Seit jeher ziehen die reichen Gewässer im nordschwedischen Ångermanland Fischer aus dem ganzen Norden an. Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert waren es vor allem Familien aus Gävle, Roslagen und Städten am Mälarsee, die sich von Frühsommer bis Spätherbst in der nordschwedischen Region niederließen, von hier aus mit ihren Booten in See stachen und Handel betrieben. Am Ende der Saison kehrten sie auf großen Segelschiffen, »haxen« genannt, wieder zurück in ihre Heimat, voll beladen mit eingelegtem Hering, aber auch mit Milchprodukten und Leinenstoffen.
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Eine der Hochburgen der sogenannten »Fernfischerei« (schw. fjärrfiske) an der heutigen Höga Kusten war die Insel Ulvön. Hier findet man gleich drei ehemalige »Fischerlager«, die früher nur während der Sommermonate bewohnt waren: Grunna im Süden, Sandviken im Norden und Ulvöhamn am Sund zwischen den beiden Inselhälften. Sie alle bestanden anfangs aus einfachen Schuppen, die ansässige Bauern saisonweise an Fischer aus der Ferne vermieteten. Im Laufe der Zeit wurden hinter den Schuppen kleine Wohnhäuser errichtet, und jede kleine Siedlung bekam ihre eigene Kapelle, eine Backstube, Ställe und Gehege für die mitgebrachten Ziegen.
Mit dem Ende der Fernfischerei wurden immer mehr Hütten von lokalen Fischern übernommen – heute sind es oft beliebte Sommerhäuser. Das malerische Ulvöhamn entwickelte sich zu einem beliebten Ausflugsziel und ist heute in der ganzen Welt als Heimat des »Surströmmings« (saurer Hering mit der besonderen Duftnote) bekannt. Wer allerdings noch einmal in die Fischereigeschichte der Region eintauchen möchte, radelt am besten von hier aus quer über die Insel ins Dorf Sandviken.
Eine große Gemeinschaft
Nach acht Kilometern über den kurvigen Schotterweg erreicht man die malerische, von Klippen eingerahmte Sandbucht. Am Wasser stehen zwei Reihen mit 24 Fischerhütten aus massivem Naturholz. Dazwischen flattern bunte Badetücher. Familien sitzen beim Essen, Kinder springen umher. Im Hintergrund schimmert das tiefblaue Meer. Neben der kleinen weißen Kapelle spielt ein Grüppchen Frisbee-Golf. Es gibt ein Volleyballnetz und einen holprigen Bolzplatz. Etwas abseits stehen Waschhaus und Sauna mit Meerblick.
Das ehemalige »Fischerlager« ist heute Kulturdenkmal und Feriendorf zugleich. Die Gebäude aus dem 18. Jahrhundert werden sorgfältig gepflegt und die Hütten sind während der Sommermonate durchgehend vermietet. »Ein Großteil unserer Gäste kommt jedes Jahr wieder – meistens in exakt der gleichen Woche«, erzählt Anders Lundvall, der zusammen mit seiner Frau Aleksandra das Feriendorf führt.
Keines der Häuser war je in Privatbesitz. Alle sehen gleich aus, alle haben die gleiche einfachrustikale Einrichtung, alle kosten in etwa gleich viel. Nach Ende der Fischerei hatte das Forstunternehmen »Modo« die Siedlung übernommen und daraus ein Feriendorf für seine Mitarbeiter gemacht. Heute ist es im Staatsbesitz. »Es gibt hier noch immer ein großes Gemeinschaftsgefühl«, meint Anders, »genau wie damals unter den Fischerfamilien.« Dazu gehören heute gemeinsame Rituale wie das Surströmming-Essen am Montag, die abendliche Sauna oder die endlose kollektive Fischjagd der Kinder mit Keschern und Eimern am Strand.
Die spukende Fischersfrau
Ludvig Åhlund kennt das alles sehr gut. Der 24-Jährige verbringt mittlerweile seinen 17. Sommer in Sandviken. Gerade steckt er den Parcours für einen Orientierungslauf ab, den seine Familie Jahr für Jahr für alle veranstaltet. »Immer wieder ein echtes Highlight.« Ansonsten lebt man in Sandviken entspannt nebeneinander her. Außer Ludvigs Orientierungsläuferfraktion gibt es hier unter anderem die Paddler, die Kajaktouren bis nach Mjältön oder Trysunda unternehmen, oder die Genießer, die es sich meist mit Snacks und Drinks am Strand gemütlich machen.
Am Donnerstagabend versammeln sich alle Dorfbewohner auf einer Klippe oberhalb der Hütten. Die Sonne geht unter, jemand spielt am Feuer Gitarre, und ein Sandviken-Veteran erzählt die Geschichte von der Weißen Dame. Sie handelt von einer Fischersfrau aus Sandviken, deren Mann im Sturm hinausfuhr und niemals wieder kam. Am Ende beginnt die Glocke der Kapelle zu läuten. Aus dem Wald gegenüber tritt eine weiße Figur hervor, schreitet laut klagend die Klippen hinab ins Wasser und verschwindet in den Wogen. In diesem Moment ist das Feriendorf wieder ganz und gar das alte Fischerdorf.