Wandern in Österlen: Durch die Toskana des Nordens
Ganz im Süden Schwedens lockt Österlen mit Apfelbaumplantagen, Nationalparks und kreideweißen Stränden. Auf seiner Wanderung an Skånes Ostküste entlang fühlt sich NORR-Autor Emil Sergel wie ein fröhlicher Landstreicher aus einem Astrid-Lindgren-Buch.
Wir fühlen uns befreit, als wir in Brösarp aus dem Bus steigen. Leichten Schrittes wandern wir über taufeuchte Hügel und halten Ausschau nach einem orangeroten Schild, das uns den Weg zum Wanderweg Skåneleden weisen soll. Auf unseren Schultern lastet diesmal keine Ausrüstung für kraftraubende Abenteuer – kein Campingkocher, kein Zelt, kein Schlafsack. Gerade einmal ein paar Kilo wiegt der Rucksack mit einigen Klamotten für den Abend, Regenjacke, Zahnbürste und meiner Badehose. Diese Wanderung soll ein Genuss werden.
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Schließlich sind wir unterwegs in Österlen, jenem Teil der südschwedischen Provinz Skåne, der gerne auch als »Schwedens Toskana« bezeichnet wird. Nicht nur geografisch erinnert die sanfte Hügellandschaft mit ihren Obstplantagen und sogar Weinreben an das italienische Vorbild. Österlen ist ebenfalls bekannt für seine gute Küche und das kulinarische Handwerk, für seine idyllischen Dörfer mit gemütlichen Unterkünften.
Für mich, der sonst vor allem im Fjäll unterwegs ist, in der mächtigen, oft menschenlosen Natur weit oben im Norden, ist es fast ein bisschen schwer zu begreifen, dass ich mich immer noch in Skandinavien befinde. Doch ich bin bereit für dieses etwas andere Wandererlebnis – ganz entspannt und ohne Qualen. In zwei Tagesetappen werden wir zunächst nach Vitemölla und von da aus weiter nach Simrishamn gehen, wo unser Auto auf uns wartet.
Kulinarische Landstreicher
Der Tau und der Nebel schaffen eine besondere Stimmung, als wir über den Übertritt auf die Kuhweide klettern und dabei den orangeroten Markierungen folgen, die besagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Landschaft mit ihrem entspannten Auf und Ab ist abwechslungsreich. Das Auge wird aufmerksam für jede leichte Veränderung. Wir kreuzen Wiesen, um anschließend durch kleine Waldstücke zu gehen. Danach geht es wieder an Flüssen entlang. Der Nebel lichtet sich und enthüllt einen blauen Himmel. Einsame Eichen auf großen Wiesen gehören zum Schönsten, was es gibt, und man wartet bloß noch darauf, dass von irgendwo her Ferdinand, der Stier, auftaucht. Als die Kühe erscheinen, fühlt es sich eher so an, als würden wir durch einen Reklamefilm für schwedische Milchprodukte wandern.
Wir passieren kleine Weingüter, gelangen schließlich hinunter zum Meer und nehmen dort Kurs auf Skepparpsgården, eine Jugendherberge des STF (Svenska Turistförening, dt. Schwedischer Tourismusverband). Es ist ein idyllischer Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert in Meeresnähe, mit fantastischen Sandwiches und Kaffee. Ein perfekter Ausgangspunkt für Wanderungen. Das Dorf, in dem er liegt, heißt Haväng, übersetzt »Meereswiese«, und wird seinem Namen gerecht: Hier treffen grüne Wiesen auf weiße Sandstrände und ein türkisfarbenes Meer. Barfuß wandern wir am Strand entlang. Immer wieder legt sich der dünne Nebel auf die Küstenlandschaft und sorgt für eine mystische Atmosphäre, die mich für einen Moment gedanklich von der Toskana in die Normandie versetzt.
Kurz darauf erreichen wir unser Tagesziel: das kleine Dorf Vitemölla. In einer Apfelbaumplantage lassen wir uns unter einem Baum nieder und klauen ein paar Früchte, die wir dann liegend im echten Rasmus-und-der-Landstreicher-Stil genießen. Wahrscheinlich die besten Äpfel, die wir je gegessen haben! Vitemölla ist ein altes Fischerdorf, das Anfang des 18. Jahrhunderts erstmals besiedelt wurde. Heute ist es vor allem für sein »Badhotell« (dt. Badehotel) und dessen hervorragende Küche bekannt. Hier werden auch wir den Abend und die Nacht verbringen. Mit müden Füßen begeben wir uns nach einer erfrischenden Dusche ins verglaste Restaurant. Dort erwartet uns eine Orgie von Aromen, ein Fünf-Gänge-Menü, beidem jedes Gericht das vorausgehende übertrifft: Hirschfilet, Rote-Beete-Eis, Pilzconsommé und andere kulinarische Highlights mit meist regionalen Zutaten. Mehr als satt kriechen wir hinunter ins Zimmer und werden vom Geräusch der Wellen, die sich hundert Meter entfernt brechen, in den Schlaf geschaukelt.
Das Nachmittagslicht rieselt zwischen den Blättern hindurch und in der Ferne ist das Meer zu hören.
Durch Skånes Regenwald
Die Bezeichnung Österlen wurde erstmals 1847 geprägt, in einer Schrift des Priesters Nils Lovén. Es gibt keine klaren und offiziellen Abgrenzungen, doch seit den 20er Jahren wird der Begriff rege genutzt – vor allem im touristischen Zusammenhang und für genau das Gebiet zwischen Haväng im Norden und Simrishamn im Süden, das wir in diesen Tagen durchwandern. Heute erwartet uns ein Tag voller Kontraste, es wird jedoch ein langsamer und extrem angenehmer Start. Auf den ersten Kilometern werden es sogar so viele luxuriöse Stopps, dass wir am Ende des Tages für die letzten Kilometer schummeln müssen. Doch zunächst bummeln wir zum Restaurant Buhres in Kivik, das nur einen Kilometer vom Hotel entfernt liegt. Die Karte dort klingt vielversprechend und bei der Aussicht auf frisch gebratenen Hering mit Kartoffelpüree müssen wir einfach ein frühes Mittagessen einlegen. Den obligatorischen Kaffee danach – und dazu natürlich eine frisch gebackene Zimtschnecke – gibt es ein paar hundert Meter weiter im sagenhaft idyllischen Café Sågmöllan, untergebracht in einer historischen Mühle. Dann geht es weiter Richtung Süden. Nun werden die Wegränder von Apfelplantagen gesäumt und wenig überraschend taucht noch die Mosterei Kiviks Musteri auf, eine Art Fruchterlebnispark, bei dem sich alles um den Apfel dreht: Bücher, Verkostungen, Infotafeln, Führungen durch das »Haus des Apfels«. Für den Apfelkuchen ist in unseren Mägen nun leider wirklich kein Platz mehr und die dann doch gekaufte Flasche Apfelcider trinken wir im Gehen – schließlich ist es bereits zwei Uhr und wir müssen einen Zahn zulegen.
Nach einer Weile erreichen wir den Höhepunkt des Tages, den Nationalpark Stenshuvud. Wir wandern in einen märchenhaften Wald aus Nadelbäumen und moosbedeckten Steinen hinein und visieren das Herz des Nationalparks an, den 97 Meter hohen Restberget. Die Landschaft wechselt zu Laubwald und man hat fast das Gefühl, in einem Regenwald zu sein. So grün ist es. Das Nachmittagslicht rieselt zwischen den Blättern hindurch und in der Ferne ist das Meer zu hören. Der Weg schlängelt sich nach oben zum Gipfel und die Aussicht nach Süden ist großartig. Der Restberget ist die einzige Unterbrechung an der ansonsten flachen Küste, so hat man in alle Richtungen einen weiten Blick. In der Ferne ahnen wir Simrishamn im Süden, das Ziel des Tages, das wir vor der Dunkelheit unbedingt erreichen wollen. Stenshuvud bietet viele Möglichkeiten für Wanderungen – von kurzen Rundwegen bis zu einem mehrere Kilometer langen Pfad. Der kleine hochgelegene Nationalpark ist eine schöne Abwechslung in der sonst flachen Landschaft.
Rollend ins Ziel
Der nächste Kontrast wartet, als wir auf die Südseite von Stenshuvud hinauskommen und zum Meer hinuntergehen. Die Landschaft wechselt erneut und wir ziehen die Wanderschuhe aus. Wir laufen den kreideweißen Strand entlang, während die kalten Wellen der Ostsee über unsere müden Füße schwappen. Es ist schon später Nachmittag, als wir unser letztes Zwischenziel an diesem Tag erreichen. Oberhalb des Strandes zeichnen sich die Konturen von Knäbäckshusen ab, idyllische Skånetypische Fachwerkhäuser, die ein spannendes historisches Detail bergen: Sie wurden errichtet, als 1957 das alte Fischerdorf Knäbäck einem militärischen Übungsgelände weichen musste und das Dorf einfach an eine andere Stelle verlegt werden sollte. Die wenigsten Knäbäcker zogen allerdings in die neuen strandnahen Häuser – wahrscheinlich waren sie zu teuer. Sie wurden sie an Menschen aus dem ganzen Land verkauft. So entstand Schwedens erstes Feriendorf. Wer hätte gedacht, dass es bei dieser Wanderung noch einen Stressmoment geben kann? Zugegeben, es geht nicht direkt ums Überleben. Aber in zwei Stunden haben wir eine Tischreservierung in einem Simrishamner Restaurant und noch etwa fünfzehn Kilometer Strecke vor uns. Uns wird bewusst: Das schaffen wir nie!
Aber anders als in der Wildnis des Fjälls, wo es Termine dieser Art nicht gibt und man sich irgendwie ans Ziel kämpfen muss, gibt es in diesenGefilden praktische Lösungen. »Wir trampen«, schlage ich vor. Da bin ich ein echter Könner. Das habe ich mit meiner dreisten Art auch schon in anderen Ländern erfolgreich gemacht. Wir begeben uns zu einer perfekten Parkbucht hinunter und ich versuche, Autos herauszuwinken. Vergebens. Erst als unser Fotograf Roger schüchtern den Daumen hebt, hält direkt der erste mitleidige Fahrer neben uns an. Zurückhaltung ist wohl manchmal die bessere Strategie. Das Toskana-Gefühl sitzt noch in uns, als am Autofenster die grünende Umgebung an uns vorüberzieht. Unglaublich, dass man so etwas in Schweden erleben kann.