In den letzten Jahrzehnten sind Schwedens Bauern immer ärmer und immer älter geworden. Doch nun hat eine neue Generation zur Landwirtschaft gefunden, die das traditionelle Wissen über Pflanzenanbau und Tierhaltung wiederentdeckt. Und sie sind keine Nostalgiker, sondern Pioniere.
Dass Erika Olsson einmal an den Ort ihrer Kindheit zurückkehren und den Hof ihrer Eltern übernehmen sollte, hätten die meisten in ihrer Umgebung nicht für möglich gehalten, am allerwenigsten sie selbst. Als sie 1993 mit der Schule fertig war, hatte sie einen festen Plan: Sie wollte weg vom Hof ihrer Familie, in die Stadt ziehen und Schauspielerin werden. Die Gegend, aus der sie stammt – Sättersta nordöstlich von Nyköping –, würde sich ausgezeichnet für eine internationale Werbekampagne für das Landleben in Schweden eignen. Rot gestrichene Scheunen, Kieswege, wogende Kornfelder, Eichen und stille Waldseen prägen die Landschaft. Der beste Beweis dafür ist vielleicht die Tatsache, dass das ZDF hier die »Inga Lindström«-Filme dreht, die als romantische Verklärung des schwedischen Landlebens zur Zeit wohl unübertroffen sind.
Aber Erika Olsson sehnte sich fort. Wo andere das naturschöne Idyll erblickten, sah sie nur Tristesse und Landflucht. »Damals war hier alles so tot. Also zog ich nach Stockholm, besuchte die Theaterschule und ging mit meinem kleinen Ensemble in einem alten braunen Volvo auf Tournee.« Für Vreta Gård sah die Zukunft düster aus. Es gibt den Hof schon seit dem Mittelalter. Aber mit seinen vierzig Hektar Ackerfläche war er in einer Zeit, die in der Größe die einzige Chance zur Rettung landwirtschaftlicher Betriebe sah, überhaupt nicht konkurrenzfähig.
Unser Traum ist eine eigene Biogas-Anlage über dem Misthaufen, aber das wird teuer.
Heute, zwanzig Jahre später, gehört dieser kleine sörmländische Bauernhof zu den Gewinnern. Die Wende für den Hof und für Erika Olsson kam mit der ökologischen Landwirtschaft – und mit einem gleichaltrigen Landwirt aus Västergötland. »Es war sehr schwierig, von der Schauspielerei zu leben. Um mir ein Einkommen zu verschaffen, begann ich eine Ausbildung zur Agrarwissenschaftlerin. Bald merkte ich, dass mir dieser Beruf wirklich gefiel, und ich machte Schluss mit dem Theater«, erzählt Erika Olsson. »Dann traf ich Torbjörn, der auf einem Hof mit ökologischer Milchproduktion aufgewachsen war. Im Jahr 2003, als unser erster Sohn Alexius geboren wurde, beschlossen wir, Vreta Gård von meinem Vater zu übernehmen und auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. «Und sie fügt hinzu: »Wenn wir den Hof nicht ökologisch betreiben könnten, wäre ich wohl niemals wieder hier gelandet.«
Ideal und Wirklichkeit
Das bäuerliche Leben besitzt für viele Schweden eine fast magische Anziehungskraft: Sie verfolgen es in Fernsehserien und träumen davon, irgendwann »aufs Land zu ziehen«. Auch im übrigen Skandinavien ist dieses Phänomen zu beobachten. Die dänische TV-Serie »Bonderøven«, die von dem strebsamen Kleinbauern Frank Ladegaard Erichsen und seiner Familie handelt, läuft jetzt im fünften Jahr, hat fast 200 000 Fans auf Facebook und ist schon in allen nordischen Ländern gezeigt worden.
In der Realität aber sinkt die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe stetig. Im Jahr 2011 haben etwa 1600 schwedische Bauern ihren Beruf aufgegeben. Auch hier handelt es sich um ein internationales Phänomen. In Norwegen hat sich die Zahl der Landwirte seit Beginn des neuen Jahrtausends um fast vierzig Prozent verringert. Unter jüngeren Bauern ist ein noch stärkerer Rückgang zu verzeichnen. Und der Trend hält schon seit Langem an. Ein Beispiel in Zahlen: Anfang der Sechzigerjahre gab es in Västerbotten rund 17 000 Kleinbauern, 1995 waren es nur noch 3600.
Die Milchproduktion dagegen war im selben Zeitraum von 123 000 auf 125 000 Tonnen gestiegen. Vergrößerung und Effizienzsteigerung haben dazu geführt, dass zur Nahrungsmittelherstellung immer weniger Menschen benötigt werden. In Billiglohnländern mit großzügigen Regelungen für Tierhaltung und Schädlingsbekämpfung ist ernsthafte Konkurrenz herangewachsen. Die schwedischen Bauern werden immer weniger und immer älter. Es gibt jedoch eine Ausnahme. Und zwar die Landwirte, die ökologisch arbeiten. Im Jahr 2011 ist die Anzahl ökologisch geführter Bauernhöfe in Schweden um 220 gestiegen. In der Region Stockholm gab es einen markanten Zuwachs kleiner Landwirtschaftsbetriebe zwischen zwei und zehn Hektar zu verzeichnen. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten scheint sich die junge Generation wieder der Landwirtschaft zuzuwenden – wie Erika Olsson.
Wachstum um jeden Preis?
Die Philosophie – oder, wenn man so will, Geschäftsidee – der Ökobauern ist das genaue Gegenteil von den Prinzipien, nach denen die industrielle Landwirtschaft arbeitet (und mehr oder weniger die gesamte Wirtschaft): Wachstum ist gut. Aber nur, wenn es zugleich ökologisch nachhaltig ist. »In der industriellen Landwirtschaft ging es lange Zeit nur darum, den Ertrag der Anbauflächen zu maximieren und die Tiere so schnell wie möglich zu mästen. Der Preisdruck von Seiten der Abnehmer war so groß, dass viele keinen anderen Weg mehr gesehen haben. Der Landwirt wurde nicht für die Qualität seiner Erzeugnisse bezahlt, sondern nach Menge«, sagt Torbjörn Olsson.
Der Hof ist eben unser ein und alles.
Er und Erika gehen den entgegengesetzten Weg. Ihr Hof bezieht seine Einnahmen aus dem Verkauf von Schweine-, Lamm- und Rindfleisch. Zurzeit haben sie von jeder Sorte etwa hundert Tiere, mit dem langfristigen Ziel, die Anzahl zu verdoppeln. Damit wäre die Grenze dessen erreicht, was im Verhältnis zur Hofgröße ökologisch vertretbar ist. Die Tiere werden nämlich nur mit dem gefüttert, was die eigenen Felder hergeben oder was sie auf der Weide finden. Auf die Felder wiederum kommt nur der Dung der eigenen Schweine, Schafe und Kühe. Es werden weder Kunstdünger noch Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet.
Der Hof ist ein geschlossener Kreislauf – beinahe. »Wir kaufen Kalk für den Ackerboden und Mineralstoffe für die Tiere, und wenn ein Tier richtig krank wird, dann geben wir Antibiotika. Aber die Karenzzeit für Medikamente ist bei uns fast doppelt so lang wie in der konventionellen Landwirtschaft. In manchen Ländern ist es ja sogar erlaubt, den Tieren vorbeugend Antibiotika zu verabreichen, damit sie gar nicht erst krank werden«, erklärt Torbjörn. Und fügt hinzu: »Leider können wir zurzeit noch nicht auf Diesel verzichten. Unser Traum ist eine eigene Biogas-Anlage über dem Misthaufen, aber das wird teuer. Wir kennen vier Höfe, die sich zusammengetan haben, um eine Biogas-Tankstelle zu betreiben. Das wäre vielleicht auch für uns eine Möglichkeit.
Lokal produziert, lokal gehandelt
Die Olssons verkaufen nicht an Großabnehmer. Mehrmals in der Woche füllen sie ihren Kühlwagen mit Filets, Würsten und anderen Fleischwaren, hängen ihn ans Auto und fahren zu den Märkten der umliegenden Kleinstädte wie Malmköping, Trosa und Mariefred. »Wir verkaufen auch direkt an Cafés, Restaurants und einen kleinen Dorfladen in Gnesta« erzählt Erika. »Der Kontakt mit den Kunden macht uns unglaublichen Spaß. Das ganze Thema der lokal erzeugten ökologischen Produkte macht die Leute so neugierig, dass sich viele Gespräche und Kontakte ergeben. Und davon profitieren wir natürlich.«
Wenn man, wie ich, einige Tage mit Erika und Torbjörn Olsson verbringt, wird deutlich, wie stolz die beiden auf ihren Hof sind. Sie berichten, wie sie nach Pflanzensorten suchen, die auf natürliche Weise resistent gegen Schädlinge sind, wie sie die Bodenqualität verbessern, indem sie Hülsenfrüchte in die Fruchtfolge einbauen, und dass sie sehen können, wie sich in den zehn Jahren, seit sie den Hof übernommen haben, die biologische Artenvielfalt erhöht hat. Der Handlungsspielraum auf Vreta Gård ist allerdings klein – Erika und Torbjörn können eine von Blattläusen befallene Ernte nicht einfach retten, indem sie Gift versprühen. Wie viele Stunden in der Woche sie arbeiten, ist schwer zu sagen. Wenn sie nicht gerade schlafen, sind sie mit dem Hof beschäftigt – und natürlich mit den Kindern. »Der Hof ist eben unser ein und alles. Es passiert aber manchmal, dass ich noch ein Nickerchen mache, nachdem ich frühmorgens die Tiere gefüttert habe«, sagt Torbjörn.
Der Alltag inmitten der Natur im Wechsel der Jahreszeiten, mit Pflanzen und Tieren – das ist es, was die meisten Landwirte an diesem Beruf reizt, glauben Torbjörn und Erika. Aber die konventionelle Landwirtschaft ist – ob nun zu Recht oder zu Unrecht – als umweltschädlich abgestempelt. Viele Bauern müssen sich gegen den Vorwurf verteidigen, dass sie die Natur, die sie doch eigentlich lieben, übermäßig ausbeuten und sogar zerstören. Öko-Landwirte wie Erika und Torbjörn dagegen wissen, dass sie mit ihrer Arbeit dazu beitragen, die Natur und die Tierwelt zu schützen. »Außerdem ist ökologische Landwirtschaft sportlicher«, fügt Torbjörn mit einem Lächeln hinzu.
Vreta Gård und den Nachbarhof Onsberga, den Erika und Torbjörn vor zwei Jahren gekauft haben, erreicht man, indem man zwischen Norrköping und der Raststätte Sillekrog von der E4 abbiegt und auf der Straße, die früher »Riksettan«, Reichsstraße eins, hieß, nach Süden fährt. Die »Riksettan« verläuft parallel zur E4, stammt aber aus einer anderen Zeit. Sie passt sich der Landschaft an, windet sich hin und her, führt vorbei an geschlossenen Fabriken, steinernen Kirchen aus dem Mittelalter und Grabhügeln aus der Wikinger-Zeit. Es mag so scheinen, als gehörte Vreta Gård ebenfalls einer historischen Epoche an, als ginge es beim Trend der ökologischen und regionalen Produktion nur um die nostalgische Sehnsucht nach einer untergegangenen ländlichen Gesellschaft. Vielleicht aber ist der Schwerlastverkehr auf der E4 in Wirklichkeit nur das Symptom einer Wirtschaftsform, die ihr Haltbarkeitsdatum schon lange überschritten hat. Während ein ökologisch nachhaltiger Betrieb wie Vreta Gård in die Zukunft weist.