Das Zusammenspiel der Farben Blau und Grün ist hier allgegenwärtig. Und das in den unterschiedlichsten Facetten. Mal strahlt die Wasseroberfläche des Mjøsa-Sees in tiefdunklen Ozeantönen. Mal zeigt sie sich als sanft im Wind tanzende Reflexion des Himmels, etwas heller und kräuselnd verspielt. Und dann und wann wird sie zum farblichen Spiegelbild der bis hinter den Horizont rollenden Hügel und Wälder, die an vielen Stellen der 273 Kilometer langen Uferlinie erst direkt am Wasser enden. Der Mjøsa ist nicht nur Norwegens größter Binnensee, sondern vielleicht auch einer der schönsten. Nicht umsonst bezeichnen ihn die Einheimischen als »det blå hjertet« – das blaue Herz.
Tiefe Verbindung zur Natur
Ob es genau jene majestätische Landschaft war, die die Menschen vor vielen Jahrtausenden dazu bewegte, sich an seinem Ufer niederzulassen, ist nicht überliefert. Fest steht, dass hier seit jeher eine besonders tiefe Verbindung zur Natur gepflegt wird. Auch heute ist das noch so – das zeigt unter anderem ein Besuch in der idyllischen Kleinstadt Hamar. Die Farben Blau und Grün und ihre verspielten Facetten sind im Leben der knapp 30 000 Einwohner ständig präsent.
Hier, eine knappe Stunde südlich von Lillehammer und rund anderthalb Stunden nördlich von Oslo, ist das Wasser des Mjøsa immer nur einen gefühlten Steinwurf entfernt. Gleichzeitig haben es die Städteplaner mittels kluger Architektur geschafft, der Natur Luft zum Atmen zu geben. Zahlreiche Alleen, begrünte Straßen und kleinere und größere Parks vermitteln selbst im Zentrum das Gefühl, dass sich in Hamar Menschengemachtes der Umgebung anpasst – und nicht wie an vielen anderen Orten auf dieser Welt umgekehrt.
Ein Areal, auf dem man theoretisch ein ganzes Leben verbringen kann.
»Wie überall in Norwegen sind die Menschen auch in Hamar sehr aktiv und leben das sogenannte ›Friluftsliv‹ – also das Draußensein, das Leben an der frischen Luft. Und das spiegelt sich auch in der Architektur wider«, erklärt Anna Nilsson. Sie ist die leitende Architektin eines Bauvorhabens, das Hamar in jüngster Vergangenheit weit über das Einzugsgebiet des Mjøsa-Sees hinaus bekannt gemacht hat. Und das symbolisch für die hier so prominente Liebe zu Wasser und Wald, zu den Farben Blau und Grün, eben für die Liebe zur Natur steht: das Architekturprojekt Ankerhagen.
Hier, auf einem Areal im Norden Hamars, wollen Nilsson und ihr Team von den Firmen White Arkitekter und Scandinavian Property Group 250 Wohnungen auf einer Fläche von 22 000 Quadratmeter errichten. Was sich im ersten Moment nach einem gigantischen, alles andere als nachhaltigen Wohnblock anhört, entpuppt sich als grüne Oase, die ganz im Zeichen vieler anderer nachhaltiger Architekturprojekte in Skandinavien steht.
In der Vergangenheit hat die Stadt mehrfach durch naturnahe Architektur auf sich aufmerksam gemacht, erst vor einigen Jahren wurde der Bahnhof von Grund auf neugestaltet. Auch bei der Ausschreibung für das Projekt Ankerhagen waren Klimaschutz und Nachhaltigkeit eines der Hauptkriterien, wie Anna erzählt. Die Architektin stammt aus Schweden, lebt und arbeitet aber seit vielen Jahren in Norwegen. Ihr Spezialfeld: nachhaltige Bauvorhaben, die mit den Elementen der Natur spielen – und den örtlichen Gegebenheiten. In Hamar insbesondere die Farben Blau und Grün, die Verbindung von Wasser und Wald.
Mini-Häuser satt Plattenbau
»Wir wollten diese blaugrüne Identität auch in der Architektur der Gebäude und den dazwischenliegenden Räumen sichtbar machen«, sagt sie. Anstelle eines großen Plattenbaus verteilen sich die Apartments in zahlreiche kleinere und größere Häuschen mit verschiedenen Formen. Statt kaltem Beton dominiert warmes Holz die Fassaden. Und anstelle grotesker architektonischer Statements sind Farben und Konturen von ihren Vorbildern aus der natürlichen Umgebung inspiriert. Asphalt sucht man vergebens: Stattdessen gibt es naturnahe Materialien wie Rasengittersteine, Wiesen und sogar einen kleinen Wasserlauf, in dem Oberflächenwasser abfließen kann, das im Herzen des Projekts in einem Becken gesammelt wird.
»Ein weiteres Element ist, dass es im Inneren des Areals keinen Autoverkehr gibt – ganz im Sinne einer zukunftsträchtigen, umweltfreundlichen Bauweise«, sagt Anna. Bei den Planungen stand allerdings nicht nur die allgemeine Ästhetik der verschiedenen Häuser und des Grundstücks im Vordergrund, sondern auch die Funktionalität. Eines der Hauptanliegen: Ankerhagen soll nicht nur Wohnraum bieten, sondern auch ein Treffpunkt für Menschen aller Generationen sein.
4 City-Tipps für Hamar
- Fahrt auf dem Skibladner
Ältester Raddampfer der Welt, der seit 1856 Passagiere über den Mjøsa befördert.
www.skibladner.no - Entspannen am Koigen
Strand mit Sportanlagen, Grillplätzen und Sitzgelegenheiten. Im Sommer sind Foodtrucks zu Gast. - Besuch von Domkirkeodden
Eines der größten Freilichtmuseen Norwegens, mit Hamars Historie von den Wikingern bis heute.
www.domkirkeodden.no - Schmausen im Matkvartalet
Renoviertes Wohnhaus aus dem Jahr 1910 mit Brauerei, Kaffeerösterei und Käsegeschäft.
www.matkvartalet.no
»Ein Areal, auf dem man theoretisch ein ganzes Leben verbringen kann«, wie Anna erklärt. So gibt es Wohnungen in verschiedensten Größen für unterschiedliche Lebensphasen – vom Studentenzimmer über ein hölzernes Reihenhaus bis hin zur Pflegeeinrichtung für Senioren. Im Freien wechseln sich Gärten, Sitzgelegenheiten und Spielplätze ab. »Auch das ist Nachhaltigkeit«, erklärt Nilsson. »Wenn man länger an einem Ort lebt, fühlt man sich zugehörig. Langfristig wirkt sich das auch positiv auf das Wohlbefinden aus.«
Eins werden mit der Umgebung
In zwei bis drei Jahren sollen – so der Plan – die ersten Studenten, Paare, Familien, Singles und Pensionäre in die Wohnungen auf dem Areal einziehen können, die symbolisch für die in Skandinavien so fortschrittliche umweltfreundliche Architektur stehen. Auch der Blick auf den Mjøsa hat bei den Planungen eine Rolle gespielt. Von den höheren Lagen des Grundstücks kann man das blaue Herz, wie der See von den Locals liebevoll genannt wird, und die Farbspiele auf seiner endlos erscheinenden, mal ozean-dunklen, mal waldgrünen Oberfläche sehen. Und hat vielleicht genau dadurch ein unbegrenztes Zugehörigkeitsgefühl geschaffen, das ein Leben lang halten kann.