Der Duft von Moor und Birkenholz liegt in der Luft. Rund um das schwarzglänzende Wasser des Sees Angsjön warten die letzten Herbstblätter darauf, sich zwischen den Kiefern niederzulassen. Andächtig stehen wir da, lauschen, riechen und spüren den tausendjährigen Wald, in dem wir gerade angekommen sind. Es fühlt sich an wie in einer mächtigen Kathedrale, die in gedämpften Farben gehalten ist. Eine verlockende Landschaft aus Bergen und steilen Abhängen, die es zu erkunden gilt. Während der Urwaldinventur in den 1970er Jahren geriet die überraschend unberührte und uralte Waldlandschaft des Björnlandet ins Visier der Kreisverwaltung in Umeå. Spuren von 23 großen Waldbränden, der älteste im Jahr 1103, der jüngste im Jahr 1831, sind hier zu erkennen.
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Verkohlte Baumstümpfe und Kiefern mit Brandschäden, bilden ein historisches Archiv, das von der Dynamik des Waldes erzählt. Es gibt auch Hinweise auf Abholzung und Flößerei, aber in Björnlandet wurden keine Anzeichen dauerhafter Siedlungen gefunden. Andererseits lebten früher in der Gegend Waldsamen, die ihre Rentiere hier hüteten. Aufgrund des Inlandklimas sind Flora und Fauna nicht besonders auffällig. Hier ist das Ursprüngliche und Unberührte das, was ungewöhnlich und schützenswert ist.
Klein aber besonders
1991 wurde der Nationalpark Björnlandet (dt. das Bärenland) eingeweiht. Fünfzehn Jahre später, nachdem eine neue Bestandsaufnahme durchgeführt und weitere schützenswerte Teile rund um die Kernbereiche des Parks entdeckt wurden, wurde der Nationalpark auf heute etwa 2.370 Hektar erweitert, zuzüglich angrenzender Naturschutzgebiete als Puffer gegen künftige Eingriffe. Bei der Neueröffnung 2017 wurden zudem Eingänge, Wanderwege, Rollstuhlrampen, Rastplätze und zwei Übernachtungshütten fertiggestellt, um den Park für mehr Besucher zugänglich zu machen.
»Björnlandet ist ein ziemlich kleiner Nationalpark, aber der Wald ist so herrlich, mit einem faszinierenden Ökosystem und einer Altersspanne von tausend Jahren«, sagt Tomas Staafjord, Manager des Nationalparks und Mitarbeiter der Kreisverwaltung in Umeå.»Hier gibt es Bäume jeden Alters und jeder Größe – tot und lebendig, Nadeln und Blätter, liegend und stehend, dünn, dick, jung, alt. Hinzu kommen rund zweitausend Pilz-, Flechten- und Insektenarten, was nicht zuletzt der guten Verfügbarkeit von Altholz zu verdanken ist.«
Nachdem er die Holzvorräte für den Winter aufgefüllt hat, übernimmt Tomas die Führung und guidet uns mit großen Schritten zwischen den Bäumen entlang, auf Wegen und neu angelegten Holzstegen, über Bäche und Sümpfe, in Richtung Angsjökojan. Es ist bereits Nachmittag geworden. Um uns herum hören wir ein Gackern, Krächzen und Piepsen von unsichtbaren Vögeln, die unseren Spaziergang überwachen. Eine neugierige Lerche leistet uns Gesellschaft und gleitet lautlos von Baum zu Baum. Der Pfad schlängelt sich zwischen Tannen hindurch, an denen sich Schleier von Flechten sanft in der Nachmittagsbrise wiegen. Vom Sturm umgepustete Stämme haben sich zur Ruhe gebettet. Windgepeitschtes Totholz hält die Stellung. Das Moos weicht sanft unseren Stiefeln und wir finden Kohlenreste, die von einem der Waldbrände übriggeblieben sind, die die Gegend verwüstet haben. Neben einer Senke mit riesigen Felsbrocken, die sich wie ergraute Riesen schwer aneinander lehnen, machen wir Halt.
Verrückt nach dem Wald
Die Felsbrocken, ein Phänomen, das während der Eiszeit entstanden ist, tragen alle eine dekorative Kappe aus verschiedenen Flechten, da die Rentiere diese nicht abgrasen können. Unter den Felsbrocken befinden sich Höhlen, in denen sich Fledermäuse verstecken. Im Björnlandets-Nationalpark kann es sowohl Bären als auch Vielfraße und Luchse geben. Im Herbst 2019 soll es in ganz Västerbotten etwa 516 Bären gegeben haben, wobei die Schätzung relativ unsicher ist. Die Wildtiermanagement-Delegation schätze, dass es im Jahr 2021, im Landkreis rund 350 Bären gab.Die Hütte Angsjökojan, die wir nun erreichen, ist geräumig, verfügt über sechs Betten und ist aus rohem Holz mit Gras auf dem Dach gebaut. Von der Veranda aus eröffnet sich ein Blick auf den Wasserspiegel des Angsjön, auf dem gerade der Abendnebel eingedrungen ist. Auf der anderen Seite des Sees streifen die letzten Sonnenstrahlen die Bäume, die sich am Ufer aufreihen.
Wir machen ein Feuer im Ofen, kochen Kaffee und Tee und machen es uns auf den Verandastufen gemütlich. Es wird Zeit für ein Gespräch. »Ich bin Biologe, aber hätte vielleicht lieber Förster werden sollen«, sagt Tomas, während er sich seine Hände an der Kaffeetasse wärmt. »Ich bin ganz verrückt nach der Geschichte des Waldes, den Bäumen und der Dynamik dieses Ökosystems, aber auch den verschiedenen Arten, die im Wald gedeihen.«
Wir denken über den ewigen Kreislauf und alle Arten und Kuriositäten nach, die in dieser Vielfalt zu finden sind. So bleibt die Kiefer nach ihrem Tod noch ein paar hundert Jahre stehen, und wenn sie sich erst einmal im Moos niedergelassen hat, dauert es noch einmal hundert Jahre oder länger, bis sie verschwunden ist. Während dieses langwierigen Prozesses bietet sie sowohl ein Zuhause als auch eine Speisekammer für Tausende von Käfern, Insekten und Nagetieren. Der Gedanke macht uns schwindelig, stellen wir fest und blicken über den Waldrand, wo die Feen zwischen den Bäumen hin und her tanzen.
Duft von Lakritz
Wir essen Elcheintopf und trinken eiskaltes Wasser aus dem Bach.Eine sternenklare Nacht wird durch Morgennebel über dem See abgelöst. Der Ofen summt angenehm und wir atmen auf der Veranda tief ein, um unsere Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Wir packen zusammen, was wir tagsüber brauchen könnten, und machen uns auf den Weg. Die Luft ist kalt und feucht, bevor die Sonne über den Bäumen aufgeht. Tomas begleitet uns noch ein Stück, bevor er sich verabschieden und zu seinen Pflichten in Umeå zurückkehren muss.Doch bevor wir uns trennen, lässt uns ein starker Lakritzduft innehalten.
»Ein Wohlriechender Weidenporling«, sagt Tomas und zeigt auf eine alte Weide, an deren Stamm, der aussieht, als wäre er durch einen Unfall mit einer Frisbee beschädigt, ein weißbrauner, holziger Pilz prangt. Als sich der Weg teilt, geht Tomas in Richtung Parkplatz. Wir biegen links ab und folgen dem Guldbäcksleden hinauf zum Aussichtspunkt von Björnberget. Der Weg führt uns immer höher. Wir kommen an einigen mächtigen Tannen vorbei, die es sich in einer sumpfigen Schlucht gemütlich gemacht haben, eingehüllt in grauweiße Vorhänge aus Rosshaarflechten. Doch überwiegend wachsen im Nationalpark Kiefern. Die vielen Waldbrände haben die Zahl der Tannen dezimiert, was dazu geführt hat, dass die Kiefern hier ein günstiges Wachstumsumfeld vorfinden. Die Kiefern sind rau und gut gewachsen, die ältesten sind 500 Jahre alt und begannen zu sprießen, als Gustav Wasa noch König war.
Es geht langsam aufwärts. Das hügelige Gelände ist manchmal schwieriger als erwartet, mit Felsen und tückisch rutschigen Wurzeln. Andererseits gibt uns dies Anlass, eine Atempause einzulegen, um die wenigen Anzeichen menschlicher Präsenz, die wir finden, genauer zu studieren. Und ab und zu eine Handvoll vergessener Blaubeeren zu knabbern. Mit jedem Höhenmeter den wir zurücklegen, werden die Bäume niedriger, das Heidekraut höher und der Himmel weiter. Es ist völlig still.
Auf dem Gipfel des Björnberget werden wir für den schweisstreibenden Anstieg belohnt: eine kilometerweite und unvergleichliche Aussicht über ein großes Stück ursprünglicher und hügeliger Natur des Nordens. Überall Berge und steile Klippen, Sümpfe, Bäche und unberührte Wälder. Hier und da leuchten Laubbäume in Gelb und Orange. Weiter weg kahle Lichtungen und junger Wald. Einsame Vögel segeln über den Himmel. Zwei Eichhörnchen plappern aufgeregt hinter einem Felsen.
Die Sache mit der Schwiegermutter
Die Wanderung ist nun entspannter, mit freundlicherem Gelände und süßeren Blaubeeren. Wir bleiben auf den Bergrücken von Storberget und folgen dem Svärmorsleden, der uns an Svärmors utsikt dt. Schwiegermutters Aussicht), Svärmorstjärn (dt. Schwiegermutters Teich), Svärmorskojan (dt. Schwiegermutters Koje) und Svärmorsbäcken (dt. Schwiegermutters Bach) vorbeiführt. Wir kommen nicht umhin, uns über diese Schwiegermutter zu wundern, die so vielen Dingen ihren Namen gegeben hat. Wer war sie? Was machte sie hier?
Wir erwarten keine Antwort. Aus Richtung der Svarmors Aussicht hören wir stattdessen Stimmen, die sich zwischen den Bäumen nähern. Es sind Anita und Anna Wehlin, Mutter und Tochter, beide passionierte Wandererinnen und erfahrene Orientierungsläuferinnen, die sich während einer Fortbildung in Umeå einen Tag frei genommen haben. »Wir mögen Nationalparks«, sagen sie und nehmen eine hastige Mahlzeit auf einem Felsvorsprung ein.
Jetzt geht es steil bergab, die Augen auf den Schlamm gerichtet, um Ausrutscher und verstauchte Füße zu vermeiden. Neben Svärmorstjärn liegt Svärmorskojan, mit derselben Architektur wie die Hütte in Angsjö, aber ohne Gras auf dem Dach. Hier sind wir an der Reihe, das Lunchpaket zu öffnen. Wir spülen die Mahlzeit mit Wasser herunter, das nach Sumpf schmeckt. Die Familie Wehlin zieht derweil leichtfüßig an uns vorbei. »Sie ist letztes Wochenende ein 50 Kilometer-Rennen gelaufen, ruft die stolze Mutter Anita, und zeigt auf den federnden Schritt ihrer Tochter.
Wir gönnen uns noch ein paar zusätzliche Minuten in der Sonne vor der Hütte, bevor wir packen und aufbrechen. Es ist jetzt flach und leicht zu bewältigen, mit spärlichen Birkenbeständen und versunkenen Feuchtgebieten. Genau hier am Rande des Nationalparks verrät uns ein teilweise verfallener Damm, dass es früher Mähwiesen gab, auf denen Futter für Kühe, Jungtiere und Ziegen gesammelt wurde. In die Bäume geschnitzte Markierungen dienten als Orientierungspunkte für die Wege, die zwischen den Höfen verliefen.
Vergeben und vergessen
Die letzte Etappe hinunter nach Angsjön ist die härteste. Der Hang ist jetzt noch steiler, mit dem gleichen tückischen Untergrund aus Schlamm, losen Steinen und rutschigen Wurzeln. Langsam und vorsichtig nutzen wir sowohl den Hintern als auch die Hände, um die Knie und Knöchel zu schonen.
Wir sehen das Dach unserer Hütte. Aber es eine Illusion. Bevor wir dort wirklich ankommen, muss zunächst ein langer Umweg an einem weitläufigen, von Schilf gesäumten Feuchtgebiet zurückgelegt werden. Wir steigern das Tempo und kommen auf knapp über 16 Kilometer, als wir die Schlafkoje schliesslich erreichen.
Sobald die Erbsensuppe auf dem Herd zu köcheln beginnt und es in der Hütte warm wird, fühlt sich alles vergeben und vergessen an. Wir sind uns einig, dass sich die Mühe in jeder Hinsicht gelohnt hat. Schwere und kalte Regentropfen beginnen immer intensiver über das Dach zu tanzen. Es schön, in den Schlafsack zu kriechen und das Gefühl zu haben, der Körper sei auf einem Abenteuer gewesen. Und wenn der Regen dann stärker wird, pusten wir die Kerzen aus und schlafen ein.
Nationalpark Björnlandet
Zwischen Fredrika und Åsele liegt der Björnlandets-Nationalpark, der 1991 eingeweiht, 2017 erweitert und erneut eingeweiht wurde. Hier gibt es herrliche Wildnis und einen der wertvollsten Urwälder des Landes mit wunderschönen alten Kiefern , flechtenbedeckte Fichtensumpfwälder und deutliche Spuren von Waldbränden.
Unterkunft: Zwei Hütten, beide mit sechs Betten, Decken, Kissen, Feuerholz, Herd, zusätzlichen Matratzen und Haushaltsutensilien. Die Unterkunft ist kostenlos und nicht buchbar. Camping ist im Nationalpark erlaubt
Anreise: Der Nationalpark ist über die Straße zwischen Fredrika und Åsele zu erreichen. Eine Nebenstraße nach Süden führt hinunter nach Fjälltuna und dann nach Flärkån. Der letzte Abschnitt führt über Flärkån nach Angsjön an der Ostgrenze des Nationalparks.
Wandern: Im Nationalpark gibt es sechs ausgeschilderte und miteinander verbundene Wanderwege. Hunde müssen an der Leine geführt werden.