Kanu-Expedition: Skandinaviens längster Fluss von der Quelle bis ans Meer
Der Göta älv ist Skandinaviens wichtigster Wasserweg und gleichzeitig Göteborgs Trinkwasserlieferant Nummer eins. NORR-Autor Anders Sporsén Eriksson ist ihm im Kanu von seinem Ursprung in Härjedalen an der schwedisch-norwegischen Grenze bis zur Mündung ins Kattegat gefolgt – auf einer wichtigen Forschungsmission.
Ruhig und melodisch paddelt Andi vor mir her. Er sitzt in einem offenen Kanu von klassischem Zuschnitt – ein Prospector, etwa 13 Fuß lang, selbst gebaut aus Holz und leinölgefärbtem, rostrotem Tuch. Immer wieder bremst er mit dem Paddel ab, steht auf, um sich einen Überblick zu verschaffen, bevor er sich zwischen die Felsbrocken und Stromschnellen im oberen Lauf des Flusses Röa hinauswagt. Mit seinem Anorak aus Rentierfell, dem hochgeklappten Südwester und dem langen blondgelockten Haar sieht er aus, als käme er aus einer vergangenen Epoche. Wie Klaus Kinski in Aguirre – Der Zorn Gottes, nur ohne den irren Blick.
Weiterlesen mit NORR+
Ab 1 Euro/Monat erhältst du Zugang zu allen Artikel und exklusiven Aktionen. Jetzt registrieren und einen Monat lang kostenlos testen.
Die Facetten eines Flusses
Jetzt setzt er sich wieder hin, sucht sich seinen Weg in die Mittelströmung des Flusses und überlässt sich der Geschwindigkeit des Wassers. Die Kraft und das Tempo der Strömung bilden einen extremen Kontrast zu seiner Ruhe. Es sind zwei verschiedene Welten, die sich begegnen und einander ergänzen. Beide wissen ganz genau, wohin sie wollen, aber sie erreichen ihr Ziel auf verschiedene Weise.
Ja, das Wasser ist Andi Röders Element. Seit Anfang der neunziger Jahre baut er in seiner Werkstatt in Harestad nördlich von Göteborg selbst Kajaks und Kanus, leitet Paddelkurse und -touren in der schwedischen Wildnis. Und dass ich nun mit ihm im Nationalpark Femundsmarka, im Grenzland zwischen Schweden und Norwegen, unterwegs bin, hat mit unserem gemeinsamen Interesse für genau das Wasser zu tun, auf dem wir treiben. Denn ein Teil davon wird nach einer gut 700 Kilometer langen Reise direkt vor Andis Haustür durch den nördlichen Zweig des Flusses Göta älv ins Kattegatt fließen. Ein anderer Teil wird am Ende des südlichen Zweiges vom Wasserwerk Alelyckan aufgesaugt und sich in einen Teil der 174 000 Kubikmeter Trinkwasser verwandeln, die Göteborgs Einwohner pro Tag verbrauchen. Darunter ich.
Ein Fluss mit vielen Namen
Skandinaviens längster Strom entspringt in der Nähe des Käringsjön in Härjedalen und mündet nach über 700 Kilometern bei Göteborg ins Kattegatt. Dabei kreuzt er die schwedisch-norwegische Grenze, fließt u.a. durch die Seen Femund und Vänern und wechselt mehrfach seinen Namen: Trysilelva, Klarälven, Göta älv.
Abenteuer trifft Wissenschaft
Das hatte uns in einem kreativen Moment auf die Idee gebracht, diesen längsten Wasserlauf Skandinaviens irgendwann mal von der Quelle bis zum Meer zu erkunden. Zu erleben, wie er von dem kleinen Bächlein in der norwegischen Wildnis zum breiten Fluss wird, wie er die Seen Femund und Vänern durchströmt und auf seinem Weg zum Kattegatt immer wieder seinen Namen wechselt. Die Bekanntesten: Trysilelva, Klarälven, Göta älv.
Vor uns liegt nicht nur ein großes Abenteuer, sondern auch eine wissenschaftliche Expedition. Wir wollen herausfinden, was mit dem Wasser, meinem Trinkwasser, unterwegs passiert. Zu diesem Zweck werden wir ab und zu Wasserproben entnehmen, um festzustellen, ob sich schwer abbaubare und giftige polyfluorierte Chemikalien, sogenannte PFAS, oder Mikroplastikpartikel darin befinden. Substanzen, die in unserem Alltag überall vorkommen, in wasser- und schmutzabweisenden Textilien ebenso wie in Teflonpfannen, Autoreifen und Fleecepullovern. Das Mikroplastik scheint sich vor allem in unseren Meeren auszubreiten. Die PFAS-Substanzen können in Trinkwasser vorkommen und zu Gesundheitsschäden führen. Als Vertreterin der Wissenschaft ist deshalb die Meeresbiologin Andrea Johansson aus Göteborg an Bord, die uns helfen wird, die Proben richtig zu entnehmen und auszuwerten. Komplettiert wird das Expeditionsteam durch die Fotografin Anna Öhlund aus Kurravaara.
Achtung: Trinkwasser!
Am Tag vorher sind wir bei Käringsjön im Naturreservat Rogen in Härjedalen losgepaddelt, wo wir direkt auch unsere ersten Proben entnommen haben. Dort irgendwo liegt die Quelle des Göta älv oder vielmehr die Quellen. Eine Tafel aus wettergegerbtem Holz an einem kleinen Wasserlauf, der in den See Käringsjön fließt, verkündet, dass die Quelle sich genau hier befindet. Eine andere kleine Tafel zeigt einen durchgekreuzten pinkelnden Jungen und den Hinweis: »Vattentag/drinking water«.
Ob man damit nur zu Rücksicht auf wandernde und paddelnde Touristen mahnen will oder auch an die Norweger und Schweden gedacht hat, die weiter unten ihr Trinkwasser aus dem Fluss entnehmen, bleibt ungewiss. Andere Möglichkeiten der Verunreinigung lassen sich hier zumindest nicht erkennen. Etwas weiter entfernt informiert ein Wegweiser, dass es von hier 731 Kilometer bis Göteborg sind. Und doch liegt, zumindest über einige skandinavische Meilen, nur wegloses Land vor uns, die reine Wildnis.
Über Stromschnellen ins Ungewisse
Die Stromschnelle donnert und der Regen rauscht. Wir tragen die Kanus samt Gepäck über Land und setzen sie knapp unterhalb der letzten Strömungswirbel wieder ein. Faszinierend, wie sich das Wasser dann immer so plötzlich wieder beruhigt. Eben noch brutale Kraft und pure Energie, jetzt ein schwarzglänzender Spiegel, auf dessen Oberfläche die Regentropfen winzige Kreise hinterlassen. Wir haben noch gut zwanzig Kilometer vor uns bis zum Femund, dem zweitgrößten natürlichen See Norwegens. Keine Ahnung, was uns erwartet. Zwar wissen wir, dass außer ruhigen Wasserläufen und kleineren Seen auch eine Menge Stromschnellen auf der Strecke liegen, aber wir haben keine Vermutung, welche davon wir bei diesem niedrigen Wasserstand und mit unseren schwer bepackten Kanus bewältigen können.
Eben noch brutale Kraft und pure Energie, jetzt ein schwarzglänzender Spiegel, auf dessen Oberfläche die Regentropfen winzige Kreise hinterlassen.
Die beiden Kanus hat Andi aus natürlichen Materialien selbst gebaut. Sie sind ziemlich strapazierfähig, wenn auch nicht in gleichem Maß wie ihre modernen Pendants aus Aluminium oder PVC, das ist klar. Aber sie sind schön anzusehen, wie sie da im Wasser liegen und rostrot glänzen, ohne die Umwelt zu belasten. Und sie sind für Seen besser geeignet. Wobei man weder den Erlebniswert unterschätzen sollte noch den ästhetischen Genuss, den es bereitet, auf Holzbänken zu sitzen und nach vorn auf die geölte Reling und den dunklen Boden aus Birkenrinde zu schauen, dabei ein Paddel in den Händen zu halten, das mit Schnitzmesser und Hobel aus Kirschholz geformt wurde.
Der Fluss beult sich in westlicher Richtung aus wie ein verzweigtes Gedärm – umgeben von Felsbrocken, der sogenannten Rogenmoräne, von Torfmoos und struppigen Kiefern. Es ist eine eigenartig trostlose Landschaft, von der es heißt, Gott habe sie im Zorn erschaffen. Ab und zu rührt sich etwas im Wasser. Sonst gibt es keinerlei Anzeichen von Leben. Wir bewegen uns langsam vorwärts. So können wir die nächste Stromschnelle hören. Dieses Grollen, das allmählich näher kommt.
Femund – Segeln im Sonnenschein
Nach fünf Tagen erreichen wir den Femund-See. Überall dort, wo das Paddeln unmöglich war, sind wir zwischen Wasserpfützen und Grasbüscheln vorwärts gestolpert, mit dem 35-Kilo-Rucksack oder dem Kanu auf dem Rücken. Die Kälte haute uns um, die Natur kämpfte gegen uns mit peitschendem Regen, wir tranken das klare Flusswasser aus der hohlen Hand. Immer wieder tauchte eine Gruppe von Norwegern in PVC-Leichtkanus auf. Sie waren viel schneller als wir, machten aber lange Pausen, um zu angeln, zu rauchen und Bier zu trinken. Auf den Fußpfaden und am Flussufer sah man synthetische Farbplacken von ihren und anderen Kanus.
Am Femund-See kommt endlich die Sonne heraus und die Temperatur steigt. Wir binden die Kanus mit Stangen zusammen, basteln eine Takelage und hissen den Windschutz als Segel. Bei Nordwestwind, sechs bis sieben Meter pro Sekunde, surfen wir über den großen Bergsee mit bis zu fünf Knoten und fühlen uns wie or Heyerdahl auf einer Expedition in ganz anderen Breiten. Am nächsten Tag ist Windstille. Ohne Segel, aber immer noch zusammengebunden wie ein Katamaran, gleiten wir auf ein sandiges Ufer voller Sommerblumen in der Nähe der Siedlung Sorken. »Verdammt, wieso sind wir jetzt so weit nach Süden abgekommen«, wundert sich Andi. Häuser und Höfe, Straßen und Autos. Am Dorfrand finden wir das Femund Canoe Camp, dessen schwedisch-norwegischer Eigentümer Bengt Magnusson seit 1974 im Kanugeschäft ist. Jetzt steht er an der Kasse und schmunzelt, während er uns Kaffee, Eis, Muffins, Nussschokolade und Schokokeksriegel verkauft. Wir haben fast eine Woche von eigenhändig getrockneter vegetarischer Nahrung gelebt, so naturnah also, wie es eben geht. Aber dann kommt man in ein Dorf und in einen kleinen Laden und schon ist man glücklich wie ein Kind. »Schon komisch, was die Zivilisation mit einem macht«, sagt Andi und kaut frenetisch auf einem Bissen seiner 200 Gramm schweren Schokoladentafel.
Die Zivilisation gibt und die Zivilisation nimmt. Sanni Kegel, der im Camp arbeitet, erzählt uns, dass die norwegischen Behörden im Jahr 2014 an diversen Orten eine Untersuchung zu polyfluorierten Chemikalien durchführten und ausgerechnet in Forellen aus dem Femund schockierend hohe Werte fanden, obwohl dort keine konkrete Emissionsquelle nachzuweisen ist.»Danach hat dann niemand mehr davon geredet«,sagt er empört.
Mikroplastiksuche in schönster Natur
Wir paddeln weiter, in den unteren Teil des Femund, und entnehmen unsere Wasserproben. Andrea, unsere Meeresbiologin, legt ihre selbst konstruierten Manta-Trawls aus: zwei Metallkästen auf Schwimmpontons, jeder mit einem langen Netzschwanz, der das Wasser einsaugt und es durch einen Filter leitet, in dem alle Partikel unter drei Millimeter Größe aufgefangen werden.
Nach einem Kilometer fleißigen Paddelns ist es Zeit, die Netze einzuholen. Andrea zeigt uns, was in den Schwänzen gelandet ist. Algen und Blätter – und vielleicht auch Mikroplastik. »Wenn Mikroplastik dabei ist, versteckt es sich in den natürlichen Ablagerungen«, sagt Andrea. »Das kann ich zu Hause untersuchen, ganz mechanisch mit den Fingern.« Ich nehme eine der Testflaschen und fülle sie mit einem Liter Wasser, das scheinbar kristallklar ist. Vom nächsten Postamt werden wir die Probe zu Anna Kärrman an der Universität Örebro schicken, wo das Wasser auf polyfluorierte Substanzen untersucht wird. Dann landen wir an einem Ufer, wo wir unser Lager aufschlagen. Wir folgen unserer täglichen Routine, bauen Zelte und Windschutz auf, sammeln Holz, Reisig und Birkenrinde, machen Feuer und kochen.
Der Wind wird stärker. Wolken ziehen über den Himmel und kündigen eine Wetterverschlechterung an. Wir sind dankbar für unsere modernen Zelte aus leichtem Synthetikmaterial. Regendicht, funktionell. Und selbst wenn ein Teil der Outdoor-Branche die schädlichsten Varianten der polyfluorierten Chemikalien schon aus dem Verkehr gezogen hat – die dann aber oft durch ähnliche, noch nicht getestete Substanzen ersetzt werden –, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass unsere Zelte, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben, genau diese Stoffe enthalten. Das Gebirge, das aussieht wie ein Frauenprofil aus der Rokokozeit, liegt friedlich im Licht der untergehenden Sonne. Während wir anderen uns in den Zelten hinhauen, bleibt Andi allein in seinem Windschutz aus petroleumimprägnierter Baumwolle zurück. »Ich muss einfach noch hier sitzen und diese ganze Schönheit anschauen.« Es fällt ihm schwer, die Wildnis hinter sich zu lassen. Denn dort ist er zu Hause.
Grenzerlebnisse und entspannte Flößer
Wir paddeln weiter auf dem Fluss Trysilelva, teils durch Stromschnellen, teils in ruhigem Wasser. Immer wieder macht uns der niedrige Wasserstand zu schaffen. Manchmal müssen wir die Kanus an Seilen herunterlassen, zwischen rutschigen Steinen und Strömungswirbeln. Oder wir müssen sie mit Bootswagen transportieren, auf vielbefahrenen Asphaltstraßen und trostlosen Schotterwegen. Einmal wandern wir fast 20 Kilometer bergauf und bergab an einem Gebirgswald entlang, mit wundgescheuerten Füßen, schmerzendem Rücken und protestierender Lunge.
Schon irgendwie merkwürdig – sobald man sich einer Siedlung nähert, hat man das Gefühl, dass man das Wasser nicht mehr trinken möchte
Wir passieren verschiedene Klimazonen, die Temperatur steigt von 8 auf 28 Grad, der Kiefernwald wird nach und nach von Fichten und Birken abgelöst, Dörfer und Siedlungen werden zahlreicher. In Trysil diskutieren wir, ob wir, wie bisher, das Wasser direkt aus dem Fluss trinken können. Alle außer Andi haben ihre Zweifel. »Schon irgendwie merkwürdig – sobald man sich einer Siedlung nähert, hat man das Gefühl, dass man das Wasser nicht mehr trinken möchte«, sagt Andrea. Sie geht zur Tankstelle, um Trinkwasser aus der Leitung zu holen. Aus dem Fluss, aber über den Umweg durch ein Wasserwerk.
Hinter Trysil entnehmen wir neue Proben. Wir überqueren noch einmal die Reichsgrenze zwischen Norwegen und Schweden. Der Fluss wird immer öfter durch Kraftwerksdeiche aufgehalten, die mit Bruchsteinen aufgefüllt sind. Dazwischen fließt er weiter, der Klarälven, scheinbar unberührt, anfangs mit starker Strömung, dann ruhig mäandernd.
In Branäs tauchen zum ersten Mal die handgebauten Langholzflöße auf. Kinder und Erwachsene aus verschiedenen europäischen Ländern stehen am Ufer und wählen Stämme aus, die verstreut herumliegen wie ein Riesenmikado. Mit Seilen binden sie die Stämme zu Flößen zusammen, um damit für einige Tage auf eine »Slow Adventure«-Fahrt zu gehen, bei der sie mit der Strömung in meditativem Tempo bis zu hundert Kilometer zurücklegen. Das ist, so die Zeitschrift National Geographic, eines der 50 weltweit angesagtesten Abenteuer. Wo auf dieser Liste würde wohl unser Abenteuer landen?
An einem Abend zu später Stunde binden wir die Kanus wieder zu einem Katamaran zusammen, aber ohne Segel. Jetzt, wo wir nicht mehr heben und tragen müssen, wollen wir ein ordentliches Stück weiterkommen. Wir möchten die Sommernacht und die stille Fahrt im Dämmerlicht genießen. Der Fluss breitet sich nun in so großen Schleifen aus, dass jede uns fast ebenso weit zurück- wie vorwärtsführt. Immer mehr Laubwald, vermischt mit Fichten, die allmählich höher und stattlicher geworden sind. Sandbänke,die nach unten hin zerfallen und den niedrigen Wasserstand anzeigen. Ein Biberbau nach dem anderen – kräftige Schläge im ufernahen Wasser. Wir paddeln im Dunkeln weiter. Ein zarter Nebel liegt über dem Fluss. Ich krieche in Andis Daunenschlafsack und tue gar nichts. Fühle mich wie ein Patriarch, wie ein kolonialer Expeditionsleiter aus früheren Zeiten, der sich durch den dunklen Dschungel paddeln lässt. Oder wie ein värmländischer Gutsherr, der durch die nordische Sommerkühle gefahren wird. »Du erinnerst mich an dieses Gemälde, das den Leichenzug irgendeines Königs darstellt«, sagt Andrea. »Karl XII., nachdem er bei Fredrikshald gefallen war«, antworte ich, bevor ich in die Landschaft des Schlafs hinübergleite. Wie aus weiter Ferne höre ich die Paddelschläge der anderen.
Der Strom als Wirtschaftsfaktor
Über gut hundert Kilometer bleibt die Natur mehr oder weniger naturbelassen. Dann übernimmt die Industrie die Szenerie: Hagfors, Munkfors, Deje und Forshaga. Energie, Eisenerz und Holz. Die Eckpfeiler des zivilisatorischen Fortschritts, der Schweden reich gemacht und seine Spuren in Wasser und Erdreich hinterlassen hat. Unterhalb von Forshaga, wo die Firma Stora Enso Kartonverpackungen mit Plastik beschichtet, entnehmen wir wieder unsere Wasserproben. Das Wasser ist trüb.
Direkt aus dem Fluss trinken wir schon lange nicht mehr. Wir nähern uns dem Vänern, dem drittgrößten See Europas, der einem Binnenmeer gleicht. Der Wind dreht nach Süden, erreicht zehn bis elf Meter pro Sekunde und macht es unmöglich, in offenen Kanus über den riesigen See zu paddeln. Wir lassen uns im Auto mit Anhänger an die Südspitze von Värmlandsnäs bringen und fahren am nächsten Morgen, die Kanus an Deck festgezurrt, mit dem Linienboot bis zum Schloss Läckö. Sobald der Wind nachgelassen hat und die Wellen sich beruhigt haben, paddeln wir nach Vänersborg, in Richtung Fluss. Im unteren Teil des Sees will Andrea Proben für einen Mikroplastiktest entnehmen. In unseren Meeren wurden solche Untersuchungen schon häufiger gemacht, aber was schwedische Seen und Fließgewässer betrifft, hat man bis 2017 noch kaum etwas davon gehört. Im letzten Sommer hat dann die Universität Örebro die größten Seen Schwedens, darunter den Vänern, auf Mikroplastik untersucht. Die Resultate stehen noch aus.
Nur die leuchtende Fahrrinnenmarkierung erinnert daran, dass es sich hier, rein ökonomisch, um den wohl wichtigsten Wasserlauf Schwedens handelt.
Wir durchqueren das große Schleusensystem von Trollhättan, einer kleinen Industriestadt etwa 70 Kilometer nördlich der Mündung desFlusses in Göteborg. Seit dem Jahr 1800 ist dies ein Grundbaustein des industriellen Transportsystems in Schweden: Vier Schleusen leiten, vom Freizeitboot bis zum Tanker, den gesamten Schiffsverkehr über eine Höhendifferenz von 32 Metern flussauf- und flussabwärts. Wenn man in einem Kanu sitzt, fühlen sich die fast zehn Meter senkrecht hochragenden Schleusenwände brutal an. Feuchtigkeit rinnt an den algenbewachsenen Betonmauern herunter, das Wasser spritzt zwischen den Schleusentoren hervor. Die unteren Tore öffnen sich. Wir paddeln los, entnehmen unsere Wasserproben gleich hinter der Schleuse und setzen unsere Fahrt auf dem Fluss fort. Er schlängelt ruhig und friedlich voran. Nur die leuchtende Fahrrinnenmarkierung erinnert daran, dass es sich hier, rein ökonomisch, um den wohl wichtigsten Wasserlauf Schwedens handelt.
Hafen in Sicht
Bei der Kleinstadt Kungälv teilt sich der Fluss in zwei Arme, bewacht von einer mittelalterlichen Festung. Ein Schild verkündet, dass wir uns hier und auf den nächsten sieben Kilometern in einem Wasserschutzgebiet befinden. Aus den Seen Käringsjön und Rogen hat es das Wasser bis hierher geschafft. Was als ein kleiner Bach in unberührter Wildnis anfing, ist nun Schwedens wasserreichster Fluss mit einer Mittelströmung von 565 Kubikmetern pro Sekunde, mit einer Wasserqualität, die sich im Vergleich zu den extrem schlechten Werten der Siebzigerjahre erheblich verbessert hat, die aber amtlicherseits immer noch als »stark verändert« klassifiziert wird.
Andrea sucht ihre Manta-Trawls zusammen, um genau im Bereich des Wasserwerks von Alelyckan eine letzte Probe zu entnehmen. In der Nähe des Werks steht ein Mann und angelt. Ich frage ihn, ob er sich darauf verlässt, dass das Wasser hier sauber ist. Er sieht unsicher aus, antwortet aber schließlich mit Ja. Ich nehme die letzte Probenflasche und fülle sie mit Wasser. Dem Rohstoff für Göteborgs Trinkwasser. Wir gleiten durch die Altstadt und hinaus in den Hafen. Die Stadt glitzert in der untergehenden Sonne. Wir legen mit den Kanus an einem Steg beim Opernhaus an und gehen zu einer Restaurantterrasse. Wir bestellen kein Göteborger Leitungswasser. Sondern stoßen mit Bier und Cidre auf unsere Fahrt an. Wir haben das Wasser des Flusses auf seinem Weg begleitet. Von der Quelle bis zum Meer.
Das Ergebnis der Proben erreicht das Expeditionsteam ein paar Wochen später. Alle Werte lagen unter der vom schwedischen Lebensmittelwerk empfohlenen PFAS-Richtwert von 90ng/l. Die höchsten Werte wurden im Femund (12,6 ng/l) und bei Trollhättan (11,6 ng/l) festgestellt. Bei Käringsjön, Trysil und Forshaga wurde kein PFAS nachgewiesen.