Weiter zum Inhalt

Skånes wilde Wasser

Ein verschlungener Fluss, ein glitzernder See und das mächtige Meer. Unser Wasser-Triathlon durch Skåne führt uns durch eine urzeitliche Wildnis.

Ein Mammutskelett versperrt uns den Weg um die nächste Kurve. Immerfort wird es von der gurgelnden Wasserader umspült. Als wir uns vorsichtig ein paar Paddelschläge näher heranpirschen, entpuppt sich das Knochengerüst des Urzeittieres jedoch als Überrest einer monströsen Fichte, die sich quer über den Holjeån gelegt hat.

Der Fluss im Nordosten der südschwedischen Provinz Skåne (dt. Schonen) zieht sich in breiten Schlingen vom Östafors Bruk durch saftige Wiesen und unberührte Natur, bis er sich schließlich in den See Ivösjön ergießt. Durch die wilden Ufer und das gigantische hölzerne Treibgut, das immer wieder vor unseren Augen auftaucht, erscheint es uns aber, als erforschten wir gerade ein Land vor unserer Zeit. Der Strom ist die erste Disziplin unseres Triathlons auf Skånes Gewässern. Jean-Luc, Justin und ich haben uns zum Ziel gesetzt, die Region von Ost nach West auf drei Wasserwegen im Kanu und Kajak zu erpaddeln: dem Fluss Holjeån, dem See Ivösjön und dem Meeresarm Kattegatt, rund um die imposante Halbinsel Kullaberg. Dabei möchten wir Skånes ursprüngliche Wildnis entdecken und verstehen, wie diese durch Naturgewalten, Evolution und Traditionen geprägt wurde.

https://www.youtube.com/watch?v=-OKuMwBhAgc

Kniffliges Labyrinth

Während sich Jean-Luc in seinem Kanu gekonnt um die in der Horizontalen verweilende Fichte herumbugsiert, bleiben Justin und ich, die uns ein Kanu teilen, an einem ausladenden Ast hängen. Bei dem Versuch, uns zu befreien, werden wir beinahe aus unserem Gefährt herauskatapultiert und landen nach dem Gefecht mit einer flachen Stelle im Flussbett in der Böschung, mit Blick auf diverse Spinnweben. Justin, der aus Australien stammt und eine leichte Abneigung gegen Kriechtiere hegt, ist froh, dass wir uns in diesem Moment nicht in seiner Heimat befinden »Bei uns hätte man schon längst eine giftige Spinne als Mitreisende an Bord. Da würde ich gerade nicht so entspannt bleiben«, bemerkt er.

Auch die nächste Kurve entpuppt sich als kniffliger Geschicklichkeitsparcours. Wir müssen unsere Boote um diverse Steine manövrieren. Unberührt von unserem Treiben betrachten die Buchen ihr Spiegelbild im Wasser, das stets leicht ins Schaukeln gerät, sobald wir mit unseren Kanus die Wasseroberfläche streifen. Bemooste Felsen säumen das Ufer. Beharrlich mäandert der Holjeån weiter und offenbart uns in jeder Schlinge eine magische Märchenwelt mit neuen Herausforderungen.

Der Ivösjön liegt in der südschwedischen Provinz Skåne. Das Flüsschen Holjeån mündet von Norden in den See.

Spuren der Vergangenheit

Hinter der nächsten Biegung tut sich der glitzernde Ivösjön, der größte See Skånes, auf und die zweite Disziplin unserer Erkundungstour mit dem Paddel beginnt. An der Flussmündung ragt eine imposante Baumwurzel, die an das Schild eines Triceratops erinnert, in die Höhe. Tatsächlich wurden auf der Nase zwischen dem Oppmannasjön und dem Ivösjön Spuren von Dinosauriern gefunden. Die Gegend um den Ivösjön ist eine der fossilreichsten der Welt. So förderten Forscher hier eine 85 Millionen Jahre alte Blume zu Tage. Auch Schwedens älteste Frau, die Barumskvinna, die bei ihrem Fund 9 000 Jahre zählte, wurde am Ivösjön entdeckt. Ein Bauer stieß in den 30er Jahren durch reinen Zufall auf ihre Überreste, als er einen Trampelpfad für seine Kühe ausbesserte. Zu ihren Lebzeiten war der Ivösjön noch Teil des Meeres. Die Landhebung Skandinaviens aber veränderte die Region stetig. Wir gleiten über die dunkel schimmernde Oberfläche des Sees, der so eine lange Geschichte birgt. Am Himmel ziehen Fischadler auf der Suche nach einem lohnenswerten Fang ihre Kreise. Die Wolken spiegeln sich im Wasser. Mit jedem Paddelschlag gelangen wir weiter hinaus in die stille Ferne.

Das Nachtlager schlagen wir auf einer einsamen Insel auf und lassen unseren Blick über den dunkel schimmernden Ivösjön gleiten.

Vierzig größere und kleinere Inseln liegen über den Ivösjön verstreut. Auf einer von ihnen werden wir heute Abend unser Nachtlager aufschlagen. Wir nähern uns dem ersten felsigen Eiland, auf dem wir einen Badestrand und eine Feuerstelle erspähen. »Kommt, wir schauen noch weiter«, sagt Jean-Luc, als Justin und ich bereits Kurs auf die Anhöhe nehmen. »Schließlich können wir heute eine Insel für uns ganz allein haben. Lasst uns den schönsten Platz im ganzen See finden. « Wir paddeln noch ein Stück weiter und sehen uns um. Auf einigen Inseln stehen Tische und Bänke oder sogar Windschutzhütten zur Übernachtung bereit. Wir passieren weitere kleine Felsenansammlungen, die so winzig sind, dass gerade eine Person darauf Platz finden könnte. Dann fällt unser Blick auf eine Insel mit breitem Sandstrand im Westen und einem verwunschenen Märchenwald im Osten. Wir sind uns alle drei sofort einig. Hier möchten wir die Nacht verbringen.

Knorrige Wurzeln und bemooste Felsbrocken türmen sich vor uns auf und es duftet nach Tannennadeln und süßem Harz.

Direkt am Wasser werden die Zelte aufgeschlagen. Wir verspeisen unsere Sandwiches und genießen den goldenen Sonnenuntergang über dieser unwirklichen Kulisse, die so viel beruhigende Einsamkeit ausstrahlt. Der Mond zeigt seine Sichel und langsam bricht die Nacht herein. Ausgerüstet mit unseren Stirnlampen, unternehmen wir eine kleine Wanderung durch unseren winzigen Inselwald. Knorrige Wurzeln und bemooste Felsbrocken türmen sich vor uns auf und es duftet nach Tannennadeln und süßem Harz. Später sitzen wir draußen am Ufer mit Blick in den klaren Sternenhimmel. Wir können uns nicht losreißen, von dieser magischen Freiheit am dunkel glitzernden See. Lange noch philosophieren wir über den Sinn des Lebens, bevor wir uns irgendwann in unsere wärmenden Schlafsäcke verkriechen.

Räucherwurst im Nirgendwo

Am nächsten Morgen werde ich von Vogelgeschrei aus den Träumen gerissen. Der Ivösjön liegt in leichten Nebel gehüllt vor uns. Justin und Jean-Luc scheinen noch zu schlafen und ich springe flink ins Wasser und schwimme eine ausgedehnte Runde im erfrischend kühlen See. Dann nehmen wir Kurs Richtung Axeltorp, wo wir die Kanus im Wetlandi Naturcenter geliehen haben.

Als wir zwei Stunden später mit zerzausten Haaren und wettergegerbt am nordöstlichsten Zipfel des Gewässers an Land gehen, fühlt es sich an, als hätten wir nicht nur eine Nacht, sondern bereits unser ganzes Leben dort draußen verbracht. Bevor unser Wasserwege-Triathlon in seine dritte Disziplin am Kattegatt geht, wollen wir uns noch einmal ausgiebig stärken und haben das Sotnosen’s Korvcafé (dt.Wurstcafé der Süßnasen) in einem ehemaligen Schweinestall inmitten von Feldern am nordwestlichen Rand des Oppmannasjön auserkoren.

Auf der Fahrt schieben sich wie aus dem Nichts dunkle Regenwolken vor den Himmel. Zunächst fallen nur ein paar zarte Tropfen, dann ergießen sich Sturzbäche auf die Straße, sodass wir kaum noch einen Meter weit sehen können. Als wir uns in dieser Weltuntergangsstimmung über die Türschwelle in die wärmende Stube retten, strömt uns ein würziger Duft entgegen. Veronica Börjesson und Maria Bub, die sich in ihrem Studium kennengelernt haben, stellen im Sotnosen’s Korvcafé eigene Wurst her.

Mit weiten Paddelschlägen geht es über den urzeitlichen See, der uns mit seiner blauen Weite verzaubert.

»Wahrscheinlich sind wir die jüngsten Wurstmadames Schwedens«, sagt Veronica. »Schon an der Uni haben Marie und ich uns viel mit Fooddesign beschäftigt. Und weil schwedische Hausmannskost aus alter Zeit oft einen etwas schmierigen Charakter hat, haben wir angefangen, traditionelle lokale Rohwaren mit spannenden Einflüssen aus anderen Ländern zu mischen. « Jean-Luc, Justin und ich lassen uns die selbstgemachte, bunt verzierte Wildschwein-Räucherwurst mit frischem Salat und warmem selbstgebackenem Brot schmecken und beobachten die dicken Regentropfen, die gegen die Scheiben des gemütlichen Stallgebäudes prasseln.

Kampf auf rauer See

Die dramatische Silhouette von Kullaberg zeigt sich vor uns, als wir schließlich in Mölle, an Schwedens südlicher Westküste, eintreffen. Das Naturschutzgebiet lockt mit seinen Steilklippen und Höhlen viele Kletterer und Taucher, aber auch Wanderer und Wassersportler an. Hier starten wir auf die letzte Disziplin unseres Wasserwege-Triathlons.

Das Rangieren des Kajaks zwischen den Felsen inmitten hartnäckiger Windböen beansprucht die volle Konzentration.

Von dem kleinen Fischerdörfchen, das zu Füßen des imposanten Bergrückens liegt, möchten wir die Halbinsel umrunden und vorbei an Kullabergs Leuchtturm bis zu den Grotten von Josefinelust auf der Nordseite paddeln. Der Blick auf die aufgewühlte See zeigt allerdings, dass diese Expedition heute kein leichtes Unterfangen werden könnte. Eine steife Brise bläst uns entgegen und weiter draußen auf dem Meer tanzen kleine weiße Schaumkronen. »Wenn ihr in die Nähe des Leuchtturms kommt, wird die See noch einmal sehr rau, aber im Nordosten wird’s besser«, sagt Matt von Kulla Kajak, bei dem wir uns unsere Seekajaks für den heutigen Tag borgen.

Das Naturschutzgebiet Kullaberg liegt auf einer Landzunge im Kattegatt.

Auf dem Weg hinunter an die Mole überlege ich kurz, ob mir nicht ein Paddel-Biathlon reichen würde. Das vor uns liegende Kattegatt, das die Ostsee über das Skagerrak mit der Nordsee verbindet, wurdein der Seefahrt aufgrund seiner Enge und Untiefen lange gefürchtet.

Als wir den schützenden Hafen von Mölle verlassen, werden die Wellen immer höher. Den drohenden 100 Jahre altenLeuchtturm Kullens Fyrim Blick, paddle ich höchst konzentriert weiter und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mir die Situation nicht ganz geheuer ist. Jean-Luc hingegen, der schon einige Male mit dem Seekajak vor Grönland unterwegs war, fährt entspannt vorneweg. Auch Justin scheint nur wenig irritiert von den Wogen, erzählt mir von seiner letzten Paddelexkursion auf dem Yukon River und quietscht jedes Mal vor Vergnügen, wenn sein Kajak von den Wassermassen geschüttelt wird.

Friedlich schwappt die See vor sich hin – und alle Gefahren sind vergessen.

So reiten wir auf den Wellenkämmen hinauf und fallen die Wellentäler hinunter. Am Leuchtturm kommen die Wellen dann tatsächlich von beiden Seiten gleichzeitig angerollt. Wir kämpfen uns Stück für Stück vorwärts. Nach einigen Minuten aber ist es geschafft. Wir gelangen auf die windgeschützte Nordseite der Halbinsel. Schlagartig wird es still. Friedlich schwappt die See vor sich hin – und alle Gefahren sind vergessen.

Küste der Geschichten

Die beeindruckende Küste mit ihren künstlerischen Felsformationen wurde von der Natur geschaffen und durch Erosion geformt.Wir folgen dem Meeresufer und wagen immer wieder einen Abstecher durch die engen felsigen Furten, um die wir uns geschickt herummanövrieren müssen. Kormorane haben sich auf den Gesteinsbrocken niedergelassen und trocknen ihre Schwingen in der wärmenden Sonne.

Die bunten Kajaks schlängeln sich durch das fast tropisch anmutende Meer langsam entlang der schroffen Küste.

Am steinigen Strand von Josefinelust machen wir Halt. Insgesamt 20 Grotten gibt es auf Kullaberg. Die beiden Höhlen von Josefinelust erreicht man nach einer kurzen Kletterpartie entlang des Ufers. In den vom Meer geschützten Grotten wurden Werkzeuge aus Feuerstein und Nadeln aus Knochen gefunden. Wieder einmal überkommt uns das Gefühl, zu einer anderen, fernen Zeit unterwegs zu sein.

Auch der Wanderweg Skåneleden führt an Josefinelust vorbei durch windgepeitschte Buchenwälder und Heidelandschaften. Wir folgen dem Pfad ein kleines Stück entlang der Steilklippen und es eröffnen sich spektakuläre Ausblicke auf das Kattegatt.Schweinswale tummeln sich häufig in dieser Gegend, doch heute halten wir vergeblich Ausschau nach ihren Rückenflossen.

Bei unserem abendlichen Bad springen wir von den Felsen ins das glasklare Meer.

Bei unserem abendlichen Bad springen wir von den Felsen ins das glasklare Meer. Es ist schwer, sich von dieser wunderschönen wilden Bucht loszureißen. Von Josefinelust aus kann man weiter in den Fischerort Arild paddeln. Justin, Jean-Luc und ich aber wollen zurück nach Mölle. Das Wasser ist spiegelblank, als wir mit unseren Paddeln in See stechen. »Da, Robben!«, ruft Jean-Luc plötzlich und zeigt auf drei kahle Köpfe, die einige Meter von uns entfernt die Wasseroberfläche durchbrechen und unsere Kajaks ein Stück begleiten.

Im Hafen ist unser offizielles Ziel erreicht. Wir haben in den vergangenen Tagen Skåne vom Fluss auf den See bis ans Meer bereist und Landschaften erlebt, die Eiszeiten und Erosion geformt und in denen unsere Vorfahren ihre Spuren hinterlassen haben. Wir werden nie erfahren, wie es damals wirklich war. Aber Skånes magische Wasserwege, die nur einen Paddelschlag voneinander entfernt liegen, haben uns auf unserem Triathlon ihre ganz eigene Geschichte erzählt.

Mehr für dich