Von der Terrasse des Restaurants Tila, auf dem Gipfel des Hügels, überblickt man eine Wiese, auf der Schafe grasen. Im Innenhof kräht ein Hahn. Die ländliche Idylle ist perfekt, aber natürlich steht das Essen im Mittelpunkt des Lokals. Der Kellner bringt eine Vorspeise, ein Heringssoufflé. Die Fotografin Maija sagt ein wenig verlegen, dass sie keinen Hering mag. »Das haben viele andere hier auch erst behauptet«, sagt Liisa Neuvonen, die sich bereit erklärt hat, für den heutigen Tag unser Guide im Sipoonkorpi-Nationalpark zu sein. Der Hering gibt dem Soufflé genau den richtigen salzigen Biss. Köstlich, findet auch Maija. Der Hauptgang wird mit einem zufriedenen Raunen bedacht ebenso wie das selbst gebackene Hafer-Dinkelbrot.
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Ort für Bücherwürmer
Das Restaurant entstand, als Matti Seppälä, der Besitzer eines Antiquitätengeschäfts in Helsinki, feststellte, dass der Verkauf von gebrauchten Büchern kein rentables Geschäft mehr war. Mit seiner Frau Kaisa Rantama gründete er das Restaurant Tila. Kaisa betrieb hier bereits eine Käserei. Was von dem Antiquariat übrig geblieben ist, sind die Bücher, die die Vitrine des Restaurants schmücken. Man kann sie kaufen, wenn man eines findet, das einem gefällt. Vorerst müssen sie aber im Regal bleiben. Der Rucksack braucht kein zusätzliches Gewicht. Nach dem Mittagessen wollen wir uns auf den Weg machen. Hinter den hohen Kiefern und Birken eröffnet sich eine malerische Aussicht. Der Fiskträsk ist der größte See in Sipoonkorpi und liegt auf halber Strecke des knapp fünf Kilometer langen Fiskträsk-Rundweges. Auf der blauen Oberfläche des Wildnissees spiegeln sich weiße Wolken. In der Nähe gibt es eine schöne Badestelle. Sobald man eintaucht, ist das Leben für einen Moment perfekt. Lasse Huusela angelt mit seinen drei kleinen Söhnen an dem angrenzenden Lagerfeuerplatz. »Die Jungs wollten campen gehen«, sagt er. Der Vater und seine Söhne wollen zwei Nächte lang zelten.
Auf der blauen Oberfläche des Wildnissees spiegeln sich weiße Wolken.
Die Kinder sind noch so klein, dass sie keine Hilfe sind, und Huusela trägt allein 36 Kilo auf seinem Rücken. »Die Besucher der Nationalparks im Großraum Helsinki sind sehr unterschiedlich«, sagt Liisa. »Es gibt sowohl erfahrene Wanderer als auch Anfänger, die hier ihre Ausrüstung für längere Touren testen.« Der Schotter knirscht unter den Füßen. Der Wanderweg wechselt zwischen einem Waldpfad und einem breiten, geschotterten Weg wie diesem. Als Nationalpark ist Sipoonkorpi noch jung: Gegründet im Jahr 2011, wurde Sipoonkorpi schon lange zuvor zum Wandern sowie zum Sammeln von Beeren und Pilzen genutzt. Der Status als Nationalpark brachte jedoch eine bedeutende Veränderung mit sich. Es wurden markierte Wanderpfade im Wald angelegt, mit Kochhütten entlang des Weges. Nicht alle waren mit dieser Entwicklung zufrieden: Das Forstamt hat viele negative Rückmeldungen zu den Schotterwegen erhalten. »Dieser Abschnitt war früher furchtbar nass, und er ist Teil der Instandhaltungsroute. Wenn das Serviceversprechen der Nationalparks darin besteht, dass es Trockentoiletten, Feuerstellen und Brennholz gibt, dann braucht man auch begehbare Wege. Brennholz kommt nicht von selbst hierher und die Klos leeren sich auch nicht von allein«, sagt Liisa.
Unerwartetes Personal
Wir treffen auf Jimi Merilä, der als Feldmanager für die Insassen des Kerava-Gefängnisses arbeitet. »Oft sind die Leute überrascht, dass Gefangene die Instandhaltung übernehmen. Aber ohne sie würden viele Nationalparks unbewirtschaftet bleiben«, sagt er. Sieben Häftlinge arbeiten in Sipoonkorpi und eine noch größere Gruppe in Nuuksio.
Sobald man eintaucht, ist das Leben für einen Moment perfekt.
Es ist jedoch nicht zu befürchten, dass sie versuchen, sich in den Wald zu schleichen. »Es ist eine sehr rehabilitierende Arbeit. Sie wollen diese Chance nicht vermasseln«, sagt Jimi. Der von Natur aus vielfältige Nationalpark umfasst Salzsümpfe, Seen und majestätische Klippen. Dazwischen gibt es hügelige Felder und traditionelle Kulturlandschaften, die das Gefühl geben, man befinde sich in der Toskana. In Sipoonkorpi sind fast alle Waldsäugetiere Südfinnlands beheimatet, und die Vögel singen ohne Unterlass.
Entlang des Weges sehen wir sowohl Spechte als auch ein Bachstelzenpaar, das mit einem Habicht kämpft. Sechs markierte Wanderwege liegen im Park verstreut. Der beliebteste ist der fünf Kilometer lange Kalkbrennerweg, dessen Höhepunkt der Hügel Högberget ist, von dem aus man bis nach Vuosaari blicken kann. Der Byabäcken-Naturlehrpfad führt zum Lagerfeuerplatz Ängesböle inmitten des waldreichsten Gebiets Finnlands. Hier wachsen mehr Bäume pro Hektar als irgendwo sonst. Der Bach entlang des Weges beherbergt noch immer die ursprüngliche Bachforellenpopulation. Ein besonderes Ziel ist auch die spektakuläre Nuotiokallio, die nicht auf einem markierten Weg liegt. Die 100 Meter breite und über fünf Meter hohe Felswand zieht sich wie eine Mauer durch den Wald. Sie hat ihren Namen von einem alten Lagerplatz, der wahrscheinlich schon in der Steinzeit besucht wurde. Liisa erklärt, dass Nationalparks in Wander- und Ruhezonen unterteilt sind. »Es ist eine Art Gleichgewicht des Grauens. Einige Gebiete werden für die Nutzung geopfert, andere bleiben verschont. Deshalb findet man auf der Karte des Nationalparks auch Teile, in denen es nichts gibt.
Saunieren zum Abschluss
Natürlich sollte eine Naturwanderung mit einem Saunagang enden. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: den Kuusijärvi und die traditionelle Sauna am Sipoon-Fluss. Der Kuusijärvi-See ist das Tor zum Nationalpark und der beliebteste Badeplatz in Vantaa, auch wenn dies zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass es im Landesinneren von Vantaa an Badestellen mangelt. Daher ist der See an Sommertagen voller Badegäste. Es gibt mehrere Elektro- und Rauchsaunen. Doch wir entscheiden uns für die traditionellste Sauna in Sipoonjoki, die am nordöstlichen Rand des Nationalparks am Ufer des Flusses, in einem alten Erdkeller liegt. »Regulär fungiert sie als öffentliche Sauna, aber es können auch traditionelle Saunazeremonien mit Kräutern und Birkenreisig gebucht werden«, sagt Saunameister Joonas Vaarala, der uns hier empfängt. Nach dem Schwitzbad öffnet Joonas die Tür. Eine Rauchwolke schwebt heraus – wie ein Zauber, der die Wanderer aus dem Siponkoorpi-Nationalpark anlocken soll. Drinnen flackern Kerzen und erhellen den eigentümlichen Raum. Joonas sagt, dass die Sauna am Abend oft von einem Uhu heimgesucht wird. Die Nähe des Nationalparks ist auch hier zu spüren.