Der Himmel schimmert in einem sanften Pfirsichton, als der Nachtzug aus Helsinki am Vormittag den Bahnhof von Kolari erreicht. Nach einer entspannten Fahrt im Schlafwagen und einem ersten Kaffee im Bordrestaurant kommen wir 14 Stunden nach der Abfahrt am Vorabend am nördlichsten Bahnhof Finnlands an. Die Luft ist kristallklar, und obwohl der Bahnhof jetzt durch die ankommenden Reisenden belebt wird, liegt dennoch eine besondere Ruhe in der Luft – sie gilt als die sauberste der Welt.
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Nach fast fünfzehn Jahren, die ich nun in Finnland lebe, weiß ich, wie ich den Winter am liebsten verbringe: entspannt, ruhig, ohne viele Menschen. Nachdem ich von Abfahrtski bis Eisklettern alles mögliche an wilden, abenteuerlichen Optionen ausprobiert habe, zieht es mich mittlerweile in kleinere Orte, in denen ich die Ruhe finde, die ich suche. Tief verborgen in der bezaubernden Landschaft Finnisch-Lapplands liegt Muonio, ein weniger bekannter Ort im hohen Norden. Während selbst Lappland im Winter längst kein Geheimtipp mehr ist – mit Nordlichtern, Schneemobiltouren, dem Weihnachtsmann und Schlittenhunden, die Touristen aus aller Welt anziehen – hat Muonio einen anderen Charme. Hier gibt es keine großen Skizentren oder Fast-Food-Ketten; stattdessen empfängt die kleine, persönliche Gemeinde ihre Besucher mit Gemütlichkeit und authentischer nordischer Atmosphäre. Also genau das, was ich suche.
Die Weiterfahrt könnte kaum malerischer sein. Entlang des verschneiten Muonionjoki-Flusses fährt der Bus durch eine Winterlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Nach gut einer Stunde erreichen wir unsere Unterkunft Harriniva. Das Thermometer neben dem Hoteleingang zeigt knackige -34°C an. Wer nicht ausreichend ausgestattet ist, kann hier problemlos Overalls, Fäustlinge und alles Nötige ausleihen – hier ist man auf alles vorbereitet. Der Himmel ist klar, und es ist noch hell genug, um gleich, nach einer kurzen Pause, das Erlebnis Muonio zu starten.
Ein Winterwunderland vor der Haustür
Lappland und Huskys – eine Kombination, die untrennbar zusammengehört. Harriniva hat eine vergleichsweise kleine Huskyfarm, hier kümmert man sich bereits in dritter Generation um die Tiere. Die Huskys sind mehr als nur Schlittenhunde: man kennt hier jeden Hund und jeder Welpe ist wie ein Mitglied der Familie. Ob nach Star Wars Charakteren oder belgischen Bieren benannt, achtet man hier auf die persönlichen Bedürfnisse jedes Hundes.
Die Hunde sind voller Vorfreude, vor den Schlitten gespannt und bereit für den Start. Anders als mir und meinen Mitreisenden macht den Hunden selbst diese arktische Temperatur nicht zu schaffen. Man sagt uns, erst ab -40°C bekommen die Hunde kältefrei – und da fragt sich, ob der Hunde wegen oder der Gäste. Bei den Touren durch den verschneiten Nationalpark rund um Muonio – hier kann jeder, ob als Passagier oder Schlittenpilot, die atemberaubende Winterlandschaft auf diese Weise erleben. Noch bevor es losgeht, sind meine Wimpern und Haare schon von feinem Frost überzogen. Drei Schichten Kopfbedeckung reichen am Ende aus, doch die Zehenwärmer hätten besser nicht im Rucksack bleiben sollen. Anfängerfehler.
Hier, umgeben von schneebedeckten Wäldern und zugefrorenen Seen, erwartet die pure Natur, entdeckt zu werden. Einer der größten Vorteile einer Hundeschlittentour ist für mich die Stille und die Möglichkeit, tief in die Wildnis vorzudringen. Während Schneemobile oft die Sicht einschränken und durch den Lärm die Winterlandschaft nicht wirklich nahbar machen, entfaltet sich beim Schlittenfahren ein einzigartiges Gefühl der Verbundenheit mit der Natur. Die Hunde sind in ihrem Element und genießen jede Minute des Laufens durch die unberührte Landschaft.
Nach drei Stunden zeigt das Hotelthermometer bei der Rückkehr -36°C an. Etwas später auf dem Weg zum Polarlichter suchen, ist es aus. Wahrscheinlich war es da selbst dem Thermometer zu kalt. Auf dem Weg zum Abendessen im Kota, einem finnischen Tipi mit Feuer und Grill in der Mitte, erzählt Marika, die in Muonio arbeitet, dass man hier die Nordlichter häufiger sieht, als nicht. Mit der sauberen Luft und oft klarem Wetter stehen die Chancen besonders gut, das faszinierende Schauspiel am Himmel zu beobachten. Eine spezielle Tour braucht es dafür nicht, sagt sie – ein regelmäßiger Blick auf die Aurora-App und schon ein kurzer Spaziergang runter zum Fluss genügen. Lichtverschmutzung ist hier kein Thema, und auch vom Hotelzimmer aus lässt sich der Blick gen Himmel genießen.
Die lappländische Küche ist einfach, aber herzhaft. Typische Gerichte wie Rentierfleisch, gegrillten Fisch direkt aus den Seen oder dem Fluss nebenan, Beeren und Pilze aus den umliegenden Wäldern. Auch an Wurzelgemüse und Kartoffeln sowie dem klassischen finnischen Roggenbrot kommt man in Muonio nicht vorbei. Auch wenn frische Zutaten hier im Sommer ganzer Stolz der Anwohner sind, findet sich in den langen Wintermonaten viel eingelegtes, gepökeltes oder gebeiztes auf den Tellern. Nach einem langen Tag im Freien ist die dampfende Schüssel Pilzsuppe genau das Richtige, gefolgt von frischem Flammlachs – direkt vom Feuer.
Bei klarem Wetter wirken die Farben der Nordlichter besonders intensiv, und es scheint, als würde der gesamte Himmel in Flammen stehen. Doch auch wenn sich das Polarlicht nicht zeigt, bietet die Region nachts besonders schöne Momente. Die funkelnden Sterne am dunklen Himmel, weitab von städtischen Lichtern, setzen den eigenen Platz im Universum doch nochmal in eine andere Perspektive. Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, in den Himmel zu blicken und wirklich das Gefühl zu haben, jede einzelne Sternenkonstellation sehen zu können – und das schon früh am Abend. Zwischen Dezember und Januar verabschiedet sich hier die Sonne nämlich komplett. Während der Polarnacht wird es zwar für ein paar Stunden hell, einen Sonnenaufgang gibt es aber nicht. Mich hat die Anreise und der erste, lange Tag ganz schön umgehauen, so falle ich direkt ins Bett, während Marika noch mit einigen anderen runter zum Fluss geht und mit einem sanften Grün im Nachthimmel belohnt wird.
Winterwandern und Skilanglauf – mittendrin in der Natur
Am nächsten Morgen funktioniert das Hotelthermometer wieder, und wir machen uns auf den Weg Richtung Olos. Der Pallas-Yllästunturi-Nationalpark, der an Muonio grenzt, ist der drittgrößte Nationalpark Finnlands und bekannt für die weiten Landschaften rund um die Fjälls. Mit Schneeschuhen lassen sich die Hügel am Besten erkunden, um im Pulverschnee nicht einzusinken und dennoch ab der Pfade zu wandern, ein absolut unterschätztes Fortbewegungsmittel und immer wieder ein Highlight. Während ich mir voller Elan die Schneeschuhe um die Filzstiefel schnalle, wird um mich herum schon wild geflucht. Die Plastikschuhe, die gut die Größe eines Tennisschlägers haben, sind sperrig und machen so nicht den Eindruck, besonders handliche Ausrüstung zu sein. Der beste Tipp, den man mir vor Jahren einmal gegeben hat: einfach so tun, als hätte man gar nichts an den Füßen, und so normal wie möglich zu laufen. Alles andere macht das Schneeschuhwandern komplizierter als es ist.
Die Wanderwege sind gut markiert und führen vorbei an rustikalen Holzhütten, in denen man sich am offenen Feuer wärmen, eine Pause einlegen und heißen Kaffee schlürfen kann. Wir stapfen im quasi-Sonnenuntergang bei wundervollem Licht und völliger Stille über den schneebedeckten Hügel. In der Ferne sehen wir das Skigebiet von Olos, das einzige Skigebiet in einem Nationalpark. Die Pisten hier werden nicht mit künstlichem Schnee präpariert, sondern man verlässt sich hier ausschließlich auf den natürlichen Niederschlag. Es ist gerade Mitte Januar, im November waren die Pisten hier schonmal offen, nun erwartet man in einem Monat hier den nächsten Start. Währenddessen kann man auf den über 200 Kilometer langen Strecken Langlaufen, denn auch dafür ist Muonio für Anfänger und Fortgeschrittene ein Paradies.
Traditionelle Holzsauna und Eisbaden
Nach einem Tag an der frischen Luft gibt es kaum etwas Erholsameres, als in einer traditionellen finnischen Holzsauna zu entspannen. Die wohlige Wärme und das Knistern des Feuers vertreiben die Kälte aus den Gliedern und schaffen eine Atmosphäre der absoluten Ruhe. Nach unserem Wanderausflug in den Hügeln um Olos und Pallas endet unser Tag in der Arctic Sauna World, wo diese alte Tradition in besonderem Maße gepflegt wird. Die vier Saunen, die thematisch mit den Elementen verbunden sind, bieten für jeden das passende Sauna-Erlebnis. Ob mild oder heiß, sanft oder holzig – hier steht das Wohlbefinden im Mittelpunkt.
Hier kann man sowohl für sich allein verweilen als auch gemeinsam mit anderen den Besuch genießen. Direkt am See Jerisjärvi gelegen und selbst im tiefsten Winter über einen gesicherten Steg erreichbar, haben Wagemutige die Möglichkeit, sich nach dem Saunagang mit einem Bad im eiskalten Wasser abzukühlen. So habe ich mich der Aufgabe angenommen, einigen der Sauna-newbies Mut zuzureden, es zumindest einmal auszuprobieren. Denn das prickelnde Gefühl nach dem Eisbad ist ein Erlebnis, das man selbst getestet haben muss, um es zu verstehen.
Der Wechsel zwischen heiß und kalt stärkt das Immunsystem und lässt die extreme Kälte von -30 °C und kälter plötzlich viel weniger bedrohlich erscheinen. Bei einem gemeinsamen Kaltgetränk stoßen wir auf einen wundervollen Tag und den Mut zum Eisbad an. Nach der Sauna schlafen wir alle diesmal gleich so tief und fest, dass wir das Spiel der Nordlichter verpassen.
Am nächsten Tag sind es diesmal nur -29°C, also quasi tropisch, besuchen wir Torassieppi, 20 Minuten Autofahrt von Harriniva entfernt. Das “Lapinkartano” – ein fast 200 Jahre alter Hof, auf dem seit über einem Jahrhundert mit Rentieren gearbeitet wird, ist heute auch eine Unterkunft. Die Rentierzucht spielt in Muonio seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle und ist fest in der Kultur verankert. Heute das alte Haupthaus des Hofes ein Museum: originale Artefakte aus vergangenen Zeiten der Rentierzucht und die liebevoll eingerichteten Quartiere der ehemaligen Besitzer versetzen einen nicht nur in eine andere Zeit, sondern Besucher können mehr über die Bedeutung der Rentiere für die samische Bevölkerung erfahren, die bis heute ihre traditionelle Lebensweise in Lappland fortführt. Am Ende unserer Reise dürfen wir sogar noch ein paar Rentiere füttern und uns an ihren kleinen flauschigen Nasen erfreuen. Und ich weiss in diesem Moment noch einmal mehr, dass ich meinen verschneiten Herzensort im Norden Finnlands gefunden habe.