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Aus der Stadt zur Schäre

Stockholm strotzt vor Wasser, dennoch besitzt der Archipel eine besondere Anziehungskraft. Mit Kajaks brechen wir aus der Stadt auf, um nach Sandhamn im äußeren Schärengarten zu paddeln.

Stockholms Hausberg Hammarbybacken keucht in der Sonne. Der Skilift hält an diesem Augustmorgen Sommerschlaf. Und da kommen wir mit unseren Kajaks – voll beladen für eine dreitägige Mini-Expedition. »Wo wollt ihr hin?«, ruft ein neugieriger Passant, der uns beobachtet, wie wir uns in die Cockpits zwängen. »Sandhamn!«, antworte ich. Der Mann zieht die Augenbrauen hoch. Von der Stadt bis zum äußeren Archipel paddeln? Funktioniert das überhaupt? Natürlich funktioniert das – und es gibt einiges, das uns die Sache vereinfacht. Wir dürfen die Kajaks in Sandhamn lassen. »So könnt ihr den Weg erleben, ohne ewig unterwegs zu sein«, sagt John Sjöberg, der den Kajakverleih Sjöstaden Kajak leitet. Er hat die Route auf den Namen Sandhamn-Littorinaleden getauft – nach dem Littorina-Meer, der nacheiszeitlichen See, die vor 3 000 Jahren alles um uns bedeckte, bevor die Inseln entstanden.

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Aus dem Stadtzentrum nach Sandhamn – ein Abenteuer, das mit ein bisschen Planung Paddelschlag für Paddelschlag gemeinsam bewältigt werden kann.

Historische Gewässer

»Noch Ende des 19. Jahrhunderts fuhren die Dampfschiffe über den Järlasjön und Sicklasjön, auf der Strecke, die ihr nehmen werdet«, berichtet John, dessen Urgroßvater, Axel Sjöberg, ein berühmter Künstler war. 1917 kaufte dieser ein Grundstück auf Sandhamn. Seitdem hat die Familie Sjöberg ihr Herz dort, auf einem Bauernhof neben dem Badestrand von Fläskberget. In drei Tagen sollen wir die Kajaks auf dem Eiland zurücklassen. Auf der Karte sieht es völlig machbar aus. Wie es in der Realität ist, wird sich zeigen. Umgeben von Seerosen gleiten wir auf den Sickla-Kanal. Üppige Bäume ragen über das Ufer. Bei Sicklaslussen müssen wir uns ducken, um unter der Brücke durchzukommen. Weiter geht es über Sicklasjön und Järlasjön mit dunklen Wäldern südlich und dichter Besiedlung nördlich. In Saltsjö-Duvnäs ist die einzige Umtragestelle.

Wir genießen das Frühstück, doch bald spüren wir Blicke auf uns.

Aus Stockholm paddeln Karin, Sara und Esther in drei Tagen nach Sandhamn. Prägnante Gebäude, glitzerndes Wasser, einsame Inseln und gutes Essen sind dabei ständige Begleiter.

Wir ziehen die Kajaks hoch und laden sie auf den mitgebrachten Wagen. Ich steuere mein Kajak über die Bahnschienen, vorbei an imposanten Villen, nach Duvnäsviken, das uns mit glitzerndem Wasser begrüßt. »Hier beginnt die Ostsee«, bemerkt Esther, die bei Sjöstaden Kajak arbeitet und uns begleitet. Bis nach Sandhamn ist sie noch nie gepaddelt. Zusammen mit Fotografin Sara bilden wir ein aufgeregtes Dreiergespann, das diesen ersten Tag mit forschendem Blick und Staunen in Angriff nimmt. Eine Villa thront neben der anderen. Plötzlich taucht eine Ansammlung von Hochhäusern auf. Tollarekaj in Nacka, Wohnungen mit verglasten Balkons, die aussehen wie aus einer anderen Welt. Im Old Smokehouse in Saltsjö-Boo ziehen wir die Kajaks hoch und essen Mittag.

Ein paar Stunden später bauen wir die Zelte am ersten Stopp auf Södra Lagnö auf. Wir haben den Baggensfjärden überquert und einen Blick auf die oben zwischen den Bäumen gelegene Artipelag-Galerie geworfen. Wir steuerten an Ingarö vorbei, stets mit Rückenwind. Und jetzt, wo wir den optimalen Zeltplatz gefunden haben, ist er voller Kuhfladen. Immerhin nicht irgendwelche. Auf Södra Lagnö grasen Fjällkühe.

Der nächste Tag beginnt mit einem Bad. Wenn die Morgensonne die Felsen wärmt und das Meer spiegelblank ist, wird das Eintauchen zur Selbstverständlichkeit, auch für Schwimmmuffel. Wir genießen das Frühstück, doch bald spüren wir Blicke auf uns. Es sind nicht die Fjällkühe, sondern eine Schafherde, die sich noch eine Weile streicheln lässt, bevor sie weiterzieht. Bald sitzen wir wieder in den Kajaks und spalten mit den Paddeln die Oberfläche. Hohe Klippen säumen das Wasser. Als wir uns Strömma nähern, fällt mir die Kinnlade herunter. Ich sehe Häuser, die an den Hängen aufragen, mit Treppen hinunter zum Steg, zum Boot und aufgeblasenen Flamingos.

Jetzt, wo wir den perfekten Platz gefunden haben, ist er voller Kuhkot.

Wir passieren steile Klippen. Dann erscheint sie vor uns: die riesige Djurö-Brücke, die Stavsnäs mit Djurönäset verbindet. Hier halten wir für ein Mittagessen bei Djurönäset Konferens & Hotell. Wir stürmen in feuchter Kleidung herein – ein seltsames Trio zwischen den Konferenzgästen –, laden unsere Handys auf und befüllen die Wasserkanister.

Raus aufs offene Meer

Zurück in den Kajaks wird deutlich, dass der Archipel beginnt. Vor uns tauchen mehr Inseln und Leuchttürme auf. Es wird schwieriger, Entfernungen einzuschätzen. Mit der Karte finden wir zum heutigen Ziel: Långholmen, nordwestlich von Runmarö, mit einem Zeltplatz im Schutz des Waldes. Das Sturmküchen-Dinner, Pasta mit Pesto, schmeckt. Gerade als die Sonne untergeht, klart es auf. Wir müssen uns einfach erheben und sind ein stehendes Publikum für diesen Sonnenuntergang, der selbst die schäumenden Wellen zum Glühen bringt.

Am Morgen hat der Nordwind zugenommen. Ich hatte es schon bemerkt, als ich nachts im Zelt aufwachte und hörte, wie die Wogen gegen die Felsen schlugen und die Äste der Bäume bebten. Die See ist aufgewühlt und das Wasser hat Zeit, ins Cockpit einzudringen, bevor wir es schaffen, den Spritzschutz zu schließen. Zum ersten Mal haben wir mit Wellen zu kämpfen. Wir passieren die Insel Gökskäret und nehmen Kurs auf Skarp-Runmarn. Sobald wir Schutz vor dem Wind haben, ist der Unterschied enorm. Nachdem wir jeden Paddelschlag konzentriert ausführen mussten, können wir uns nun etwas entspannen, ein paar Nüsse knabbern und Arme und Nacken ausstrecken.

Übers Ziel hinaus

»Die Wellen haben trotzdem Spaß gemacht«, sagt Sara. Der Rest von uns stimmt zu. Die karge Natur hat etwas für sich. Die sonnengebleichten, matten Farben. Auf der Landzunge von Skarp-Runmarn liegt das Naturschutzgebiet Vånsholmen, das für das Auge unmerklich in die nächste Insel, Vindalsö,
übergeht. Rehe rasen das Geröll hinauf und verschwinden zwischen Kiefern. Und dann sehen wir unser Ziel. Nachdem wir die Karte eine Weile studiert haben, sind wir uns einig. Es ist bereits Sandhamn, das vor uns liegt. Ansammlungen malerischer Holzhäuser stehen dicht beieinander, als wollten sie sich gegenseitig vor peitschenden Winden schützen.

Wir machen eine Kaffee pause am Strand von Fläskberget und haben noch Zeit, die umliegenden Inseln zu erkunden. Das große rot gestrichene Segelhotel erhebt sich als Wahrzeichen am Kai und verschwindet hinter uns, während wir zwischen Kroksö und Korsö nach Nordosten paddeln. Als wir in Richtung Alskäret gleiten, können wir nicht aufhören zu lächeln. Der weiße Sand lässt das Wasser türkis funkeln. Dort, zwischen blühender Heide und windgepeitschten Wacholderbüschen, finden wir einen Mittagsplatz. Die Fähre nach Stockholm geht erst heute Abend. Bis dahin haben wir noch viele Paddelschläge Zeit, dieses Paradies im Archipel zu genießen.

Viele weitere Abenteuer-Tipps für Stockholm findet ihr in unserer NORR Edition Stockholm und hier auf norrmagazin.de

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