Ein Wald ist nicht gleich ein Wald – vor allem nicht in Schweden. Anders als in Deutschland gibt es hier noch richtige Urwälder. Damit das so bleibt, engagieren sich ausgerechnet immer mehr Deutsche für den Schutz der »Gammelskogar«.
Elche gibt es im Rheinland nicht, dafür aber Trolle. Sogar singende. Als »De Tokiga Trollen« aus Leverkusen vergangenen Sommer in die europäische Kulturhauptstadt Umeå reisten, hatten sie nicht nur Notenblätter im Gepäck, sondern vor allem ein Ziel vor Augen: Die Rettung des Iglekärr-Urwalds in der Nähe von Göteborg. Im Rahmen des Kulturfestivals widmeten »Die verrückten Trolle« dem Waldschutzprojekt eine ganze Ausstellung. Mithilfe der Erlöse aus dem Bilderverkauf und gesammelten Spenden übernahmen sie anschließend über »Naturarvet« die Patenschaft für einen Teil der Forstfläche. Die schwedische Umweltstiftung versucht den Iglekärr-Gammelskog
in der Region Västra Götaland mit der Aktion Stück für Stück aufzukaufen und so vor der Abholzung zu bewahren. Auch NORR unterstützt das Vorhaben: Fünf Prozent der Erlöse unseres Green-Partner-Projekts gehen direkt an »Naturarvet« und haben bereits mehr als 10 000 Quadratmeter Wald retten können. Seine rund 1 800 Quadratmeter hat der Chor liebevoll »Trollskog« (dt. Trollwald) getauft.
KAMPF GEGEN DIE ZERSTÖRUNG
Sattgrün und verwildert erstreckt sie sich über eine scheinbar endlose Weite – wir haben eine ganz bestimmte Vorstellung der Waldlandschaft Schwedens. Und anscheinend halten viele Deutsche nicht nur an ihr fest, sondern sind auch bereit, für sie zu kämpfen. Für eine Natur, die sich selbst überlassen wird, verwildern darf und die unzählige Lebewesen ihr Zuhause nennen. Eine, die droht, fast komplett zu verschwinden. »Habt ihr in Deutschland keine eigenen Wälder, die ihr schützen könnt?«, wurde Chormitglied Andrea Ginsberg augenzwinkernd, aber auch ernsthaft verwundert, von einem Schweden in Umeå gefragt. Der wichtige Unterschied zwischen Wald und Urwald scheint Einheimischen gar nicht bewusst zu sein. Aber warum regt sich ausgerechnet in Deutschland immer mehr Widerstand?
»Zwanzig Prozent der bei uns verbrauchten Papierprodukte bestehen aus schwedischen Waldholzfasern«, weiß Rudolf Fenner, Waldreferent des gemeinnützigen Vereins »Robin Wood« mit Büros in Bremen und Hamburg. »Als größter Kunde der schwedischen Forstindustrie sind wir mitverantwortlich für die Urwaldzerstörung«, erklärt er das Engagement der Organisation, die sich kürzlich an die schwedische Regierung gewandt hat. In zahlreichen unterzeichneten und an den zuständigen Minister Sven-Erik Bucht übergebenen Briefen, fordert sie ein sofortiges Einschlag-Moratorium für alle noch vorhandenen Naturwälder. Fenner und die Teilnehmer der Unterschriftenaktion wollen damit ein Zeichen setzen: »Wir beziehen unser Holz gerne weiter aus Schweden. Aber bitte nicht aus den Naturwäldern.«
EIN LIED AUF DEN WALD
Seit den 1950er Jahren wurden 60 Prozent der schwedischen Wälder dem Boden gleichgemacht und in wirtschaftlich erfolgreiche, aber einfältige Holzproduktionsflächen umgewandelt. Schuld an dieser raschen Entwicklung ist die Forstpraxis der sogenannten »Kahlschläge«, der großflächigen Abholzung. Diese ist dort, anders als in Deutschland, noch ohne große Einschränkung erlaubt und gegenwärtige Praxis. Deshalb sind heute mehr als 850 Pflanzen- und Tierarten des Waldes bedroht. Von den etwa fünf Prozent der unversehrt gebliebenen Natur- und Urwaldfläche stehen nur 3,8 Prozent unter staatlichem Schutz. Die restlichen 880 000 Hektar des schützenswerten Waldbestands, die »Naturarvet« um der Biodiversität willen aufzukaufen versucht, sind der Forstindustrie und ihrer radikalen Kahlschlagmethodik weiterhin ausgesetzt.
»Trollarollarollala«, sang Andrea Ginsberg, als sie inmitten des »Trollskog« stand. Zuvor ist sie mit einigen anderen Chormitgliedern durch den Iglekärr-Wald gelaufen, das Navigationssystem mit den Koordinaten des erworbenen Waldstücks immer im Blick. »Es gab keine Wege, die Bäume standen dicht an dicht oder lagen quer, oft ging es steil bergauf und wir hatten einfache Turnschuhe an – definitiv ein Fehler.« Als sie sich schließlich aus der Wildnis herausgekämpft und es zu einer Lichtung geschafft hatten, stimmte Andrea Ginsberg glücklich die choreigene Einsingübung an. Um sie herum sah es genauso aus, wie sie es sich vorgestellt hatte.