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Tierische Herbstmagie in Värmland

Ein Wanderabenteuer auf märchenhaften Pfaden durch tiefe Wälder, magische Berglandschaften und die Inselwelt des Vänern erleben meine Freundinnen, mein Hund und ich im herbstlichen Värmland.

Eine munter wedelnde Schwanzspitze streift vor uns durch das Fahnendickicht, akustisch untermalt von einem aufgeregten Niesen. Unser vierbeiniger Begleiter Lowe, ein Curly Coated Retriever, hat, wie Melanie, Victoria und ich, soeben die ersten Schritte auf unserem gemeinsamen herbstlichen Wanderabenteuer getätigt. In den kommenden vier Tagen wollen wir Pfade in Värmland erkunden, die uns in vier unterschiedliche Welten entführen sollen: in die berührende Landschaft von Selma Lagerlöfs Heimat, die vergangenen Tage des Kupferabbaus, auf luftige Aussichten einer Berglandschaft und in einen unberührten Schärengarten im Vänernsee.

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Gelbe Blätter rascheln unter unseren Schuhsohlen und verströmen einen leicht süß-würzigen Duft, als wir den ersten Kilometer an diesem frischen Oktobernachmittag auf dem Sundbergsleden zurücklegen. Es ist der erste von vier Wanderwegen, die wir in den kommenden Tagen erstiefeln wollen. Zunächst geht es durch einen Wald aus Birken, deren weiße Stämme sich mit scharfen Konturen gegen den klaren blauen Himmel abheben. Lowe schnuppert eifrig im Laub, während wir gemächlich bergauf wandern. Der Pfad windet sich durch hügeliges Gelände, und bald erreichen wir die ersten Aussichtspunkte, die uns einen weiten Blick über das Tal eröffnen.

Der See Fryken glitzert in der Ferne. Die goldenen Herbstfarben breiten sich wie ein Flickenteppich über die Landschaft aus, und wir können uns nicht sattsehen an dieser Farbpalette. Wenig später gelangen wir zu der alten Arbeiterhütte von Skogsbacken, die aus dem 17. Jahrhundert stammt, als auf dem Sundsberg- Hof noch ein geschäftiges Treiben herrschte.

Von außen recht unscheinbar, erzählt sie in ihrem Inneren, das liebevoll restauriert wurde, von einem einfachen Leben, geprägt von Entbehrungen, aber auch von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Man kann sich gut vorstellen, wie die Arbeiter hier nach einem langen Tag im Wald oder auf den Feldern zusammenkamen, um sich Sagen und Legenden zu erzählen und sich auszuruhen. Dieser Ort diente auch als Inspiration für das Bauerngut Björne in Selma Lagerlöfs Werk »Gösta Berlings Saga«, das
sie 1891 veröffentlichte. Sie kombiniert darin realistische Beschreibungen der ländlichen Gesellschaft Värmlands mit übernatürlichen und märchenhaften Elementen und stellt immer wieder eine moderne Rolle der Frau, in ihrem Buch verkörpert von der mächtigen und eigenwilligen Gutsherrin Märtha Dohna, in den Fokus.

Reisen mit Wildgänsen

Auf einer Holzbank vor der Hütte lassen wir uns nieder und trinken Tee aus unseren Thermoskannen. »Verrückt, wie schnell man in einer ganz anderen Welt ist«, bemerkt Melanie. Tatsächlich waren wir heute Morgen erst aus unserem Alltag in Stockholm aufgebrochen, um uns nun, wenige Stunden später, in der pittoresken Landschaft Värmlands, fernab vom Großstadttrubel wiederzufinden. Lowe wälzt sich genüsslich im Gras. Er scheint wenig Verständnis für seine in philosophische Diskurse abdriftenden Begleiterinnen zu haben und treibt uns stattdessen zur Eile, indem er uns ungeduldig mit der Nase anstupst. Tatsächlich liegt noch ein großer Teil des Wanderweges vor uns. Der Himmel hat sich derweil klammheimlich zugezogen.

Mit dem Vierbeiner in Värmland

Värmland eignet sich dank der vielseitigen, weiten Landschaften und gut zu bewältigenden Wanderwegen ideal für Touren mit dem Hund. Viele vierbeinerfreundliche Unterkünfte in der Umgebung bieten Wanderpakete für Mensch und Hund an. visitvarmland.com

Während wir einen Wald aus Kiefern und Fichten durchqueren, vorbei an einem kleinen Bach, hören wir ein schrilles Rufen über uns. Hoch am Himmel zieht eine Formation an Wildgänsen vorbei. Ein melancholisches Gefühl, wohl eine Mischung aus Abschiedsschmerz vergangener Sommertage und Fernweh, überkommt uns. Es ist leicht, sich vorzustellen, dass eine dieser Gänse Akka ist, die Leitgans aus Selma Lagerlöfs »Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen«. Das Buch, das ursprünglich als Schulbuch zur Geographie Schwedens gedacht war und eine lehrreiche Reise durch Schweden mit einer märchenhaften Erzählung kombiniert, hat sich schnell zu einem literarischen Klassiker entwickelt.

Dass Selma Lagerlöf von der Freiheit und dem unbändigen Geist der Natur Värmlands zum Schreiben inspiriert wurde, ist begreiflich. Tatsächlich wurde sie nur einen Katzensprung vom Sundbergsleden entfernt, auf dem Gut Mårbacka geboren, wo sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte. Als die Familie Lagerlöf in finanzielle Schwierigkeiten geriet, musste Mårbacka verkauft werden. Selma Lagerlöf, die 1909 als erste Frau den Nobelpreis erhielt, gelang es, nachdem sie durch ihre literarischen Erfolge finanziell unabhängig geworden war, Mårbacka zurückzukaufen. Sie renovierte es und wohnte dort bis an ihr Lebensende. Mårbacka ist heute ein Museum, das Einblicke in ihr Leben, ihre Arbeiten und ihr soziales Engagement gibt.

Auf Schritt und Tritt

Die wilde Landschaft, die Selma Lagerlöf in ihren Romanen beschreibt, begleitet uns weiter auf Schritt und Tritt, während wir uns auf dem Sundbergsleden fortbewegen. Nach einem weiteren Anstieg erreichen wir den höchsten Punkt des Klövberget. Still lassen wir die Szenerie auf uns wirken. Fasziniert von dem Ausblick bemerken wir zuerst gar nicht, dass es zu regnen beginnt. Die kleinen Tröpfchen werden immer hartnäckiger.

Treffend hat Selma Lagerlöf Värmland oft als wild und schön, aber auch unbarmherzig beschrieben. Hektisch kramen wir unsere Regenjacken hervor und machen uns hastig an den Abstieg. Es ist gar nicht so einfach, sowohl schnell als auch konzentriert auf dem mittlerweile von glitschigen Felsen und Wurzeln gespickten Pfad voranzukommen. Fluchend lande ich auf dem Hosenboden und finde mich von kleinen Matschspritzern übersät wieder. Ich beneide Lowe, der mit seinen vier Beinen gekonnt über Stock und Stein hüpft.

Goldene Farben breiten sich wie ein Flicken-Teppich über der Herbstlandschaft aus.

Nach einer Weile gelangen wir an einen verwunschenen Waldsee und trotz des prasselnden Regens können wir nicht anders, als eine kurze Pause einzulegen. Zu sehr zieht uns das dunkle Gewässer, an dessen Ufer eine einladende Windschutzhütte mit Feuerstelle thront, in seinen Bann. Kurz überlegen Victoria und ich, ob wir nicht ein Herbstbad nehmen sollen. Lowe hat die Entscheidung für sich bereits gefällt und paddelt genüsslich quer durch das Gewässer. Doch Melanie treibt uns zur Eile. Ihr Magen knurrt und sie will nicht länger im Regen stehen. Vorbei an Wiesen und Feldern eilen wir die letzten zwei Kilometer zurück zum Auto.

Die Nacht wollen wir im Ulvsby Herrgård, einem historischen Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert verbringen. Ursprünglich als Poststation erbaut, wird es von einer langen und bewegten Historie umrankt. Die dicken Holzbalken und antiken Möbelstücke erzählen von einer Zeit, in der Reisende hier Rast machten und Geschichten aus aller Welt teilten. Gemeinsam mit anderen von vierbeinigen Freunden begleiteten Gästen lassen wir uns im hundefreundlichen Speiseraum des Hofes nieder.

Neben uns schmaust ein älteres Paar mit einem bereits ergrauten Labrador, den Lowe vergebens zum Spielen zu animieren versucht. Daneben schnabuliert ein jüngeres Pärchen, dem ein kleiner Terrier zu Füßen liegt. Dass sich an diesem Ort so viele Hundeliebhaber versammeln, ist nicht verwunderlich. Vom Koch persönlich, der Lowe ausgiebig streichelt, erfahren wir, dass sehr viele Hotelgäste dreitägige Wanderpakete, die speziell auf Hundebesitzer und ihre Vierbeiner zugeschnitten sind, buchen. »Wir bereiten Lunchpakete vor, die die Leute mit auf die Wanderungen nehmen können, und abends kehrt man bei uns ein und erfreut sich an Drei-Gänge-Menüs mit passendem Weinpaket«, erzählt er.

Zur Vorspeise wird uns ein Pfifferlingstoast mit reifem Käse kredenzt, gefolgt von Rote-Bete-Paj mit Rosmarinkartoffeln und Tomaten. Als Nachtisch vertilgen wir köstlichen Schokoladenkuchen. Nach dem Essen wärmen wir uns im Spa des Ulvsby Herrgård in der Sauna auf und dümpeln noch lange in mit Wasser und Salz gefüllten, warmen Kupferwannen mit Blick in den Sternenhimmel.

Nach einem ausgiebigen Frühstücksbuffet mit frisch gebackenem Brot, jeder Menge Aufschnitt, Marmeladen und frisch gepressten Säften, schnüren wir uns die Wanderschuhe. Die Vorfreude ist spürbar, als wir uns auf den Weg zu Värmlands populärem Wanderpfad Gruvrundan (dt. Grubenrunde) machen, der etwa 35 Kilometer nordwestlich von Sunne liegt. Er soll uns durch die dichten Wälder rund um den See Mangen führen, wo einst Eisenerz und Kupfer abgebaut wurden.

Im Herzen des Bergbaus

Schon bald finden wir uns inmitten von Überresten alter Gruben wieder. Die Luft ist kühl, und der Pfad schlängelt sich durch dichtes Unterholz, das an manchen Stellen fast undurchdringlich wirkt. Immer wieder stoßen wir auf alte Schienen, die einst dazu dienten, das Erz aus den Minen zu transportieren. Hier wurde hauptsächlich Eisen abgebaut, und die Region war über Jahrhunderte hinweg ein Zentrum des Bergbaus in Värmland. Besonders beeindruckend sind die schroffen Felswände, die noch heute von den harten Arbeitsbedingungen der Bergleute zeugen.

Der Weg führt uns nach Peckerud, wo der Pfad direkt über das Gelände eines alten Gehöfts verläuft. Hier liegen Fundamente des Hauses, in dem der Legende nach der Peckerud-Junge lebte, der eigentlich Nils Olsson hieß und für seine enorme Kraft bekannt war. Er soll Schuhgröße 54 getragen haben, und ein Paar seiner Stiefel ist noch im Heimatmuseum in Gräsmark zu bestaunen. Da er kein Pferd besaß, zog Nils Olsson seinen Karren selbst, oft beladen mit bis zu 425 Kilogramm Erz.

Wir passieren die Källargruvan (dt. Kellermine), deren bläulich schimmernde Felswände uns in ihren Bann ziehen. Sie war berüchtigt für ihre Tiefe und ihre gefährlichen Arbeitsbedingungen – immer wieder kam es zu Einstürzen, und der Lärm der herab donnernden Felsen hallt noch in den Geschichten der alten Bergleute wider. Weiter geht es durch den Tiskaretjärnsskogen, einen märchenhaften, uralten Wald, den die schwedische Kirche in Värmland nicht mehr bewirtschaftet, sondern als Schlüsselbiotop schützt. Er beherbergt einige der seltensten Pflanzen und Tiere der Region. Blaue Anemonen und kriechende Frauenhaarkräuter bedecken den Boden, während hoch oben in den Bäumen Dreizehenspechte und Haselhühner nisten.

Die Atmosphäre hier ist so ruhig und erhaben, dass man fast das Gefühl hat, die Zeit sei stehen geblieben. Wir lassen uns auf einem umgefallenen Baumstamm nieder, essen Zimtschnecken und trinken Kaffee. In dieser völlig sich selbst überlassenen Natur fühlt es sich an wie in einem Zauberwald. Es würde uns nicht wundern, wenn uns hier kleine Kobolde die Zimtschnecken stibitzen. Tatsächlich aber ist es vorrangig Lowe, der ein Auge auf das schmackhafte Gebäck geworfen hat. Er bekommt stattdessen ein gekochtes Ei, das er schmatzend verschmaust.

Es würde uns nicht wundern, wenn uns hier kleine Kobolde die Zimtschnecken stibitzen.

Nach einer Weile wandern wir weiter. Auf einer Lichtung treffen wir auf Tilde und Björn aus Uppsala mit ihrem kleinen Terrier, die am Abend zuvor mit uns im Speisesaal des Ulvsby Herrgård weilten. »Wir machen jedes Jahr eine Hundewanderung in Värmland«, sagt Tilde. »Es ist toll, dass man mit seinem Vierbeiner hier so viele Optionen hat, sich auszutoben, und Hundetouren mit kulinarischen Hochgenüssen kombinieren kann«.

Wir setzen unseren Weg fort und gelangen zur Storgruvan (dt. Große Mine), die mit ihren imposanten Ruinen tief in den mächtigen Wald eingebettet ist. Hier finden sich Überreste der riesigen Anlagen, die für den Transport von Eisenerz genutzt wurden. Vor uns öffnet sich ein großer Schacht, der mehr als 70 Meter tief in den Berg hineinführt. Es ist ein beeindruckender, aber auch gefährlicher Ort, da immer wieder Steinschläge auftreten, deren polternder Lärm oft durch den Wald klingt. Jetzt herrscht hier Stille, doch die Geschichte ist in den alten Fundamenten und den Überresten der Industrieanlagen, die die Landschaft prägen, immer noch spürbar.

An diesem Abend kehren wir in den Sahlströmsgården ein, einem alten Künstlerhof, der seit den 1800er Jahren in Familienbesitz ist. Er mutet wie ein lebendiges Museum der Kunstgeschichte Värmlands an. In jedem Winkel des Hauses finden sich Spuren der kreativen Geister, die hier einst weilten. Heute ist der Hof ein Hotel und Restaurant. Wir lassen uns in der gemütlichen Holzscheune nieder, während uns Wildschweinfilet aus den umliegenden Wäldern und Pfifferlingspasta serviert wird. Zum Nachtisch vertilgen wir Apple Pie und fallen kurz darauf erschöpft in unsere Betten.

Am nächsten Morgen schälen wir uns früh aus den Laken. Der Plan ist, heute im Hovfjället zwischen luftigen Höhen wandern zu gehen, und wir haben uns dafür eine ambitionierte Strecke herausgesucht. Wir hatten uns erhofft, dass wir das Frühstücksbuffet in der Holzscheune des Sahlströmgårdens um diese nachtschlafende Zeit für uns ganz alleine haben, aber da liegen wir falsch. Zwei Dutzend in enge Skikleidung gehüllte Jugendliche essen sich bereits satt, um anschließend im Torsby Skitunnel, der nur wenige Minuten vom Sahlströmgården entfernt liegt, zu trainieren. Bis zum Vasaloppet, dem populären schwedischen Skirennen, sind es nur noch fünf Monate, und solange noch kein echter Schnee liegt, wird in einem Langlauftunnel mit Kunstschnee geübt.

Ungewollte Kunstwerke

Es liegt noch Frühnebel in der Luft, als wir uns zum Hovfjället aufmachen, das 20 Kilometer nördlich von Torsby liegt. Wir starten am Ski- und Wanderzentrum, werfen noch einen Blick auf die Karte und entscheiden uns für die Hovfjällrunda, eine Rundschlinge, die sich auf 12 Kilometern durch das Naturschutzgebiet zieht. Lowe muss heute an der Leine bleiben. Vom ersten Schritt an haben wir das Gefühl, uns mitten im Fjäll zu befinden. Knorrige, vom Wind gepeitschte Bäume, mit Moos und Flechten überzogene Steine und die kühle klare Luft lassen einen vermuten, dass man hier inmitten der schwedischen Bergwelt weilt. Dabei beginnt die offizielle Fjällkette erst in Dalarna.

Immerhin ist der Berg Hovfjället mit seinen 542 Metern einer der höchsten Värmlands. Statt bergauf führt uns der schmale Wanderpfad zu unserer Verwunderung zunächst bergab. Wurzeln und Steine liegen im Weg und unsere noch etwas müden Füße wollen sich nicht richtig an den Untergrund gewöhnen. Immer wieder gerät eine von uns ins Stolpern und flucht gereizt. Nachdem es auf den ersten Metern empfindlich kalt war, geraten wir nun ins Schwitzen und ziehen uns die Mützen wieder vom schweißnassen Haar.

Weiter geht es durch mystische Moorlandschaften. Wir halten einen Moment inne und schauen schweigend in die Ferne. Wenig später entdecken wir einige Blaubeersträucher. Während wir uns die süßen Früchte einverleiben, sitzt Lowe erwartungsvoll daneben und ergattert dann und wann ebenfalls eine Handvoll gepflückter Beeren, die er dankend verschmaust.

Nachdem es seit einiger Zeit steil bergauf geht, erreichen wir den Aussichtspunkt Sätervålen. Hier oben eröffnet sich uns ein atemberaubender Blick über die herbstlichen Wälder Värmlands. Wir holen unsere Sandwiches und den Kaffee in der Thermoskanne hervor. Unter uns leuchtet das Tal rot und gelb in den schönsten Herbstfarben. Es mutet an wie ein Gemälde. Wir machen es uns bequem, nutzen unsere Rucksäcke als Kopfkissen und entspannen vor dieser malerischen Kulisse.

Durch dichten Nadelwald geht es nun weiter. Mehr und mehr nehmen wir ein Rauschen wahr. Zunächst vermuten wir, dass der Wind der Urheber ist, der in den Baumwipfeln spielt. Bald aber tut sich ein klarer, sprudelnder Bach vor uns auf. Wir überqueren den Wasserlauf, in dem Lowe freudig umherstreift und emsig trinkt. Das Wasser des Baches Karsebäck, der sich durch das gesamte Hovfjäll zieht, wirkt durch den moorigen Untergrund fast schwarz. Eine riesige, gezackte Baumwurzel thront quer über dem Flüsschen und wirkt fast wie eine ungewollte Kunstinstallation.

Auf dem Weg durchqueren wir dichte, bemooste Wälder. Die Fichten sind hier mit langen, bärtigen Flechten bedeckt, die im Wind wie uralte, weise Männer hin und her schwingen. Immer wieder müssen wir über riesige, urtümliche Steinblöcke nach oben kraxeln. Der Boden ist übersät von Sauerklee. Am Rastplatz Råkullstjärn legen wir eine Pause ein und genießen die magische Stille des Waldes. Der kleine See liegt wie ein dunkler Spiegel vor uns. Kurz verspüren Victoria und ich wieder das Verlangen, in das Gewässer zu gleiten und uns von dem kühlenden Nass umhüllen zu lassen, entscheiden uns aber dann dafür, uns das Herbstbad für den morgigen Tag aufzusparen.

Immer wieder müssen wir über riesige urtümliche Steine nach oben kraxeln.

Über einen felsigen Pfad gelangen wir zu einer kleinen Windschutzhütte an einem weiteren See. Wir machen kurz Rast und verspeisen unser mitgebrachtes Gebäck, bevor wir uns im Gästebuch der Hütte verewigen. Über Holzbohlen und eine Sumpflandschaft hinweg gelangen wir schließlich zu unserem Ausgangspunkt zurück und machen uns auf zum Ölme Prästgård, einem historischen Pfarrhaus, das heute ein Hotel und preisgekröntes Restaurant ist und als unser Nachtquartier fungieren soll.

Bootsfahrt in die Inselwildnis

Der Himmel über Ölme ist sternenklar, als Gustav Karlsson uns an seinem Etablissement, das er gemeinsam mit seiner Frau Louise betreibt, in Empfang nimmt. Nachdem wir unsere nostalgischen Zimmer bezogen haben, lassen wir uns in dem mit Kerzen erleuchteten Speisesaal nieder, der gespickt ist mit Antiquitäten aus vergangenen Zeiten. Gustav, der Koch ist, erzählt uns, dass Gäste aus Stockholm und Göteborg anreisen, nur um in dem Restaurant einzukehren. »Wir servieren hier traditionelle Kost mit kreativen internationalen Interpretationen«, sagt er, während er uns Chawan- mushi, einen japanischen Eierstich, auftischt.

»Und unsere Speisekarte wechselt saisonal.« Ein wichtiges Konzept ihres Restaurants ist, dass gerade bei Speisen mit Fleisch stets das ganze Tier verwertet wird. Louise und Gustav arbeiten mit Bauernhöfen und Brauereien aus der Nachbarschaft zusammen, und so ist der Großteil der Produkte, die sie verwenden, lokal. Als Nachtisch bekommen wir ein ausgefallen kreiertes Apfeleis kredenzt. Wir lassen uns die Kost auf der Zunge zergehen und sitzen noch lange beisammen, während Gustav uns amüsante Geschichten aus der Vergangenheit des Hofes berichtet.

Unter anderem erfahren wir, dass sich hinter dem Gemälde in unserem Zimmer ein geheimer Vorratsraum befindet, in dem guter Wein gelagert wurde und der Schlüssel dazu sowohl monströs als auch schwer ist. Ein wenig gruselt es Victoria und mich bei dem Gedanken, dass sich an unserem Kopfende eine geheime Tür verbirgt. Aber Lowe schnarcht so beruhigend auf dem Teppich vor unseren Betten, dass auch wir davon langsam eindämmern und im Schlaf Kraft sammeln, für den letzten Teil unseres Abenteuers, der uns am nächsten Tag erwartet.

In der Nacht hat es geschneit, und Frost ziert die Fensterscheiben, als wir in unserem gemütlichen Gemach erwachen. Louise hat uns Frühstück bereitet, mit Obst, Joghurt, Müsli, frisch gebackenem Brot und vielen anderen kulinarischen Köstlichkeiten. Wir trinken Kaffee und inspizieren die Karte. Dieser letzte Tag soll uns nach Kristinehamn führen, von wo aus wir mit einem Boot auf den Vänernsee zu drei abgeschiedenen Inseln übersetzen und einen just neu eröffneten Wanderweg erkunden wollen.

Die Sonne hat den Kampf mit dem Frost gewonnen, und aus einem winterlichen Morgen ist ein herbstlich warmer Vormittag geworden. Der Vänernsee liegt spiegelblank vor uns. Wir entriegeln das Boot, das wir uns gemietet haben, und steigen ein. Victoria steuert unser Gefährt über den See. Das sanfte Rauschen des Wassers, die frische Brise und die endlose Weite lassen die Vorfreude auf das letzte bevorstehende Abenteuer steigen. Lowe sitzt, in seine Schwimmweste gehüllt, mit wehenden Ohren am Bug und hält Ausschau.

Auf der digitalen Bootskarte können wir sehen, dass wir nicht mehr weit von der Insel Vålön entfernt sind, die mit den Eilanden Kalvön und Sibberön über Brücken verbunden, aber vom Festland nur auf dem Wasserwege erreichbar ist. Als wir an der Küste des Eilands anlanden, wird uns bewusst, wie abgelegen und ruhig diese Inseln wirklich sind. Wir machen das Boot in einer kleinen, geschützten Bucht fest und entern Vålön. Die Einsamkeit an diesem Ort ist beeindruckend. Kein anderes Schiff, keine Menschenseele weit und breit – nur wir und die unberührte Natur.

Lowe ist der Erste, der den Boden betritt. Er schnüffelt sich durch das Unterholz, läuft über die glatten Felsen und erkundet die Bucht mit unbändiger Freude. Der Pfad, dem wir nun folgen, führt uns durch dichte Kiefernwälder, vorbei an uralten Felsen, die von Wind und Wasser geformt wurden. Kurze Zeit später gelangen wir an einen ausladenden Sandstrand. Auch wenn wir erst wenige Minuten gewandert sind, spüren wir alle, dass die Zeit für unser Herbstbad gekommen ist. Wir springen ins kristallklare Wasser, das so kalt ist, dass es sich wie Stecknadeln auf der Haut bemerkbar macht.

Das Wasser ist so kalt, dass es sich wie Stecknadeln auf der Haut bemerkbar macht.

Wir wandern weiter auf dem Pfad durch dichten Wald. Unter den hohen Bäumen erstreckt sich ein Teppich aus weichem Moos und Blaubeersträuchern. Heide schimmert wie ein violettes Blütenmeer, das im Kontrast zu den grauen Felsen und dem tiefen Grün der Kiefern steht. Vålön ist geprägt von der Geologie des Baltischen Schilds, einem der ältesten Gesteinsmassive der Erde. Die Felsen der Insel sind hauptsächlich aus Granit und Gneis, die durch die Gletscher der letzten Eiszeit vor über 10.000 Jahren geformt wurden. Diese uralten Brocken sind glatt und rund und bilden die charakteristische zerklüftete Küste der Insel. Zwischen den Felsen erkennen wir tiefe Risse und Spalten, in denen sich Moose und Flechten festsetzen, wodurch ein faszinierendes Mosaik aus Farben und Texturen entsteht.

Värmlands Zauber in den Pfoten

Bald erreichen wir eine schmale Brücke, die uns auf die Insel Kalvön führt. Auf Kalvön scheint die Natur noch wilder und unberührter zu werden. An vielen Stellen der Insel sind die Felsen durchsetzt von Quarzbändern, die im Sonnenschein hell schimmern.

Weiter geht es vorbei an knorrigen Kiefern, die sich dicht aneinander schmiegen. Lowe klettert zwischen den Felsen umher und nimmt die Düfte der wilden Pflanzen auf. Die Einsamkeit hier ist fast greifbar, und es ist schwer zu glauben, dass wir uns auf einem der größten Seen Europas befinden. Wir streifen vorbei an Wacholderbüschen, die dem rauen Klima trotzen. Gerade als wir die Brücke nach Sibberön erreicht haben, hören wir ein Platschen im Wasser.

Es scheint, als wäre ein Fischotter vor uns abgetaucht. Ich nehme Lowe sicherheitshalber an die Leine – ohnehin ist die letzte der drei Inseln, Sibberön, ein Naturschutzgebiet, in dem Leinenpflicht herrscht. Sie ist kleiner und noch dichter bewaldet als die anderen beiden Eilande. Der Pfad führt uns durch eine stille, abgeschiedene Welt. Wir gelangen in eine einsame Klippenlandschaft, die einen atemberaubenden Blick auf den endlosen Horizont bietet. Hier lassen wir uns für eine Kaffeepause nieder. Nur der sanfte Wind, der durch die Bäume streicht, und das leise Plätschern des Wassers am Fuß der Felsen sind zu hören. Lowe liegt neben uns, seinen Blick in die Ferne gerichtet, als würden seine Augen in der unendlichen Weite Halt suchen. Vielleicht aber resümiert er auch unser Abenteuer.

In vier Tagen sind wir zu Weltenwanderern zwischen vier völlig unterschiedlichen Szenarien geworden – von Selma Lagerlöfs lieblicher Heimatlandschaft, über die mystische Grubenwelt zu tiefen Wäldern und luftigen Höhen sowie einer fantastischen Schärenwildnis. Lowe sieht verträumt aus. Auch für ihn wird es wohl noch eine Weile dauern, bis er wieder in der Realität des Alltags ankommen wird. Aber ein Stückchen magisches Värmland wird er ab sofort immer mit in seiner wedelnden Schwanzspitze tragen.

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