Neben der Spur: Trailrunning in Schwedisch Lappland
Die meisten Touristen sind schon lange wieder zu Hause, als Daniel Fort im Oktober seinen VW-Bus packt und Richtung Schwedisch Lappland fährt. Der Fotograf und begeisterte Trailrunner will sich die skandinavische Wildnis erlaufen. Eis, Schnee und Wind begleiten ihn auf seiner Reise durch die Einsamkeit.
Ich sitze am Steuer meines VW-Busses, es ist Ende Oktober und mein Ziel ist wieder einmal Skandinavien. Ich cruise mit 90 Stundenkilometern auf der Autobahn Richtung Fehmarn und freue mich, endlich wieder die Weite Skandinaviens zu sehen. In den nächsten Tagen wird mich meine Route durch die schwedischen Wälder über Mora und Östersund bis nach Jokkmokk und schließlich zu meinem ersten Ziel Kvikkjokk am Sarek-Nationalpark führen. Insgesamt werde ich drei Wochen unterwegs sein und die Landschaften des nördlichen Skandinaviens via Trailrunning erkunden. Zunächst bin ich jedoch mit Fahren beschäftigt und erneut von den Dimensionen Schwedens beeindruckt. 48 Stunden werde ich benötigen, bevor ich mich wieder körperlich betätigen kann. Fahren, Essen und Schlafen. Schnurgerade verläuft die E45 durch die endlosen Wälder. Die Bäume sind bereits kahl. Je weiter ich nach Norden komme, desto kälter und winterlicher wird es. Die fernen Berge an der Grenze zu Norwegen sind bereits weiß gepudert.
Kvikkjokk: Kampf gegen die Kälte
In Jokkmokk verlasse ich die E45 und fahre auf einer schmalen asphaltierten Straße Richtung Kvikkjokk. Mir begegnen kaum andere Fahrzeuge und Touristen trifft man zu dieser Jahreszeit nur noch selten. Ich finde einen Parkplatz an der Fjällstation in Kvikkjokk. Bis auf ein Wohnmobil ist mein Bulli das einzige Fahrzeug. Das Wetter ist blendend. Trockene Kälte empfängt mich, als ich mit Vorfreude auf meinen ersten Lauf aus dem Wagen springe. Die Sonne scheint noch, steht jedoch bereits tief. Die Tage sind schon sehr kurz. Gegen 16 Uhr wird es langsam dunkel.Ich mache mich schnell fertig. Packe meine kleine Kamera, ein leichtes Stativ, Jacke, Stirnlampe, einige Müsliriegel und Wasser in den Rucksack. Zunächst folge ich dem Kungsleden, einem Wanderweg, der durch ganz Schweden führt. Die ersten Schritte fühlen sich etwas unbeholfen an. Es dauert, bis ich meinen Rhythmus finde. Der Weg ist mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt und der Boden sehr hart. Es ist nicht besonders angenehm, hier zu laufen. Nach einer Weile kehre ich um. Ich habe von der Region noch keine Karte und laufe nur nach Gefühl. Wieder an der Fjällstation angekommen, finde ich eine Wandkarte, die außen im Eingangsbereich der Hütte angebracht ist, und versuche, mich ein wenig zu orientieren. Hier treffe ich Björn, den Betreiber der Hütte.
Bootsüberfahrt zum Prinskullen
Er ist gerade dabei, den Weg, der zur Fjällstation führt, auszubessern. Da er nicht mehr viel Zeit hat, bevor der Boden endgültig gefriert, ist er sehr in Eile. Dennoch nimmt er sich einige Minuten Zeit, um mit mir ein paar Worte zu wechseln. So kommt es, dass er mir einen Trail, der auf den 750 Meter hohen Prinskullen führt, empfiehlt. Einzige Hürde: Er ist nur per Boot erreichbar. Da Björn auch der örtliche Bootsmann ist, der im Sommer die Wanderer zu den Trails über den Fluss bringt, sitze ich wenig später mit ihm und seiner Frau im Boot. Der Fahrtwind ist kühl. Der getrocknete Schweiß auf meiner Haut lässt mich frösteln. Ich habe vom Wasser aus einen guten Blick in das Tal des Tarraälven und die schneebedeckten bis zu 1800 Meter hohen Berge des Tarrekaise-Massivs. Am Ufer angekommen, tauschen wir Handynummern aus und vereinbaren eine ungefähre Abholzeit. Zunächst führt der Trail durch dichten Wald, überall liegen umgefallene Bäume. Moose und Flechten wuchern auf den Stämmen. Der Boden ist erdig und weich. Hier fühle ich mich deutlich wohler. Auf einigen nassen und rutschigen Planken, die über sumpfige Stellen führen, ist Vorsicht geboten.
Unsichere Rückkehr
Je höher ich komme, desto lichter wird der Baumbestand. Auch die Schneeschicht wird immer dicker. Nach einer halben Stunde bin ich auf der Hochebene angelangt. Der Ausblick in den Sarek-Nationalpark ist wunderbar. Ein Stück weiter sehe ich einige Rentiere. Ich würde gerne weiterlaufen, querfeldein über die Hochebene Vallevare bis zu den höheren Gipfeln. Es ist jedoch schon recht spät und beginnt zu dämmern. Daher mache ich mich lieber auf den Rückweg. Nach wenigen Minuten komme ich am Anlegeplatz an. Ich bin etwas früher vor Ort als vereinbart und wähle Björns Handynummer. Leider kann ich ihn nicht erreichen.
Nun werde ich doch ein wenig unruhig und beginne, darüber nachzudenken, wie ich alleine ans andere Ufer komme. Der direkte Weg ist nicht weit. Ich könnte schwimmen.
Es ist mittlerweile schon recht düster und wird nun deutlich kühler. Ich versuche erneut, Björn zu erreichen – ohne Erfolg. Nun werde ich doch ein wenig unruhig und beginne, darüber nachzudenken, wie ich alleine ans andere Ufer komme. Der direkte Weg ist nicht weit. Ich könnte schwimmen. Doch das Wasser ist eiskalt und meine Kamera …? Dann klingelt mein Telefon. Es ist Björn. Er macht sich sofort auf den Weg. Einige Minuten später erkenne ich sein Boot im blauen Dämmerlicht.
Nikkaluokta: Absolute Stille
Der nächste Morgen ist klar und eisig kalt. Die Fensterscheiben meines Bullis sind von innen vereist. Dennoch ist es im Schlafsack gemütlich warm. Ich beschließe, weiter in den Norden zu fahren. Mein Ziel ist Nikkaluokta in der Nähe des Kebnekaise – dem höchsten Berg Schwedens. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Kiruna biege ich von der E10 auf die Straße Richtung Nikkaluokta ab. Je näher ich dem Kebnekaise komme und je mehr ich an Höhenmetern zulege, desto verschneiter und eisiger wird die Straße. Ich fahre sehr vorsichtig, denn ich habe keine Spikes an den Winterreifen, so wie es in Nordschweden üblich ist. In Nikkaluokta habe ich wieder freie Platzwahl. Es liegen fünf Zentimeter Schnee auf dem Parkplatz. Reifenspuren sind kaum zu erkennen. Ich erkunde den Ort, schlendere zu der Kapelle auf einem Hügel, von dem ich einen guten Blick auf meine morgige Route habe.
Nur ungern verlasse ich am nächsten Morgen die Wärme des Schlafsacks, doch der Drang, das Kebnekaise-Massiv zu sehen, ist größer. Nach einer Katzenwäsche im Schnee, einem Frühstück aus Schokoriegeln und etwas Wasser, packe ich erneut meinen Rucksack. Ich passiere die Kapelle und folge den Markierungen Richtung Fjällstation. Der kalte Schnee knirscht unter den Füßen. Als die Sonnenstrahlen das Tal erreichen, fange ich zwischendurch sogar an, richtig zu schwitzen. Es herrscht absolute Stille. Nur mein eigener Atem ist zu hören. Ich erkenne Schuhabdrücke im Schnee. Ob hier doch tatsächlich vor mir jemand gegangen ist?
Nach einigen Kilometern komme ich an eine Hüttenbaustelle und wundere mich, dass hier noch gearbeitet wird. Die Handwerker sind die ersten Menschen, die ich in dieser Region treffe. Irgend wie ist es ein gutes Gefühl, die Jungs hier zu wissen.
Nach zwei Stunden, die mich durch Birkenwälder und Felsblöcke über Holzplanken, Flüsse, Brücken und Schluchten führen, erreiche ich die Fjällstation. Mir kommt eine Gruppe schwer bepackter und vermummter Männer entgegen. Ihr Gang wirkt müde, als kämen sie gerade aus einer verlorenen Schlacht. Es sind Bergsteiger aus den Niederlanden. Wir sind alle überrascht, uns hier zu begegnen. Sie wundern sich, mich schon so zeitig vor Ort anzutreffen. Sie mussten ihren Versuch, den Kebnekaise zu besteigen, leider abbrechen, da die Bedingungen zu schlecht waren. Ihre Spuren waren es also, die mich den ganzen Weg über hierhin begleitet haben.
Ich mache mich auf den Rückweg. Nach weiteren zwei Stunden bin ich dann doch ziemlich erfreut, wieder die Kapelle auf dem Hügel vor Nikkaluokta zu sehen. 40 Kilometer durch Schnee und Wind mit einem relativ schweren Rucksack machen sich bemerkbar. Hungrig kehre ich zu meinem Bus zurück und freue mich auf eine warme Mahlzeit. Während die Suppe auf dem Gaskocher köchelt, genieße ich den Ausblick auf die umliegenden weißen Berge und den rosa gefärbten Himmel des Abends.
Pallastunturi: Berglauf mit Aussicht
Am nächsten Tag befinde ich mich wieder auf der E45 und rolle Richtung Finnland. Die Lüftung läuft auf der wärmsten Stufe. Meine feuchten Laufklamotten sind im Wagen verteilt und trocknen während der Fahrt. Ich möchte den Pallastunturi im Pallas-Yllästunturi-Nationalpark erkunden.
Die Sonne strahlt, als ich auf dem Parkplatz ankomme. Das Informationsbüro des Besucherzentrums hat sogar noch geöffnet und ich erkundige mich dort nach einer Karte, um meine Tour zu planen. Kurze Zeit später trabe ich langsam los. Es geht sofort steil bergan und je höher ich komme und je tiefer ich in das Massiv hineinlaufe, desto einsamer wird es. Es liegt bereits ordentlich Schnee. Der Wind nimmt immer mehr zu. Als ich am Gipfel des Taivaskero, dem höchsten der insgesamt sieben Berggipfel, ankomme, weht es ziemlich stark. Eispartikel wirbeln durch die Luft und ich schnüre meine Kapuze so eng es geht. Doch der Ausblick ist beeindruckend. Die Ebene um die Gebirgskette des Nationalparks ist kaum verschneit und bildet so einen deutlichen Kontrast zu den weißen Bergkämmen.
Ich folge den hölzernen Stangen, die den Trail markieren, bergab Richtung Norden. In den tieferen Lagen nimmt der Wind merklich ab. An einigen Stellen ist es glatt, was unter dem Schnee nicht sofort zu erkennen ist. Ich laufe wie auf rohen Eiern, um nicht auszurutschen. Meine Sprunggelenke schmerzen etwas, da das Laufen hier ständiges Korrigieren erfordert. Die wunderbare Landschaft und der endlose Blick lassen die kleinen Qualen jedoch schnell vergessen. Nach insgesamt 25 Kilometern kehre ich zufrieden zum Parkplatz zurück.
Unerwartete Pause
Tagsüber lässt die Sonne das Eis auf den Gräsern, Sträuchern und Bäumen schmelzen. Wege und Straßen werden feucht und vereisen dann bei den sinkenden Temperaturen schnell. Somit muss ich vorerst alle meine weiteren Pläne verwerfen und hoffe, dass sich die Bedingungen noch einmal so verändern, dass ich Lappland verlassen kann, um in wärmere Regionen Skandinaviens zu flüchten.
Nach drei Tagen »Gefangenschaft« beschließe ich, die Fahrt gen Süden zu wagen. Ich muss in sieben Tagen wieder in Deutschland sein und die Bedingungen werden sich wohl erst wieder mit dem ersten großen Schnee entspannen. Am Nachmittag mache ich mich auf der E8 los Richtung Tornio. Ich fahre maximal 50 Stundenkilometer, denn in schattigen Abschnitten liegt eine Menge Eis auf der Straße.
Kurz vor Tornio entspannt sich die Lage endlich und der Verkehr nimmt deutlich zu. Ich übernachte auf einem Parkplatz in der Nähe der Straße. Am nächsten Morgen geht es weiter auf der E4 bis nach Örnsköldsvik. Ich übernachte ein weiteres Mal, bevor ich mein Ziel, das Vålådalen im Ottfjället, erreiche.
Vålådalen: Finale mit Gipfelhopping
Vom Tal begebe ich mich laufenden Schrittes auf den 1 265 Meter hohen Östertoppen. Wolken dominieren den Himmel, die Gipfel sind nicht zu sehen. Hin und wieder reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick frei auf einzelne weiße Berghänge. Auf dem Gipfel angekommen, ist die Sicht gleich null. Nebel hängt über den Felsen. Der Wind pfeift enorm und lässt mich nicht lange verweilen. Doch die Schweden lassen sich von dem schlechten Wetter nicht abschrecken. Ich treffe auf ein paar Wanderer, die gerade ihre Tour beginnen, während ich bergab über die teilweise sehr schönen schmalen Trails fliege.
Noch am selben Nachmittag fahre ich einige Kilometer weiter gen Norden nach Dalen. Ich habe mir den 1 024 Meter hohen Välliste als nächstes Ziel ausgeguckt. In Dalen spreche ich ein einheimisches Paar an, da ich wissen möchte, ob der Campingplatz noch in Betrieb ist. Ich habe Glück: Sie haben die Telefonnummer von Stefan, dem Betreiber. Wir unterhalten uns eine Weile und ich bekomme einige Tipps, da die beiden auch hin und wieder laufend auf den umliegenden Trails unterwegs sind. Nachdem ich mich ein wenig eingerichtet habe, schreibe ich Stefan eine SMS, um mich bei ihm anzumelden. Spät abends, nachdem ich ausgiebig geduscht und die Sauna genossen habe, schreibt er mir, dass er demnächst mal vorbeischauen würde und ich gerne ein paar Tage bleiben könne, obwohl die Saison eigentlich schon vorbei ist. So wie es aussieht, habe ich den Campingplatz, die Duschen und den Aufenthaltsraum ganz für mich alleine.
Als ich abends aus dem Aufenthaltsraum trete, bemerke ich, dass die steile Auffahrt des Campingplatzes zur Straße an einigen Stellen glitzert. Schlagartig wird mir heiß.
Der Trail auf den Välliste verläuft zunächst sehr steil, über teilweise sehr schlammige und rutschige Stufen durch dichten Urwald mit einigen Wurzeln, die über den Pfad wuchern. Dann wird er flacher, die Vegetation spärlicher. Auf einer Hochebene schlängelt sich der Trail Richtung Gipfel. Es ist ein Genuss, hier zu laufen. Oben angekommen, betrete ich zunächst die kleine Schutzhütte, ziehe mich um und esse eine Kleinigkeit. Der Wind ist wieder einmal deutlich zu spüren. Zahlreiche weiße Flecken, es sind Seen und Flussläufe, die in die Wälder gebettet sind, dominieren die dunkle Landschaft unter mir.
Heimreise mit Gelenkproblemen
Für den Rückweg wähle ich eine andere Route. Ich folge zunächst dem gleichen Pfad bergab über die Hochebene, biege dann aber nach Westen ab. Schon bald bereue ich diese Entscheidung. Ich kämpfe mich über einen sehr nassen und sumpfigen Pfad und bei jedem Schritt sinke ich schmatzend ein. Nach mir endlos erscheinenden drei Kilometern komme ich wieder auf trockeneren Boden und folge nun einem wunderschönen engen Pfad, der durch dichten Wald führt, bergab. Am Campingplatz angekommen, landen meine Klamotten und Schuhe sofort im Trockenraum. Ich schlüpfe unter die Dusche und verbringe den Rest des Tages mit Kochen, Essen und ein wenig Bildbearbeitung vorm Laptop.
Als ich abends aus dem Aufenthaltsraum trete, bemerke ich, dass die steile Auffahrt des Campingplatzes zur Straße an einigen Stellen glitzert. Schlagartig wird mir heiß. Die Straße ist glatt. Schon arbeitet es in meinem Kopf. Natürlich habe ich Schneeketten dabei. Und ein paar Meter von mir entfernt liegt etwas Schotter, ich könnte streuen. Ich entspanne mich wieder. Am nächsten Tag ist die dünne Eisschicht verschwunden. Ich breche nochmals zu einem kurzen Lauf auf, lege aber für den folgenden Tag endgültig die Heimreise fest. Am Nachmittag kommt Stefan auf einen Sprung auf dem Campingplatz vorbei. Auch er rät mir, nun langsam weiter nach Süden zu fahren.
Nach einer letzten Nacht im Bulli rolle ich am nächsten Morgen vorsichtig Richtung Östersund. Schon bald werden die Straßen glatter. Ich stelle mich auf eine lange Heimfahrt ein und beschließe, den direkten Weg zur Küste über Sundsvall zu nehmen. Nach endlosen Stunden auf der E14, in denen sich hinter mir lange Schlangen bilden, ist die Straße kurz vor Sundsvall eisfrei. Während der abendlichen Rushhour in Stockholm muss ich erneut bangen: Plötzlich kann ich nur noch in den dritten und vierten Gang schalten. Wie ich später erfahre, hat sich das Gelenk zwischen Schalthebel und Schaltgestänge des Getriebes verabschiedet. Mit maximal 80 Sachen fahre ich weiter durch die Nacht und versuche, möglichst keine weiteren Pausen zu machen. Nach 28 Stunden Fahrt erreiche ich dann endlich erleichtert meinen Wohnort Bielefeld. Doch Skandinavien werde ich so bald wie möglich erneut bereisen.