Die magische Welt des Nordens, vereint auf einem Eiland. Abgeschieden, inmitten wilder Polarlandschaft Schroff und still zugleich. Sørvær ist eine von rund 300 Inseln des Fleinvær-Archipels, einer Inselgruppe vor der Westküste der norwegischen Hafenstadt Bodø. Rund eine Stunde dauert die Fahrt mit dem Boot durch die wild aufpeitschende See des Vestfjords, vorbei an den in diesen nordischen Breiten bereits arktisch anmutenden Küstenfelsen, einzig begleitet von ein paar Seevögeln, mitten hinein in die Einsamkeit. Steht man am höchsten Punkt von Sørvær, reicht die Sicht an klaren Tagen bis zu den Lofoten. Wie ein endloses Band schimmern sie dann in der Ferne und bilden mit ihrer silberblauen Silhouette einen magisch anmutenden Kontrast zum Meer. »Wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet und sich der Himmel rot färbt, sehen die vielen kleinen Gipfel aus wie Haifischzähne.
Schon als Jugendlicher haben mich diese Bilder unglaublich fasziniert und zum Nachdenken angeregt«, sagt Håvard Lund mit einem verträumten Lächeln. In den letzten Jahren hat der norwegische Künstler auf Sørvær einen Ort für Reisende geschaffen, der sich weder als Hotel noch als anderweitige, typische Unterkunft kategorisieren lässt. The Arctic Hideaway sei vielmehr ein Rückzugsort in Refugium. »Ein Ort, an dem man sich besinnen kann«, wie Håvard sagt.
Fokus auf das Jetzt
Es kommt nicht von ungefähr, dass der Norweger sein Refugium Fordypningsrommet Fleinvær genannt hat. »Fordypningsrommet« bedeutet frei übersetzt »Raum tiefgründigerer Gedanken«. Genau genommen sind es zehn Räume, die zum Nachdenken anregen: Håvard und seine Helfer haben auf der Insel nämlich ein aus zehn Häusern bestehendes Dorf erbaut. Wie abstrakte Kunstwerke wirken die in der Luft schwebenden Holzquader – und fügen sich dennoch stimmig ins Landschaftsbild ein. Die gezimmerten Hütten stehen auf Stelzenund sind mit Stahlseilen auf dem schroffen Fels befestigt. Neben einigen als Schlafmöglichkeit fungierenden Boxen erfüllt jedes Haus eine andere Funktion: Es gibt ein Waschhaus zum Baden, ein Haus zum Kochen, ein Haus als Arbeitszimmer und eine Sauna – allesamt verbunden durch ebenfalls hölzerne Stege und Treppen.
»Zum einen soll man sich bei einem Aufenthalt immer auf das Hier und Jetzt fokussieren können – deshalb ein Haus für jede Tätigkeit. Zum anderen ist man ständig draußen, weil die Räumlichkeiten nur über Wege im Freien erreichbar sind. Somit hält man stets Kontakt zur Natur«, sagt Håvard. Der künstlerische und zugleich philosophische Anspruch ist dem Norweger extrem wichtig. Denn in das Konzept von The Arctic Hideaway sind auch ein Stück weit seine Lebenserfahrungen mit eingeflossen. Eigentlich ist Håvard Musiker. Als Jazz-Klarinettist hat er mit vielen namhaften Künstlern gearbeitet. Heute organisiert er vor allem Veranstaltungen,mit denen er die Musik auch an entlegene Orte seines Landes bringt. Die Idee, einen kreativen Rückzugsort in seiner Heimatregion – der 49-Jährige stammt ursprünglich aus dem nahen Gildeskål – zu schaffen, kam Håvard während einer Phase seiner Musikerlaufbahn, als er durch ganz Skandinavien reiste. »Ich habe früh erkannt, dass mich die Natur unglaublich inspiriert. Für mich war es immer viel schwieriger, Musikstücke in der Stadt zu komponieren.
Die Vegetation der Insel soll durch Menschen geringstmöglich gestört werden – so lautete die Vorgabe für die Architekten.
Als ich dann zum ersten Mal nach Fleinvær kam, wusste ich, dass dieser Ort perfekt ist, um diese kreative, natürliche Energie zu bündeln.« Bis er seinen Traum des »Arctic Hideaways« allerdings in die Realität umsetzen konnte, sollten fast zwei Jahrzehnte vergehen. Im Jahr 2013 lernte er Sami Rintala, einen finnischen Architekten und Künstler, kennen. Samis architektonische Prinzipien in Sachen Nachhaltigkeit und Transparenz sowie Håvards Vision von einem Ort, der Raum für Kreativität und Verbundenheit zur Natur erzeugen sollte, trafen einen gemeinsamen Nenner. Die Häuser bestehen aus nachhaltigen Materialien, das Wasser wird durch Pumpen gereinigt und wiederverwendet, der Müll wird per Schiff nach Bodø gebracht und recycelt. Die Vegetation der Insel soll durch Menschen geringstmöglich gestört werden – so lautete die Vorgabe für die Architekten. Das Ergebnis ist ein Ort, an dem Gäste sich auf das Wesentliche besinnen können – geht es nach Håvard, am besten auf sich selbst.
Ort für neue Lebenswege
Für den Künstler sind nicht die endlos hellen Polartage im Sommer oder die im Winter direkt über der Insel tanzenden Nordlichter die größte Attraktion auf Sørvær. Vielmehr ist es die Kunst des Nichtstuns. Zwar könne man Touren zu den benachbarten Inseln des Fleinvær-Archipels unternehmen, auf Fischerbooten mitfahren oder Wandern gehen, doch der eigentliche Sinn des Fordypningsrommets sei es, zur Ruhe zu kommen. Mit einem Schmunzeln erinnert sich der Musiker an eine schwedische Familie, die einmal die Insel besuchte.
»Wir Skandinavier lieben es, aktiv zu sein. Entsprechend beunruhigt waren die Gäste darüber, wie sie die Zeit hier am besten nutzen sollen. Am Ende saßen sie den ganzen Tag auf den Felsen, haben die Gezeiten beobachtet – und waren restlos glücklich, weil sie es geschafft haben, aus dem Alltag auszubrechen und abzuschalten. Wir haben zwar Internet, ich empfehle aber, es nicht zu nutzen.« Eine romantische Vorstellung, die bei den Besuchern, neben Familien und Freunden oftmals Künstler, gut ankommt. Dabei ist es nicht nur die sich perfekt ins Landschaftsbild einfügende Holzhüttenarchitektur oder die künstlerische Ader des Gastgebers, die die Menschen fasziniert. Vor allem sind es die Geschichten, die sich hier abspielen und entwickeln. »Viele kommen, um über wichtige Entscheidungen nachzudenken: Wollen wir noch ein Kind bekommen? Sind wir zusammen überhaupt glücklich? Wenn du mitten in der Nacht draußen in der Natur stehst, der Wind dir die salzige Luft ins Gesicht weht und über dir die Nordlichter tanzen – das macht etwas mit dir, das verändert dich. Es gibt dir eine neue Perspektive auf Dinge.«
Seinen philosophischen Charakter soll Fordypningsrommet Fleinvær trotz des wachsenden Besucherinteresses auch in Zukunft behalten – das betont Håvard mit fester Überzeugung. Eine Erweiterung soll ein unter der Wasseroberfläche liegender Gegenpol zum als Aussichtsplattform fungierenden Turm an Land werden. Sieben Meter unter dem Meer soll der Raum aus Stein und Glas liegen – tiefe Einblicke in das Unterwasserleben des nordischen Meeres inklusive. Das Wasser ist hier so klar, dass man bis zu 20 Meter weit sehen kann. Perfekt, um eine Weitsicht auf die Dinge zu erlangen und die Kunst des Nichtstuns zu erleben – fernab vom Alltag, auf einer abgelegenen Insel vor der Küste Nordnorwegens.