Marten Bril, der Chef von Sea Safaris, schlendert in seinem Büro umher und stellt einige Unterlagen zusammen, bevor er sich uns gegenübersetzt und uns eine Keksdose anbietet. Er wechselt ein paar Worte mit dem Fischer Björnar Cristiansen, der ebenfalls auf eine Tasse Kaffee vorbeigekommen ist, weil es auf seinem Weg liegt. Mit seinem windgegerbten Gesicht und den strahlend blauen Augen verkörpert er die raue Natur des Nordens. Natürlich reden wir über das Wetter, denn das tut man hier immer – umso mehr, wenn der Himmel draußen vor dem Fenster wie grauer Marmor über dem schäumenden Meer hängt.
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Unerfüllte Erwartungen
Es ist gerade mal der erste Tag unserer Reise zu den Inselgruppen Vesterålen und Lofoten, und dennoch der, von dem ich am meisten erwarte. Wir wollen Wale beobachten – Schwertwale. Es sind vor allem Orcas, die mich faszinieren, und mein Bauch kribbelt bei dem Gedanken, dass heute vielleicht mein lang gehegter Traum in Erfüllung geht und wir diese schwarz-weißen Wesen in freier Wildbahn sehen könnten. Ungeduldig sitze ich da, warte darauf, dass wir endlich in unsere Floating-Anzüge steigen und uns auf den Weg machen.
Doch Marten mümmelt weiter seine Kekse und erzählt von Pottwalen, hohen Wellen und davon, wie es ihm einmal gelang, einen Schwertwal zu fotografieren, als dieser genau hier im Hafen eine Robbe erwischte. Das Bild hängt an der Wand, aber ich will die Tiere in echt sehen, nicht auf Fotos. Schließlich muss ich es einfach fragen: Wann fahren wir los? » Zu den Walen? Nein, heute können wir nicht raus. Es ist Sturm«, sagt Marten und nimmt sich noch einen Keks.
Enttäuscht nehme ich meinen dritten Kaffee des Tages. Die beiden ersten hatte ich im Frühstücksraum des Hotels, umgeben von amerikanischem Stimmengemurmel. Andenes auf Andøya ist im Februar, wenn die Touristensaison auf Sparflamme läuft, ein verschlafenes Nest. Andererseits hat die NATO hier einen Flugplatz, und die NASA lässt gleich um die Ecke Raketen starten. Doch heute scheint das graue Wetter mit dem starken Wind alle Aktivitäten lahmzulegen.
Der Himmel hängt wie grauer Marmor über den schäumenden Wellen.
Auch Björnar, der draußen auf dem Steg steht, späht mit seinen knallblauen Augen skeptisch in den Himmel, während er sich eine Zigarette anzündet und seine Pelzkappe festhält, damit sie nicht vom Wind davongetragen wird. Sein Fischerboot liegt vertäut neben mehreren anderen. Er war fast sein ganzes Leben lang Fischer und wurde um das Jahr 2008, als die Erdölindustrie in den Regionen Vesterålen und Lofoten seismische Messungen vornahm, zur Galionsfigur des Kampfes gegen die Ölriesen, der seitdem im Gange ist.
»Am Anfang bekamen wir viel Gegenwind, aber jetzt haben wir mindestens die Hälfte der norwegischen Bevölkerung auf unserer Seite«, sagt er. Bislang war der Protest erfolgreich, wozu auch der Mangel an Infrastruktur für die Ölindustrie vor Ort beitrug. Die Ölprospektierung geriet dadurch ins Stocken, und die öffentliche Aufmerksamkeit konnte in der Region sogar dem Interesse an der nachhaltigen Fischerei zu einem Aufschwung verhelfen. Die jüngere Generation fängt an, sich immer mehr für Dorsch und Seelachs zu interessieren. »Diese Tradition gilt es zu schützen. Es war ja der Fischfang, der uns zu einer Nation gemacht hat. Nicht das Öl. Wir versorgen die Welt mit Nahrung, während das Öl unsere Erde mehr und mehr zerstört«, sagt Björnar, und er fügt hinzu: »Aber wenn man das in Norwegen sagt, macht man sich nicht immer Freunde.«
So beeindruckend Seeadler auch sind, ich kann nicht aufhören, an Orcas zu denken.
Wir nehmen die Küstenstraße nach Süden, entlang schneebepuderter, dunkler Berge und windgepeitschter, eisiger Strände. Im norwegischen und schwedischen Landesinneren erreichen die Schneehöhen gerade Rekordwerte, und sogar in den Hauptstädten Oslo und Stockholm herrschen zweistellige Minustemperaturen. Doch hier, weit oberhalb des Polarkreises, haben wir plus zwei Grad und zeitweise überhaupt keinen Schnee. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es hier wärmer ist als wei- ter im Süden. Der Golfstrom sorgt das ganze Jahr über für ein mildes Küstenklima. Der Kälterekord in dieser Gegend liegt bei minus 18 Grad, aber normalerweise bewegen sich die Temperaturen im Winter um den Gefrierpunkt. Der häufig starke Wind lässt es jedoch erheblich kälter wirken.
Verlassen und Wiederentdeckt
Als wir anhalten, um eine Pause zu machen, reißt der Wind fast die Autotür auf, sobald wir sie öffnen. Die Seeadler, die hoch über uns am Himmel kreisen, scheinen von der steifen Brise völlig unbeeindruckt. Wir entdecken mehrere dieser majestätischen Vögel und stellen bald fest, dass sie hier allgegenwärtig sind, sei es in der Umgebung oder direkt über uns. Auf dem türkisblauen Meer türmen sich weiße Wellen auf, doch so beeindruckend die Seeadler auch sind, ich kann nicht aufhören, an die Schwertwale zu denken. Irgendwo da draußen müssen sie sein. Sie folgen gewöhnlich den Herings- schwärmen entlang der norwegischen Küste und praktizieren eine clevere Jagdmethode: In Gruppen treiben sie die Fische an die Oberfläche, betäuben sie mit ein paar kräftigen Schlägen ihrer Schwanzflosse und müssen dann nur noch ihre riesigen Mäuler aufsperren, um die Beute zu verschlingen.
Nach einer dreistündigen Fahrt taucht das Fischerdorf Nyksund vor uns auf, ganz weit draußen auf der Insel Langøya, buchstäblich am Ende der Straße und gefühlt am Ende der Welt. Es besteht aus einer merkwürdigen, kleinen Ansammlung von Häusern. Nyksund ist einsam, etwas heruntergekommen und schön zugleich. Man erkennt, dass sich hier etwas bewegt – hier und da wurde renoviert, und die Holzterrasse an der Meeresbucht scheint im Sommer bestimmt ein Wohlfühlort zu sein.
Aber nun ist Nebensaison, und die Spuren des Verfalls sind an den einst völlig verlassenen Häusern noch sichtbar. Nyksund war früher eines der wichtigsten Fischerdörfer von Vesterålen, doch als die Boote der Fischereiflotte immer größer wurden, war der Hafen irgendwann zu klein. Um 1970 wurde das Dorf schließlich aufgegeben. In den 80er- Jahren jedoch begann es allmählich, wiederbelebt zu werden – von Menschen, die sich in die spektakuläre Lage verliebt hatten. Viele kreative Köpfe, Künstler und Naturliebhaber aus verschiedenen Ländern, haben sich hier niedergelassen.
Semjon Gerlitz war zum ersten Mal im Jahr 1997 in Nyksund. Drei Jahre später verließ er sein Zuhause in Deutschland und zog endgültig hierher. Jetzt betreibt er das Gästehaus Holmvik Brygge mit Zimmervermietung und Restaurant. »Mein Traum war es, nördlich des Polarkreises zu leben. Ich wollte Stürme und raues Wetter«, sagt er und späht aus dem Fenster des Restaurants, wo wir einen Tisch neben einem wärmenden Kaminofen bekommen haben. Die Häuser, die den Hafen umge- ben, wirken fast wie eine Filmkulisse für einen Western, der ausnahmsweise an die nord- norwegische Küste verlegt wurde. Eine Art Saloon-Atmosphäre geht von den verwitterten Fassaden aus, von den auf Pfosten ruhenden Obergeschossen, die sich über die mit Holzplanken bedeckte Hafenpromenade erstrecken.
Über uns kreisen kreischende Sturmmöwen. Der ganze Ort vermittelt ein Gefühl von Weltabgeschiedenheit. Semjon nickt zustimmend. »Es ist ein bisschen Bohème, und das darf gern so bleiben. In Nyksund zu wohnen, ist, als ob man einen alten Volvo Amazon fährt. Man bekommt eine Ahnung davon, wie es früher einmal war.«
Mit dem Kajak ins Insellabyrinth
Um uns herum erheben sich stolz die Berge – mit scharfen Spitzen, wuchtig und zunehmend schneebedeckt. Wir setzen unseren Roadtrip auf Vesterålen in Richtung Süden fort, über Brücken und Fährverbindungen zur nächsten Inselgruppe, dem Lofoten-Archipel, der sich noch etwas weiter westlich ins Meer erstreckt.
Wir möchten die Lofoten nicht nur vom Land aus erleben, sondern auch aus der Wasser- perspektive. Dafür steigen wir ins Kajak und lassen uns von Jann Engstad, der seit mehreren Jahrzehnten Touristen durch seine heimischen Gewässer führt, in das Insellabyrinth entführen. Die Aussicht aus dem Kajak ist so überwältigend, dass ich mich durch die Schichten von Kleidung und Schwimmweste hindurch in den Arm kneifen möchte. Es ist pure Magie, im Winter zwischen den Inseln der Lofoten zu paddeln. Zu sehen, wie weißgepuderte Berge in ein funkelndes Meer eintauchen, und mittendrin zu sein. Den Geschmack des Salzwassers auf den Lippen zu spüren, das sanft herüberspritzt. Auf einen weißen Sandgrund hinunterzuschauen, der die Gedanken in bedeutend wärmere Gegenden entführt.
Sie ist einsam, etwas heruntergekommen und schön – alles zugleich.
Für Jann ist das alles Routine. Er hat unzählige Gruppen staunender Touristen durch diese Gewässer geführt und sogar einen Reiseführer über die besten Paddeltouren auf den Lofoten geschrieben. Ich kann nicht anders, als ihn nach den Schwertwalen zu fragen. Natürlich. »Aber ja«, sagt er, »ich hatte schon viel Nahkontakt mit ihnen. Sie haben Humor, sind intelligent und neugierig. Sie lassen sich gern vom Bootspropeller massieren, wenn ich mit dem Motorboot unterwegs bin. Früher kamen sie öfter in die Fjorde, aber manchmal passiert das immer noch.« Sofort schalte ich meinen Schwertwalspäherblick wieder ein, als wäre er jemals ausgeschaltet gewesen.
Manchmal sieht sogar das Fjell aus wie ein Orca, wenn der weiße Schnee wie eine Mütze auf den buckligen Berggipfeln liegt. Am Horizont zeichnet sich die unverwechselbare, schmale Spitze des Berges Stetind ab. Wir sind gerade so weit vom norwegischen Festland entfernt, dass wir es noch sehen können, während wir auf dem Fjord unterwegs sind. Am Ufer liegt auch das Fischerdorf Kabelvåg. Manchmal stoßen unsere Kajaks an Eisschollen, und meine Daumen fühlen sich in den Paddelhandschuhen allmählich wie Eiswürfel an. Doch das macht nichts – bald werde ich sowieso im Nyvågar Rorbu-Hotel in einer warmen Badetonne liegen und mir wünschen, das Wasser wäre nicht ganz so heiß.
Schwimmen und Skifahren
Wenig später erreichen wir tatsächlich unser Nachtquartier. Ein Rorbu ist ein traditionelles Bootshaus, und dieses Hotel hat das Restaurant im Hauptgebäude, während der Wohnbereich in modernen, kleinen roten Hütten untergebracht ist, die an die alten Bootshäuser erinnern sollen. Wir haben es weder weit zum Badesteg noch zur Sauna. Bereitwillig tauchen wir ins eiskalte Meer, bewacht von den schwarzweißen Berghängen im Sonnenuntergang. Ende Februar ist die dunkelste Zeit vorbei, doch die Tage sind noch immer recht kurz. Der Himmel dort, wo er das Meer berührt, schimmert in zartem Rosa und Aprikosenfarben.
Es ist reine Magie, im Winter zwischen den Eilanden der Lofoten umherzupaddeln.
Die Hündin Nanook, die wir am nächsten Morgen kennenlernen, würde vermutlich behaupten, dass diese Fjellgegend ihr gehört. Sie scheint die Kontrolle darüber zu behalten, wer hier unterwegs ist. Wachsam späht sie in alle Richtungen, läuft vor uns her, um den Weg auszukundschaften, und bellt, sobald sie etwas Verdächtiges, Bedrohliches oder einfach Interessantes erspäht. Das weiße Fell der Samojedenhündin – einer arktischen Spitzrasse – hebt sich leicht gelblich vom noch weißeren Schnee ab, während wir uns Schritt für Schritt, Stück für Stück auf Skiern die abschüssige Flanke des Berges hinaufkämpfen.
Auf den Inselgruppen Lofoten und Vesterålen gibt es weder gespurte Pisten noch Skilifte. Zum Glück. Wer die weißen Hänge hinunterfahren will, muss zuerst aus eigener Kraft hochsteigen – mit Hartnäckigkeit und Steigfellen. Dies ist die wunderbare Welt der Gipfeltouren. Als ich stehen bleibe, mich umdrehe und den Ausblick hinter mir auf mich wirken lasse, öffnet sich ein Panorama, das mir den Atem raubt. Strahlende Sonne, blauer Himmel – und unter den steil abfallenden Bergen glitzert eine Meeresbucht, mit der Insel Skrollvær, die sich wie ein gestrandeter Wal am Horizont erhebt.
Weit unten sehen wir ein paar weitere Tourengeher auf ihren Skiern heraufkommen. Es sind nicht viele Leute unterwegs, aber genau hier, nördlich der Stadt Svolvær, ist zufällig die Region, die gerade den besten Schnee hat. »Normalerweise ist es hier sehr niederschlagsreich und schneesicher, aber in diesem Jahr hat es bislang nur wenig geschneit«, sagt unser Guide Seth Hobby von der Arctic Alpine Lodge.
Es ist so schön, dass es fast schmerzt. Als uns Nanook mit der unglaublichen Aussicht im Hintergrund entgegenläuft, zücke ich mein Handy, um diesen Augenblick festzuhalten. Doch genau in diesem Moment entscheidet sich mein Mobiltelefon, meinem Griff zu entwischen und schliddert in hohem Tempo den Abhang hinunter. »Oh je«, bringe ich nur hervor, als ich es entschwinden sehe – gefolgt von Nanook. Sie entscheidet sich schließlich fürs Umkehren. Nicht so das Telefon.
Als wir den Gipfel fast erreicht haben, können wir im Norden die Inseln von Vesterålen sehen und im Südwesten die Lofoten. Wie stachelige Drachenrücken ragen sie direkt aus dem Meer, weshalb sie viel höher wirken, als sie tatsächlich sind. Der höchste Berg der Gegend misst 1200 Meter, viele andere sind niedriger – und dennoch spektakulär mit ihren kargen, zackigen Gipfeln. Dann folgt die Abfahrt, in weiten Schwüngen, so breit, wie wir es nur wollen. An diesem Hang über dem Meer gibt es mehr als genug Platz. Im Augenblick sind es nur wir, die diese Herrlichkeit genießen – so lange sie andauert.
Magische Kulissen und Kurioser Fisch
Im Auto geht es weiter nach Süden, mit kleinen Abstechern hier und da. Die schneebedeckten Berge scheinen endlos in den Himmel zu ragen, während die Küstenlinie immer wieder durch idyllische, kleine Dörfer unterbrochen wird. Im malerischen Dorf Henningsvær stehen die roten Holzhäuser dicht gedrängt am Hafen, fast so, als würden sie sich gegenseitig stützen. Sie ziehen fotografierende Touristen an, die mit ihren enormen Objektiven und stabilen Stativen versuchen, das perfekte Bild einzufangen. Der Lichterschein vom Kai tanzt auf dem Wasser, während die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet und ein warmes Licht über die Szenerie legt. Es ist ein Anblick, der die Magie der Lofoten vollkommen einfängtrau, doch gleichzeitig beruhigend und friedlich.
An einem Tag fahren wir weiter nach Süden, bis ins Fischerdorf Reine auf der Insel Moskenesøya. Als wir durch Ramberg kommen, machen wir Halt neben den riesigen Holzgestellen, an denen Fische in großen Mengen zum Trocknen aufgehängt sind. Der Geruch, der uns entgegenschlägt, ist stark und alles andere als angenehm – eine Mischung aus Salz und Verwesung, die in die Nase sticht. Die Fischköpfe hängen in Trauben zusammen, ihre starren Augen scheinen uns anzusehen, als wollten sie uns mit stummer Anklage verfolgen.
Die Körper, ausgetrocknet und verzerrt, baumeln daneben wie groteske Skulpturen. Es ist ein makaberer Anblick, der in dieser Masse beinahe surreal wirkt. Doch dies ist eine uralte Methode, um den Fisch haltbar zu machen – eine Tradition, die hier seit Jahrhunderten gepflegt wird. Weil in den Regionen Vesterålen und Lofoten so viel Trockenfisch produziert wird, haben die Norweger das portugiesische Nationalgericht Bacalao (einen Eintopf aus getrocknetem Dorsch) übernommen und zu ihrem eigenen gemacht. Natürlich probieren wir die Speise in einer kleinen Taverne am Straßenrand.
Der Geschmack ist in Ordnung, etwas salzig vielleicht. Doch was neben dem Probieren von traditionellen Gerichten zu einer Reise auf die Lofoten unbedingt dazugehört, ist das Nordlicht. Fast eine Woche lang haben wir jeden Abend den Himmel abgesucht – doch entweder war es zu bewölkt, oder die geomagnetische Aktivität war zu schwach. Heute Abend ist unsere letzte Chance, und die wollen wir nutzen, an einem der besten Orte, um dieses Naturphänomen zu sehen.
Auf Jagd nach grünen Schleiern
Als wir in den Lofoten Links Lodges in Hov auf Gimsøy einchecken, spüren wir sofort die Geschichte dieses Ortes. Wir betreten eine alte Wikingersiedlung, und der Besitzer Frode Hov erzählt uns, dass man glaubt, hier habe der berühmte Wikingerhäuptling Tore Hjort gewohnt. Dieser soll König Olav Tryggvason herausgefordert haben, was ihn im Jahr 999 das Leben kostete. Frode zeigt auf den Reiterhof, wo Islandpferde gemächlich weiden und auf ihre nächste Tour warten. »Es könnte Tore gewesen sein, der unsere Pferde nach Island brachte, aber jetzt haben wir sie zurückgeholt«, sagt Frode mit einem Augenzwinkern. Die zotteligen Islandpferde passen perfekt in die raue, karge Landschaft – sie wirken, als hätten sie hier schon immer ihren Platz gehabt.
Was uns allerdings überrascht, ist der Golfplatz, der sich hier zwischen steilen Klippen und pudrigen Sanddünen erstreckt. Anders als an vielen Orten des Archipels gibt es hier offene, flache Flächen, die das Golfspielen erleichtern. Und obwohl wir uns auf dem 68. Breitengrad befinden, ist Golf hier dank des Golfstroms einen großen Teil des Jahres möglich. Doch für uns ist nicht das Golfspiel der Anziehungspunkt – es ist die offene Landschaft, die uns eine ungehinderte Sicht auf den Himmel ermöglicht.
Gegen halb neun Uhr abends treten wir aus unserer Lodge, um den Himmel zu überprüfen – ohne große Erwartungen. Doch plötzlich sehe ich etwas: »Da! Guck mal!« Ein grünlicher Schleier zeichnet sich am Himmel ab, zuerst nur schwach, dann deutlicher. Er spannt sich wie ein Bogen über den Himmel und kippt ins Meer hinunter. Wir stehen da, gebannt von dem Anblick, und wagen kaum zu blinzeln, aus Angst, etwas zu verpassen. Langsam beginnt der Schleier zu tanzen. Er wiegt sich hin und her, als würde er nur für uns eine geisterhafte, magische Choreografie aufführen. Ich kann nicht mehr stillstehen, meine Füße beginnen von selbst zu hüpfen, während die Begeisterung in mir brodelt. Dann verdickt sich der grüne Streifen, wird intensiver, und plötzlich schickt er einen pinkfarbenen Wasserfall aus Licht in die Tiefe. Es ist ein Spektakel, das kaum in Worte zu fassen ist.
Der Vollmond erhebt sich hinter einer Anhöhe und mal Glitzerspuren.
Ich lasse mich in die Badetonne fallen, die auf der Veranda steht. Der kalte Wind pfeift mir hartnäckig um die Ohren, aber es stört mich nicht. Es gibt kaum ein besseres Gefühl, als in einer heißen Badetonne zu liegen und zu sehen, wie die Polarlichter am Himmel für uns grüne und pinkfarbene Pirouetten drehen. Gegen zehn Uhr beruhigt sich das Schauspiel allmählich, doch das Nordlicht ist immer noch da – schwächer, dünner, aber weiterhin immer noch sichtbar.
Wir können einfach nicht aufhören, den Himmel zu beobachten, denn das Polarlicht ist unberechenbar, es kann jederzeit wieder kräftiger werden. Glücklicherweise haben wir durch das große Fenster in unserem Wohnzimmer einen perfekten Logenplatz. Wir können uns auf dem Sofa zurücklehnen und mit einem halben Auge das Schauspiel am Himmel verfolgen. Und tatsächlich – gegen elf Uhr verstärkt sich das Licht erneut. Es zieht sich in Schnörkeln über den Himmel, ein grüner Springbrunnen, der sich über die Himmelskuppel ergießt.
Wir gehen hinunter zum Strand neben den Pferdeweiden, wo die Islandpferde freundlich schnauben. Der Vollmond erhebt sich hinter einer felsigen Anhöhe und malt eine glitzernde Lichtspur auf das Meer. Irgendwo da draußen schwimmen jetzt die Schwertwale, während über ihnen das Nordlicht tanzt. Orcas haben wir zwar nicht zu Gesicht bekommen, aber das Polarlicht hat uns am Ende doch noch seinen magischen Auftritt geschenkt und für uns geleuchtet. Demütig und gerührt sagen wir leise »Dankeschön« und verneigen uns symbolisch, bevor wir den Strand verlassen und zurück zur Lodge gehen. Es fühlt sich einfach richtig an, das in diesem Moment zu tun.