Als ich 15 war, war meine Schwester eine Zeit lang mit eine Surfer zusammen. Er besaß einen roten, selbst ausgebauten VW-Bulli mit verklemmter Seitentür und einer gehörigen Portion Rost. Die eigenhändig zusammengezimmerte Inneneinrichtung aus Sperrholz war mit coolen Aufklebern aus aller Welt übersät. Ich war damals leicht zu beeindrucken. Also fing ich an, davon zu träumen, mit einem alten Bus herumzureisen. Es war ein Traum vom einfachen Leben; wie ein Nomade von Ort zu Ort, immer auf der Jagd nach neuen Abenteuern. Nachdem ich meine große Leidenschaft entdeckt hatte – das Klettern – bestanden meine Urlaube daraus, eine Unterkunft in der Nähe von Klettergebieten zu beziehen. Als unsere zwei Söhne, Nisse (9) und Sigge(6), noch jünger waren, bezogen meine Frau Anna und ich einige Sommer lang ein Ferienhaus in Bohuslän. Doch irgendwann hatten wir es satt, immer die gleichen Felsen zu bezwingen. Da wir weder die finanziellen Mittel noch die nötige innere Ruhe für ein eigenes Ferienhaus hatten, rückte der Traum vom Nomadenleben im Bulli plötzlich wieder in greifbare Nähe.
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Vom Außenseiter zur Lifestyle-Ikone
Mit einem nicht allzu üppigen Budget von etwa 150000 schwedischen Kronen (circa 15000Euro) begab ich mich auf die Suche im Internet. Wer in einem Bulli Urlaub machte, war früher eher ein Außenseiter, heute ist der Hashtag campervan 1,5Millionen Mal bei Instagram zu finden und alte Bullis sind zu Lifestyle-Ikonen geworden. Die alte Hippieaura des Gefährts ist passé, ein neuer VW-Bus kostet ab 650000 Kronen (etwa 65000Euro) aufwärts. Ich scrollte mich durch fast zwanzig Jahre alte Modelle mit 300000 Kilometern auf dem Buckel, die um die 180000 Kronen (etwa 18000Euro) kosten sollten. Als ich kurz davor war, aufzugeben, entdeckte ich einen erschwinglichen T5-Transporter in Deutschland, der profimäßig und mit genügend Schlafgelegenheiten ausgebaut worden war. Sofort rief ich den Verkäufer an, kaufte den Bus ohne Besichtigung und überführte ihn höchstpersönlich nach Schweden.
Eine Reiseroute legten wir nicht fest, wir wollten uns treiben lassen.
Dem kommenden Sommer sahen wir so tiefenentspannt wie noch nie entgegen. Wir hatten nur zwei Ziele: klettern und mountainbiken, und zwar so viel wie möglich. Eine Reiseroute legten wir nicht fest, wir wollten uns treiben lassen »Wo schlafen wir morgen?«, fragt Nisse, als er keine Lust mehr hat, im Jachthafen Krabben zu keschern. Wir befinden uns in Vrångebäck, einer kleinen Siedlung auf der Südseite des Åbyfjords. In der Türöffnung des Bullis sitzend genieße ich die letzten Sonnenstrahlen des Abends. Bevor ich meinem Sohn antworten kann, höre ich plötzlich eine wütende Stimme. »Ihr dürft hier nicht übernachten«, sagt ein Mann in Shorts und zerknautschtem Hemd, der Mitglied des lokalen Bootsclubs ist.
Wir hatten uns schon so darauf gefreut, die Nacht in diesem idyllischen Hafen zu verbringen. Seit der Jachthafen auf all den Reise-Apps gelistet ist, die schöne und kostenfreie Wohnmobilstellplätze in Europa empfehlen, ist die Zahl der Besucher hier rasant gestiegen. Wenn sich dann noch einige Schlafgäste danebenbenehmen, werden Verbotsschilder aufgestellt – auch in Vrångebäck. Wir hatten das neue Schild im hohen Gras am Wegesrand offensichtlich übersehen. Genervt geben wir in Anbetracht der späten Stunde alle Pläne auf, uns einen anderen schönen Platz zu suchen und klemmen unseren Bus schließlich zwischen die enormen Wohnmobile schwedischer und norwegischer Rentner auf dem Nordhafenstellplatz in Lysekil.
Karibikfeeling auf heißen Felsen
Nach ein paar Tagen, die wir mit Klettern, dem Angeln von Makrelen und Krabbenkeschern verbringen, geht es weiter nach Norwegen. Ein Hochdruckgebiet hat es sich über Skandinavien gemütlich gemacht und die Zehntagesprognose weist keinerlei Regen auf. Unseren ursprünglichen Plan, bis auf die Lofoten zu fahren, haben wir an den Nagel gehängt, als wir von Freunden hörten, dass dort an den beliebten Kletterspots mit einer Wohnmobilinvasion zu rechnen ist. Stattdessen rollen wir Richtung Sørlandet. Hier gibt es viele kleinere Bouldergebiete, mehrere davon liegen direkt am Meer. Wir suchen uns einen Platz für die Nacht und werden in dem kleinen Fischerdorf Ula fündig. »Wann gehen wir klettern?«, fragen Sigge und Nisse gleichzeitig, als sie am nächsten Morgen neugierig aus ihrem Schlaf-Alkoven gucken.
Beim Frühstück halten sie das Brot in der einen und den Kescher in der anderen Hand. Die Luft ist viel zu warm, um überhaupt nur an Klettern zu denken. Wir werden den Tag wohl am Strand verbringen. Die Wassertemperatur beträgt 22 Grad – wie in der Karibik. Erst als es gegen Abend etwas kühler wird, ist endlich Klettern angesagt. Auch wenn es immer noch zu schwül ist, um richtig schwere Routen zu meistern, ist es ein wunderbares Gefühl, die vom Wasser geschliffenen und dennoch griffigen Gesteinsbrocken unter den Fingern zu spüren. Das Abendessen wird zwischen den Felsen serviert. Langsam wird es kühler und bald geht die Sonne unter. Nisse und Sigge protestieren lautstark, als es Zeit ist, ins Bett zu gehen. Schließlich ist es immer noch hell draußen. Um die erfrischende Abendkühle zu genießen, machen wir die Nacht zum Tag. Um halb eins lese ich die letzten Zeilen der Gutenachtgeschichte – ohne Lampe.
Beim Frühstück halten sie das Brot in der einen und den Kescher in der anderen Hand.
Unsere Pläne für den kommenden Tag sind noch völlig offen. Vielleicht ist es genau das, was das Leben im Bus so schön macht. Es ist planlos, anspruchslos, spontan und sehr weit von einem normalen Alltagsleben entfernt. Die Tatsache, dass wir auf unserer Reise an ganz unterschiedlichen Orten landen, macht den Reiz des Bulli-Abenteuers aus. In nur einer Woche haben wir in einem Fischerdorf, auf dem Parkplatz eines Naturreservats, einem Campingplatz und auf der Auffahrt einer norwegischen Familie übernachtet. Nach rund einer Woche Bouldern mit Meerblick an der Küste von Sørlandet geben wir uns aber geschlagen. Es ist tagsüber einfach zu heiß an den Felsen. Wir müssen uns nach anderen Aktivitäten umsehen.
Kinderstorys statt Surfersongs
Nachdem uns einige einheimische Mountainbiker mit Tipps versorgt haben, fahren wir nach Arendal, dem Trailparadies der Region. Doch nach drei Platten, zwei heftigen Nisse-Stürzen und einer Sammlung Kratzern und Schrammen sehen wir ein, dass wir uns wohl doch ein bisschen übernommen haben. Die Trails sind fantastisch, aber sie sind vielleicht doch nicht für jeden geeignet, vor allem nicht für kleinere Kinder. Wir fahren stattdessen nach Trysil. Unterwegs legen wir eine Pause ein und baden im Mondschein in einem warmen See, während Nebelschwaden über das Schilf ziehen. Trysil ist vielleicht nicht der beste Ort für eingefleischte Downhill-Enthusiasten oder diejenigen, die sich nach Einsamkeit sehnen. Doch für uns ist es fast unmöglich, Trysil nicht zu mögen. Sigge platzt geradezu vor Stolz, als es ihm gelingt, die Magic-Moose-Strecke mit seinem 16-Zoll-Rad zu bewältigen. Und Nisse schafft höhere und weitere Sprünge als je zuvor.
Auch Anna steigt in den langen Kurven voll in die Pedale und mir glückt zum ersten Mal ein – wenn auch nur kleiner – Sprung. Während unserer Heimfahrt habe ich ausreichend Zeit zum Nachdenken. Der Traum von einem unsteten Nomadenleben ist nach diesem Sommer nicht mehr so richtig greifbar. Statt cooler Surfmusik hören wir im Auto Kindergeschichten. Doch das einfache, spontane Leben, von dem ich einst träumte, ist in diesem Sommer Wirklichkeit geworden – wenn auch in einer familienfreundlichen Version.