Die Strecke zwischen Kopenhagen und Rødby kenne ich. Unzählige Male bin ich schon auf ihr auf dem Weg nach Deutschland oder zurück durch Südseeland gefahren. Wenn wir mal einen Abstecher machten, dann stets in Richtung Küste, zur Badepause am Meer etwa oder zu den Kreidefelsen von Møns Klint. Das Landesinnere blieb dagegen unentdeckt. Wie so oft in Dänemark, wo sich rund 80 Prozent des Tourismus auf die Küstengebiete konzentriert.
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Vor fünf Jahren aber erhob sich plötzlich inmitten der Landschaft ein Turm aus den Baumkronen, der Blicke und mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit dem Skovtårnet (dt. Waldturm) hatte Seeland ein neues Wahrzeichen bekommen. Und einen Anziehungspunkt, der nun dafür sorgt, dass auch ich mit meiner Familie hier Halt mache, um statt in der Ostsee ausnahmsweise im Wald zu baden.
Zurück zur Natur
Über 60 Prozent der Landfläche Dänemarks sind heute landwirtschaftlich genutzt, gerade mal 14 Prozent als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Das setzt die Biodiversität des Landes unter Druck. Gleichzeitig gibt es weniger Möglichkeiten, unberührte Natur zu erleben. Das Naturverständnis ist damit ein anderes als bei den skandinavischen Nachbarn, wo es durch größere Wildnisgebiete und das Jedermannsrecht eine ganz andere Zugänglichkeit gibt. »Ich wollte einen Ort schaffen, der Menschen näher an die Natur bringt«, sagt Jesper Matthiesen, Gründer von Camp Adventure und Bauherr des Waldturmes. So pachtete der ehemalige Soldat 2012 ein 28 Hektar großes Gelände aus dem Landbesitz des nahen Gisselfeld Klosters. Herzstück sind ein alter Buchenwald und ein renaturierter Kiesbruch – der perfekte Ort für Jespers Idee eines naturverbindenden Erholungsraums. In eigener Handarbeit baute er zunächst einen Kletterpark und hölzerne Wege zwischen den Bäumen und restaurierte schrittweise einen Bauernhof am Rande des Waldes zum Besucherzentrum. 2013 eröffnete das Camp Adventure. Der Waldturm folgte im Jahr 2019, entworfen vom Architekturbüro EFFEKT selbst finanziert, ohne öffentliche Zuschüsse.
Ein Perspektivwechsel, der uns die Umgebung bewusst macht.
Die 45 Meter hohe Konstruktion aus Stahl und Holz fügt sich in die Waldlandschaft ein. Ein spiralförmiger Weg führt die Besucher über die Baumwipfel hinaus. Von oben kann man bei klarem Wetter bis nach Kopenhagen und Malmö blicken. Für Jesper ist der Turm jedoch mehr als eine Aussichtsplattform: »Es geht um den Perspektivwechsel. Jeder Schritt bringt eine neue Sichtweise auf den Wald und die Natur«, erklärt er. »Die Besucher sollen sich ihrer Umgebung bewusst werden.«
An der Rezeption empfängt uns Ida Röd. Sie war früher Eventmanagerin beim Roskilde Festival und unterstützt Jesper seit über zehn Jahren dabei, den Ort zu gestalten und seine Bekanntheit zu steigern. »Hierbei war der Turm enorm wichtig«, sagt Ida. »Wir haben inzwischen Besucher aus aller Welt, die wegen seiner Architektur hierher kommen.«
Upcycling im Walddorf
Wir wohnen in einer der Valley Cabins, minimalistisch designten Hütten mit großer Terrasse, überdachter Sitzecke und Emaille-Badewanne mit Blick aufs Tal mit weidendem Damwild. Interieur und Exterieur des gesamten »Forest Village« tragen die gemeinsame Handschrift beider Designer: Jespers funktionalen Geist und Idas Liebe für Details mit Verbindung zum Ort. »Viele Materialien und Einrichtungsgegenstände sind upgecycelt, stammen von Bauprojekten, Abrissobjekten oder Second-Hand-Märkten«, erzählt Ida. Wer im Camp wohnt, hat auch außerhalb der Öffnungszeiten Zugang zum Naturpark. Wir lassen uns über die leeren Holzwege treiben und folgen dem meditativ aufsteigenden Rundweg nach oben. Während die Sonne untergeht, blicken wir über die süddänische Kulturlandschaft hinweg zum vertrauten Meer. Am nächsten Tag laufe ich mit meiner Frau durch die umliegenden Wälder. Wir entspannen uns in der Sauna und trinken Kaffee in der Orangerie des nahen Gissefeld Klosters, während unsere Teenager durch die Baumwipfel klettern. Vielleicht kein Naturerlebnis wie bei unserer Fjällwanderung vor zwei Wochen, aber doch eines, das in seiner Weise Glück und Ruhe bei uns allen schafft.
2021 rief das dänische Umweltministerium die Initiative »Sammen om et VILDERE Danmark « (dt. Zusammen für ein WILDERES Dänemark) ins Leben. Man wollte die Gemeinden ermutigen, durch Renaturierung die bedrohte Biodiversität zu bewahren. Beispielsweise durch die Wiederherstellung der Wäldern im Thy Nationalpark oder des natürlichen Flusslaufs der Skjern Å. Gleichzeitig sollte eine Sensibilisierung erreicht werden, um ein respektvolles Erleben von Natur zu fördern. »Das zeigt uns, dass wir bereits 2012 auf dem richtigen Weg waren«, sagt Ida. »Es ist wichtig, Ökosysteme wie diesen alten Buchenwald zu bewahren und Biodiversität zu fördern, wie durch die Renaturierung des Kiesbruches und die Wildblumenwiese. Genauso wichtig ist es aber auch, diese Natur erlebbar zu machen. Denn nur so schafft man eine Verbindung.«