Fotografie: Islands Impressionismus
Für den Fotografen Lukas Gawenda ist Island ein faszinierendes Gesamtkunstwerk der Natur, das sich im ewigen Wandel und Werden befindet. Für seine Inselaufnahmen steigt er auf Berge und ins Flugzeug – und bringt abstrakte Bilder mit, die in jedem modernen Museum ihren Platz hätten.
Bereits bei der Ankunft im Flughafen Keflavík bleibt mein Blick an einem großformatigen Plakat hängen. »Iceland – Dreaming of the Elements«, verkündet es in feinster Werbemanier. Und doch ist es tatsächlich genau das, was ich seit meinem letzten Rückflug aus Island getan habe: Von dieser gewaltigen Natur zu träumen, in der Wasser, Erde, Feuer und Luft allgegenwärtig sind – Elemente, die diese Landschaft geprägt haben und unaufhörlich an einem riesigen Gesamtkunstwerk arbeiten. Immer wieder staune ich über diesen ständigen Schöpfungsprozess im Bilderbuch der Erdgeschichte, den ich mit meinen Fotografien dokumentieren darf.
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Selbstschutz der Wildnis
An meinen ersten Island-Besuch mit vier Jahren erinnere ich mich noch durch die Bilder meiner Eltern – und durch ein traumatisches Erlebnis: Ich hatte meinen geliebten Teddybären in der Hütte von Landmannalaugar vergessen – und dies erst auf dem Rückflug bemerkt. Als mein Vater, Roland Schweizer, dann beim nächsten Mal in seine zweite Heimat Island aufbrach, hatte er daher einen wichtigen Auftrag im Gepäck: den Bären zu suchen und zu finden. Leider kam er ohne Erfolg zurück. In den folgenden Jahren hat er mir immer wieder mit leuchtenden Augen von seinen Fotowanderungen durch das isländische Hochland erzählt und als ich elf Jahre alt war, wollte ich endlich selbst herausfinden, was diese Faszination ausmachte. Seitdem wächst sie stetig auch in mir.
Allerdings bin ich nicht der Einzige. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Island-Touristen mehr als verzehnfacht. Gerade an den Hauptorten des »Golden Circle« (isl. »Gullni hringurinn«; Touristenroute von Reykjavík durch das südliche Hochland; Anm. d. Red.) vergeht mir vor lauter Menschenmassen inzwischen das Träumen und ich stelle mir die Frage, wie viele Menschen die empfindliche isländische Natur eigentlich verkraften kann. Zum Glück besteht die Insel noch immer zu neunzig Prozent aus unbewohnter Wildnis. Einer Wildnis, die sich auch dadurch schützt, dass sie in den schönsten Teilen nur etwa drei Monate im Jahr zugänglich ist, danach ihren Winterschlaf hält und in der sich mit Flüssen und Bergen natürliche Hindernisse in den Weg legen und Lavapisten Massentourismus verhindern. Hier finde ich immer wieder mein Island – und in glücklichen Momenten auch mich selbst.
Tanz auf dem Vulkan
Es war ein unbeschreibliches Erlebnis, den gewaltigen Ausbruch des Bár›arbunga-Vulkans im September 2014 aus nächster Nähe und sogar aus der Luft erleben zu dürfen. Den Blick auf den explodierenden Krater am Rande des mächtigen Vatnajökull-Gletschers, die Hitze des Magmas im Gesicht, das Klirren der erstarrenden Lava in den Ohren – ein Naturschauspiel, das ich niemals vergessen werde. Voller Aufregung und mit mulmigem Gefühl stieg ich in das kleine Flugzeug. Während der Einweisung durch den Piloten, dachte ich nur: »Hoffentlich wird mir nicht so übel wie bei meinem ersten Flug.« Dann aber zog mich der Blick über die grandiose Landschaft in seinen Bann, vertrieb alle Sorgen und verschaffte mir ein unbeschreibliches Freiheitsgefühl.
Das Fotografieren und Filmen aus einer kleinen Cessna bei geöffnetem Fenster, horizontal fliegendem Hagel und eisigem Wind war durchaus eine Herausforderung. Doch beim direkten Blick in das eruptierende Magma vergisst man praktisch alles um sich herum. Dies ging wohl auch unserem jungen Piloten bei seinem ersten Flug über einen aktiven Vulkan so. Als unsere Cessna über der schwarzen Lavafläche urplötzlich wie im Aufzug nach oben gerissen wurde, hatte er nicht bedacht, dass unter der erkalteten Oberfläche noch tausend Grad heiße Lava floss. In Verbindung mit den eiskalten Fallwinden des in unmittelbarer Nähe liegenden Vatnajökull-Gletschers entwickelte diese brisante Verbindung von Feuer und Eis eine thermische Dynamik, die uns einen unfreiwilligen Lift bescherte. Mit etwas Abstand vom Boden bekam er den Flieger zum Glück wieder unter Kontrolle.
Ewiger Wandel
Selbst dieser Schockmoment konnte mich auch in den folgenden Jahren nicht davon abhalten, immer wieder in die Luft zu gehen. Um Bilder zu finden, die ich mir in meiner kühnsten Fantasie nicht vorstellen kann, abstrakte Kunstwerke, geschaffen durch die Natur selbst: Die Farben- und Formenvielfalt der Sanderflüsse an der isländischen Südküste. Das leuchtende Rot des Eisenoxids und das vom sauren Moorboden gelöste Gelb, vereint vor der Kulisse des schwarzen Lavasandes. Flüsse, die sich wie Adern durch die Vulkanlandschaft ziehen. Ich erlebe, wie sich diese Muster kontinuierlich verändern, wie immer wieder neue Strukturen entstehen und andere verschwinden. Für mich sind sie ein Symbol einer Welt, die sich im Werden und in einem ewigen Wandel befindet, in der – wie von Heraklit und Platon beschrieben – »alles fließt«.
Dieses Panta rhei kommt in meinen Bildern zum Ausdruck. Ja, manchmal muss man tatsächlich abheben, auf einen Berg steigen oder in ein kleines Flugzeug, um die ganze Schönheit dieser wilden, einsamen Landschaft zu begreifen und diesen Naturimpressionismus mit der Kamera einzufangen. Ich spüre ein überwältigendes Glücksgefühl in Anbetracht dieser Schönheit, die von den Elementen gestaltet wurde. Das mit anderen Menschen zu teilen und so eine andere Sicht auf scheinbar Bekanntes zu vermitteln: Das kommt meinem Traum von Island sehr nahe.