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Flucht in den Winter: Schneewanderung auf den Lofoten

Es ist halb acht – ich sitze auf dem großen Balkon unserer kleinen urigen Holzhütte, die zu der malerischen Siedlung Ure an der Ostküste der Insel Vestvågøya gehört, und genieße die morgendlichen Sonnenstrahlen. In ein zauberhaftes Licht getaucht, präsentiert sich vor meinen Augen das Meer, die Berge und der Fjord.

Es ist März – ich bin in Norwegen. Und genau darum bin ich hier: Ich möchte eine Pause machen, die Stille und Weite spüren, den eigenen Herzschlag hören und dem Körper zu zeigen, dass es nicht nur Schreibtischstuhl und Computer gibt. Norwegen entspricht definitiv dem Bild, das man sich als schneeentwöhnter Deutscher von einer Winterlandschaft macht. Und welches Reiseziel könnte sich besser eignen als eine bezaubernd einsame und extreme Winterlandschaft, um die Seele baumeln zu lassen? Und dabei vielleicht noch die magischen Nordlichter am Nachthimmel erleben…

Schnee und Eis auf den Lofoten

Die Lofoten liegen etwa 400 Kilometer nördlich des Polarkreises im Atlantik, vom Festland getrennt durch den Vestfjord, zwischen dem 67. und 68. Breitengrad. Wegen des warmen Golfstroms gibt es auf den Lofoten Schnee und Eis nur im Winter. An diesem Morgen begrüßen uns ein frisches weißes Schneegewand, strahlend blauer Himmel und knackige Kälte. Es hat über Nacht kräftig geschneit. Unser Ziel: Ramsvikvatnet, ein Bergsee im Süden der Insel Vestvågøya (18 Meter über NN). Mit Schneeschuhen an den Füßen geht sie los, unsere Entdeckungsreise in unberührtes Land. Allerdings nur langsam, denn die vergrößerte Trittfläche ist gewöhnungsbedürftig. Wie ein Pinguin watscheln wir anfangs – die Knie hochgezogen, die Füße betont weit voneinander aufgestellt. Aber schnell wird unser Gang sicherer, und am Ende der Tour scheinen die Untersetzer mit den Krallen aus Metall wie angewachsen. Eine wundersame Erfahrung, dieses langsame Stapfen ohne die leiseste Angst auszurutschen. Die Krallen greifen fest, der Gang ist sicher, der Kopf wird frei.

Nach dem ersten Anstieg werden wir mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Der Schnee liegt unberührt wie Frischkäse am Hang. Weiß wie ein Laken liegt die Landschaft vor uns: Schneebepuderte Zweige, kahle Äste mit Schneeborte, zwischen den Bäumen unberührte Berghänge säumen den Weg. Das anfängliche Frösteln ist einer gleichmäßigen Wärme gewichen. Nein, eigentlich rinnt der Schweiß in Strömen und ich frage mich mal wieder, was es mit der Atmungsaktivität meiner Jacke auf sich hat.

Ansichtskarten-Atmosphäre

Weit in der Ferne im Tal erblicken wir unser Tagesziel Ramsvikvatnet. Wir überqueren den zugefrorenen See und bestaunen das grandiose Panorama der umliegenden, schneebedeckten Berge. Saubere Luft und eine fast unglaubliche Stille lassen uns staunen, ein blauer Himmel sorgte für Ansichtskarten-Atmosphäre. Und sind das wirklich die eigenen Füße, die im Takt der anderen gehen, als hätte jemand ein Uhrwerk angeworfen? Wir gönnen uns eine Pause in der kleinen Hütte am Ende des Sees. Drinnen gibt es das volle Kontrastprogramm: Wärme, beschlagene Fenster und eine Meute freundlicher Norweger, die uns mit heißem Tee und Müsliriegeln aus ihren unergründlichen Rucksäcken versorgen.

Draußen senkt sich langsam die Dämmerung über die Landschaft, die Mondsichel schaukelt blass am Winterhimmel. Es ist Zeit zu gehen. Die Berge beginnen zu glühen und die Schneedecke leuchtet purpur- und orangefarben. Wir stapfen voran, schwenken ab in unberührtes Feld. Wir haben noch etwas vor. Einen besonders einsamen Punkt auf der Karte namens »Utakleiv« hat uns ein Norweger empfohlen. Es ist sein ganz persönlicher Fluchtpunkt, wenn es ihm zu turbulent wird. Unsere Schneeschuhe haben wir eingepackt. Jetzt durchbrechen unsere Stiefel knisternd die dünne Eiskruste des Strands. Dann plötzlich Polarlichtalarm! Für etwa 45 Minuten bestaunen wir ein kosmisches Feuerwerk. Die Nordlichter schweben wie wehende Vorhänge über den Himmel, der lichterloh in Grün leuchtet. Mit Worten ist dieses Erlebnis nur schwer zu vermitteln.

Einmal alle Begrenzungen hinter sich lassen und sich ganz hineingehen in diese weiße Weite – das hat geklappt. Ein Abenteuer, das süchtig macht. Ganz ohne Risiko und Nebenwirkungen.