Zwölf Tage mit Rucksack und Zelt durch die Abgeschiedenheit des Dovrefjell-Nationalparks zu wandern, war für NORR-Leser Hubertus Stumpf wie ein Traum. Manchmal schien es ihm, als ob er ganz alleine auf der Welt wäre.
SCHIER UNENDLICHE Ausblicke, mal sanft gerundete, dann wieder schroff gezackte Berge mit gigantischen Talkesseln, dazwischen endlose Geröllfelder an den Berghängen, die aussehen, als hätte eine Horde von übermütigen Riesen hier in grauer Vorzeit mit gewaltigen Felsblöcken gekegelt und dann irgendwann plötzlich die Lust verloren. Tiefblaue, manchmal auch grünlich schimmernde Seen malen blaue Tupfer zwischen die in allen Abstufungen leuchtenden Grau-, Grün- und Brauntöne des Fjell. In der Ferne leuchten im Südosten die schneeweißen Gipfel von Rondane.
Der Dovrefjell-Nationalpark ist eine wilde, bis heute von der Eiszeit geprägte Landschaft. Zwölf Tage lang werde ich hier mit dem Zelt unterwegs sein. Eine wohltuende Stille umgibt mich, die nur unterbrochen wird vom Geräusch des Windes oder dem Rauschen eines Gebirgsbachs. Dazwischen immer wieder die farbenfrohe Vielfalt bunter Blumen, die das Auge erfreuen, weil man sie in diesem rauen nordischen Klima gar nicht vermutet hat.
Das Wetter lässt das Stimmungsbarometer zwischen Traum und Albtraum auf und ab pendeln: Gleißendes Sonnenlicht und tiefblauer Himmel wechseln ab mit tiefhängenden Wolken, schlechter Sicht und starkem Wind. Während eines Zwischenstopps am See Åmotsvatnet verbannt mich heftiger Regen ins Zelt. Ich bin froh, in meiner kleinen, windgebeutelten Klause vor den Elementen geschützt zu sein und im Schlafsack liegend heißen Kaffee zu schlürfen. Doch als ich wieder einmal einen kurzen Blick nach draußen werfe, zeigt sich mit einem Mal im Süden ein blaues Loch im bleiernen Grau, das langsam größer wird. Der Wind zerreißt die Wolken mehr und mehr, und binnen einer halben Stunde verzieht sich das ausgedehnte Regengebiet.
Als ich am frühen Abend aufbreche, um die verbleibenden Stunden des Tageslichts zu nutzen, werde ich mit fantastischen, vom Wind weit zerfächerten Wolkenformationen und herrlichem Abendlicht belohnt. Als dann auch noch der Vollmond über der zerklüfteten Landschaft aufgeht, fühle ich mich vollends in ein Traumland versetzt und rechne jeden Moment damit, hinter einem Felsblock einen nordischen Troll oder eine zauberhafte Fee auftauchen zu sehen. Im letzten Licht erreiche ich das Ufer des Sees Urdvatnet, wo ich mein Zelt aufstelle, während der Mond langsam über dem benachbarten Bergrücken emporsteigt und die Landschaft in magisches Licht taucht. Vergessen sind vergangene Regentage, lange Passagen über unwegsames Geröll, schmerzende Füße und der schwere Rucksack und ich weiß: Hier bin ich richtig.