 500 bis 3 000 Menschen kamen jährlich, um Vögel zu beobachten.
Die Zahlen haben sich inzwischen fast verdreifacht, auf 7 000 bis 8 000 im Jahr. Die Hotels in Varanger haben expandiert und neue Leute eingestellt. Ähnliches gilt für Gästehäuser. Nicht nur Männer mittleren Alters reisen an, sondern auch Paare, Familien und junge Leute wollen das Naturspektakel mit bis zu 100 000 Vögeln sehen. Während früher die relevante Reisezeit Mitte Mai war, kommen die Beobachter inzwischen ab Mitte Februar. Und auch Unternehmen und Organisationen sind inzwischen interessiert daran, mit »Biotope« zusammenzuarbeiten.
Ganzheitliche Perspektive
In diesem Herbst sind die Architekten damit beschäftigt, ein Vogelberingungsprojekt zu organisieren, das dazu beiträgt, die Wanderung von Vögeln anhand von individuellen Kennziffern nachzuvollziehen. In seinem Beruf sollte man nicht ausschließlich am Schreibtisch sitzen und Gebäude entwerfen, findet Tormod Amundsen: »Die Ausbildung zum Architekten hilft auch, Ideen und Konzepte zu entwickeln.« Die Hälfte der Zeit verbringen er und seine Kollegen damit, Projekte wie ein Vogelfestival zu organisieren, und Regionen zu kartografieren. »Wir versuchen, den Beruf ganzheitlich anzugehen«, sagt Amundsen. Inzwischen gibt es nicht nur Nachfrage aus ganz Norwegen, sondern auch aus anderen Ländern. Im Vereinigten Königreich wird 2015 der erste Unterstand errichtet, und auch in Island besteht Interesse, Touristen in Gebiete mit besonderem Vogelaufkommen zu locken.
Ein unterschätzter Teil des Jobs ist es, zu entscheiden, wo nicht gebaut wird
Der Klimawandel sei inzwischen deutlich zu spüren, sagt Amundsen. Einige Arten würden im Sommer nicht mehr in Varanger bleiben, sondern in den noch kühleren Norden ziehen. Die Vögel seien ein wichtiger Teil des Ökosystems – gehe es ihnen nicht gut, wirke sich das auf das natürliche Gleichgewicht aus. »Um Menschen dazu zu bewegen, sich verstärkt für ein Ökosystem zu interessieren, müssen sie sich als Teil dessen fühlen«, sagt Amundsen, »und an dieser Stelle versuchen wir, so viel wie möglich beizutragen.«