Foodies im Fjäll
Das Interesse am Wandern in den Bergen war noch nie so groß wie heute. Und selten hat es besser geschmeckt. Denn eine Tour im Fjäll muss nicht aus Pulvergetränken und Weichkäse in der Tube bestehen, sondern kann mit einem Acht-Gänge-Menü umrahmt werden, bevor man sich unter einer Daunendecke ins Bett verkriecht.
In Storlien, an der Grenze zwischen Norwegen und Schweden, liegt das kleine Flamman. Auf dem Papier ist es nur ein Restaurant, aber es ist auch der Dreh- und Angelpunkt an dem Zutaten von lokalen Bauern, Lebensmittelhandwerkern und Züchtern auf den Tellern zu neuem Leben erweckt werden. Und das Lebenswerk von Küchenchefin Lena Flaten.
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In diesem Moment ist es ein Treffpunkt für eine Gruppe von abenteuerlustigen Reisenden aus allen Teilen Schwedens. Was uns eint, ist, dass wir in Funktionskleidung und fest geschnürten Wanderstiefeln unterwegs sind. Das Sprichwort Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung, das sich seit unserer Kindheit eingeprägt hat, wird sich als völlig wahr erweisen, wenn die Sonne in wenigen Sekunden in hartnäckigen Wind umschlägt.
Lena Flaten serviert ihren eigenen Tee aus Engelwurz, Holunder, Schafgarbe und Pflaume. Als Köchin hat sie sich ganz auf eine Küche konzentriert, die ihren Ursprung in der Region hat. Flamman ist umrahmt von Regalen voller Gläser mit getrockneten Pilzen und getrockneten Kräutern, die an der Wand hängen, sowie allerlei Essbarem, von dem nur wenige ahnen, was es ist. Vor der Schließung des Restaurants Fäviken im Jahr 2019, das Jämtland mit zwei Sternen im Michelin-Führer auf die internationale Feinschmeckerkarte setzte, war es Lena, die wild gesammeltes für die Menüs lieferte.
»Wir verwenden alle Aromen, die es hier gibt. Es ist mir wichtig, dass die Leute, die hierher kommen, das Essen von dem Ort bekommen, an dem sie sind«, sagt Lena.
Zu zweit für den Genuss
Und genau deshalb hat sie sich Bergguide Sofie Werner zusammengetan. Gemeinsam bieten sie nun Wanderungen zum Thema Essen an. »Ich mochte ihre Philosophie und wollte nicht, dass die Leute Trockenfuttertüten essen müssen, nur weil sie in den Bergen unterwegs sind«, sagt Sofie gekleidet in einen leuchtend blauen Overall mit einem breiten Ledergürtel, in dem ein Messer in der Scheide steckt.
Wir brechen auf. Sofie übernimmt die Führung. Sie ist in Jämtland aufgewachsen und hat in ihrem Blog Strövtåg über ihr naturnahes Leben in den Bergen geschrieben. Sie möchte, dass das Wandererlebnis persönlich ist, und das Essen ist ein wichtiger Teil davon. »Gutes Essen gibt es nicht nur in den angesagtesten Bars«, sagt Sofie, und beim ersten Stopp bietet sie selbstgemachte Rhabarber-Ingwer-Streifen an, die aus übrig gebliebenem Saft hergestellt werden. Der Energiekick bringt unsere Gruppe weiter auf ins Storlienfjäll. Die Weiten sind so postkartenfreundlich, dass man es kaum glauben kann: mit einem Spektrum, das so breit ist wie die Farbsammlung des klassischen Fjällräven Kånken-Rucksacks.
Sofie stellt fest, dass das Interesse an ihren Wanderungen nur noch zugenommen hat. »Ein neuer Gästetypus hat den Weg zu uns gefunden. Sie sind um die Welt gereist, waren im Grand Canyon und haben den Kilimandscharo bestiegen, waren aber noch nie in den schwedischen Bergen. Es ist toll, dass so viele Menschen raus in die Natur wollen«, sagt sie und betont, dass dies auch Verantwortung erfordert. Für Sofie, eine autorisierte Bergführerin, die ein spartanisches Leben ohne Wasser in einer Hütte außerhalb des Dorfes Handöl an den Osthängen der Snasahögarna führt, ist die Natur ihr Wohnzimmer. »Für viele Menschen ist es heute selbstverständlich, dass das Wasser aus dem Hahn kommt. Hier kann man stattdessen den Wert dessen erkennen, was man hat«, sagt sie.
Als wir die Ernstkumlet-Schutzhütte auf dem Gipfel des Storlienfjället erreichen, machen wir einen weiteren Halt. Wir ziehen uns eine zusätzliche Schicht Kleidung an und versammeln uns um ein Lagerfeuer in einer Schutzhütte, als der Wind plötzlich immer heftiger bläst. Es ist eine natürliche Mittagspause mit heißer Rentierbrühe in einer Schüssel. Sofie schneidet die Rentierzunge hinein, die man sich früher als Festessen aufgespart hat. »Die Brühe ist eine meiner Lieblingsgerichte, weil alle Teile des Tieres darin enthalten sind. Sie ist nicht nur heiß, sondern auch ziemlich fett, sättigend und hat viel Geschmack«, sagt sie und bietet stutar, an, eine Art jämtländisches dünnes Brötchen mit einer Füllung aus Molke und geräucherte Forelle, die aus einem nahe gelegenen Fluss gefischt wurde. »Forellen sind äußerst lecker. Der Saibling bekommt hier oben oft die ganze Aufmerksamkeit, aber die Forelle ist fester und schmackhafter«, sagt Sofie.
Steigung mit Belohnung
Als wir weiterstapfen, bekommen wir ein Zeichen, anzuhalten. Ferngläser werden herumgereicht. Eine Rentierherde kommt über den Berg auf uns zu, man darf sie nicht stören. Inmitten der Tiergruppe leuchtet ein weißer Albinobulle auf. Wir halten den Atem an, als die Vierbeiner in etwa 50 Metern Entfernung vorbeischlendern. »Für ausländische Gäste ist so ein Erlebnis unschlagbar«, sagt Sofie.
Bevor wir unser Ziel – Skurdalsporten – erreichen, legen wir noch einen Kaffeestopp ein, natürlich mit selbst gebrautem Kaffee. Das Haus, das Lenas Großmutter Betty und Großvater John in den 1940er Jahren gebaut haben, liegt fast an der Grenze zwischen Norwegen und Schweden. Oder, um genau zu sein, 28 Meter tief in Norwegen. Der Hügel dort oben ist so steil, dass wir seitwärts gehen müssen aber als Belohnung wartet ein Getränk.
Die Berghütte in Skurdalsporten ist genau die versteckte Perle, die man beim Zelten übersieht. Hier wird der Körper vor einem großen Kamin aufgetaut, und die kleine Hütte hat eine Sauna, die mit einem kalten Bad im Skurdalsee kombiniert werden kann. Zuvor hat Lena mit Hilfe von zwei Islandpferden die Lebensmittel transportiert, die die Grundlage für das Menü des Abends bilden. Das Mahl ist eine Reise durch die Speisekammer von Jämtland: von in Molke gebratenem Schneehuhn, in Fett von Bergkühen gekochten Pilzen und geräuchertem Elch bis hin zu Brotpudding mit gerührten Moltebeeren. Die Veredelung von Rohstoffen auf unterschiedliche Weise ist der rote Faden in der Küche. »In meiner Küche dreht sich alles um die Zubereitung der Zutaten, wenn sie am besten sind. Zu Weihnachten bringe ich gerne Erdbeeren aus dem letzten Sommer mit. Einige habe ich gesalzen, andere habe ich zusammen mit Fichtensprossen eingelegt«, sagt Lena.
Nach dem Abendessen schlafen wir alle in stabilen Etagenbetten unter flauschigen Daunenbetten. Am nächsten Morgen gibt es ein ebenso herzhaftes Frühstück mit hausgemachtem Braunkäse, frisch gebackenen Waffeln mit Moltebeermarmelade, geräuchertem Elchfleisch von der anderen Seite des Berges und auf dem Holzofen gekochtem Kaffee. Bevor die Reise in die Berge weitergeht, organisiert einer der Teilnehmer eine spontane Yoga-Session mit dem Skurdal-See als Kulisse. Es ist definitiv einfach für einen Foodie, sich das Fjäll schmecken zu lassen.