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Im Kajak zum Leuchtfeuer

Helsinki liegt vor einem riesigen, geschichtsträchtigen Schärengarten. NORR-Autor Markus Thomenius paddelt los auf einen Entdeckertrip zu seinem Lieblingsleuchtturm.

Es ist Anfang August, als ich mein Kajak kurzerhand für ein verlängertes Wochenende auf See hieve. Eine Pause vom Alltag zu bekommen und zugleich einem Leuchtturm, der mich seit jeher fasziniert, einen Spontanbesuch abzustatten, ist mein Ziel. Auf dem Weg dorthin möchte ich an einigen historischen Stätten halten, leckeres Essen genießen und Entspannung in einer der vielen im Schärengarten verstreut liegenden Saunen finden. Finnland hat über 168 000 Seen und über 224 000 Inseln. Von allen Eilanden liegen über 100 000 entlang der 1 100 Kilometer langen Meeresküste Finnlands. Allein Helsinki hat eine 130 Kilometer lange Küstenlinie mit 333 Inseln. Zusammen mit Espoo, das direkt daneben liegt, erhöht sich die Zahl der Inseln auf 471, sodass es immer wieder neue Orte zu entdecken gibt.

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Festungen, Tunnel und U-Boot

Mein Startpunkt ist der Strand von Hietaniemi in Helsinki. Ich paddle durch den engen Ruoholahti-Kanal zum Hafen Länsisatama. Dort bin ich von mehreren weit über hundert Meter langen Kreuzfahrt- und Passagierschiffen umgeben. Unter diesen Giganten fühle ich mich ganz schön klein. Mein erstes Ziel soll das Unesco-Welterbe der Festungsinsel Suomenlinna sein. Sie wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts am Eingang des Hafens von Helsinki erbaut und ist ein besonders interessantes Beispiel für die damalige Militärarchitektur. Neben vielen leckeren Cafés und Restaurants gibt es hier eine Reihe interessanter historischer Stätten. Ich wandle durch mehrere lange unbeleuchtete Tunnel und bin froh, dass ich meine Stirnlampe mitgenommen habe. Nachdem ich wieder in mein Kajak gehüpft bin, paddle ich am U-Boot Vesikko vorbei, bevor ich die nächsten Festungsinseln ansteuere, die nur wenige Kilometer entfernt liegen.

Man muss nur noch Holz hacken, die Sauna anheizen und genießen.

Suomenlinna ist schon seit Jahrzehnten für die Öffentlichkeit zugänglich, aber die benachbarten Inseln Vallisaari und Kuninkaansaari wurden erst vor acht Jahren geöffnet. Davor wurden sie vom Militär genutzt. Beide sind durch einen begehbaren Wellenbrecher miteinander verbunden, sodass man sie leicht von einer Anlegestelle aus besuchen kann. Das Inselduo hat 2021 und 2023 zwei Biennalen veranstaltet und ihre historischen Gebäude in kreative Kunstwerke umfunktioniert, was diesen Ort noch mystischer macht. Die Nacht möchte ich auf der kleinen Insel Pikku Leikosaari verbringen. Dort gibt es einige gute Camping- und Feuerstellen, und obendrein eine kostenlose Sauna. Alles geht in Eigenregie: Neben der Sauna liegt ein Heftchen, in dem man eine einstündige Schicht buchen kann, und dann muss man nur noch das Feuerholz hacken und die kleine Kabine anheizen. Gemeinsam mit ein paar anderen Kajakpaddlern, auf die ich hier zufällig treffe, finde ich mich wenig später schwitzend in der Sauna wieder. Die Nacht ist lang, voller guter Gespräche über das Kajaken, Gott und die Welt, bevor jeder von uns in sein Zelt kriecht.

Fischerdörfer und Schmuggler

Der Tag bricht sonnig an. Der August ist wohl der beste Sommermonat in Finnland. Das Wetter ist warm, aber nicht zu heiß: tagsüber meist angenehme 21 Grad. Die Tage sind noch lang, aber da die Nächte schon dunkler werden, kann man abends gut die Sterne sehen. Nach dem Frühstück paddle ich in Richtung der Insel Eestiluoto. Dort genieße ich das Mittagessen mit Blick auf die offene See. Die Natur ist üppig, aber man kann auch die Folgen der Launen des rauen Meeres sehen, besonders in den Bäumen am Ufer. Zwischen Eestiluoto und Träsklandet gibt es eine erstaunlich schmale Passage, die sich durchpaddeln lässt, gesäumt von alten Fischerdorfgebäuden.

Das 1862 erbaute Leuchtfeuer wirkt wie aus einem Märchen.

Ich muss mich im Kajak ducken, um unter einer Holzbrücke hindurchzugleiten. Schmuggler nutzten diese Inseln zur Lagerung von Alkohol. Dafür erfanden sie innovative Methoden, um die Polizei zu täuschen. Eine davon war ein Container, den sie hinter ihrem Boot herzogen. Wenn die Polizei auftauchte, schnitten sie das Seil durch und der Container sank auf den Grund. Der Behälter war mit Salzsack und Seil ausgestattet, das an einer schwimmenden Vorrichtung befestigt war, die nach einer gewissen Zeit an die Oberfläche kam, sodass die Ware leicht zurückgeholt werden konnte. Nach 12 Kilometern auf offener See erreiche ich den Leuchtturm von Söderskär. Er ist mein heimlicher Favorit, weil er so nah an Helsinki liegt und man in seinem Umfeld dennoch das Gefühl hat, weit draußen in der Wildnis zu sein. Das 1862 erbaute Leuchtfeuer wirkt wie aus einem Märchen, obwohl das Leben hier einst hart war, da das Wetter die An- und Abreise zur Insel oft unmöglich machte. Da man auf Söderskär nicht zelten darf, paddle ich sechs Kilometer zur Insel Pirttisaari. Von dort aus habe ich einen guten Blick auf den Leuchtturm, während ich auf einem Felsen direkt am Ufer zelte. Ich liebe es, so nah wie möglich am Meer zu schlafen, denn so kann ich die See immer hören und spüren. Auf der Insel gibt es einen Kochunterstand mit einer Feuerstelle. Von hier aus kann man in Richtung Süden nur die offene See sehen, denn Estland liegt über 50 Kilometer entfernt. Den Abend verbringe ich wieder mit einem anderen Paddler und am Feuer, während wir Geschichten austauschen und immer wieder den Leuchtturm bewundern.

Zelten neben Napoleons Stein

Da das gute Wetter anhält, beschließe ich, meine Reise um einen Tag zu verlängern. Am Morgen lasse ich mir Zeit, gehe schwimmen und habe keine Eile. Nach dem Packen erkunde ich die vielen Inseln auf dem Weg zur Insel Onas. Dort erlaubt mir die Wettervorhersage, auf einem weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel gelegenen winzigen Eiland zu zelten. Um an Land zu kommen, kann ich entweder im seichten Wasser laufen oder von Stein zu Stein hüpfen. Ich ziehe Letzteres vor. Das Interessanteste hier ist der sogenannte Napoleonfelsen. Die Legende besagt, dass er zum Sarkophag Napoleons gemacht werden sollte. Der rote Granitfelsen wurde an der Küste abgebaut, nur einige Dutzend Meter von der Stelle entfernt, an der er immer noch liegt und darauf wartet, abgeholt zu werden. Leider kam es nie dazu, da Finnland damals zu Russland gehörte. Als Napoleon 1812 Russland angriff, wurde auch Finnland zum Feind Frankreichs. Der Stein wurde nie abgeholt. An meinem letzten Tag habe ich nur noch eine kurze Paddeltour zurück zum Festland vor mir. Insgesamt habe ich 55 Kilometer zurückgelegt. Das mag für vier Tage nicht viel erscheinen, aber die Strecke war gespickt mit zahlreichen faszinierenden Orten. Und schließlich warten noch weitere, unzählige Abenteuer – in den Schären entlang Helsinkis endloser Küstenlinie.

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