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Tagsüber wandern, abends ein Drei-Gänge-Menü und ein weiches Bett – diese Kombination hat in den Alpen eine lange Tradition. Während der letzten Jahre hat der Genussurlaub auch die bisher eher spartanischen Fjällregionen in Schweden erreicht. NORR hat Wanderwege, ein Weltklasse-Hotel und raffinierte Gerichte getestet.
Der Ausblick, der mich nach der Bezwingung des Anstiegs erwartet, lässt mich abrupt stehen bleiben. Zu unseren Füßen breitet sich ein märchenhaftes Tal aus, das wie eine wassergefüllte Schale aussieht – umgeben von kargen Felsmassiven und mächtigen Berggipfeln. Der See liegt so blank, dass es schwerfällt, die Wirklichkeit von ihrem Spiegelbild zu unterscheiden. Vor nicht einmal einer Stunde haben wir die Wanderschuhe geschnürt, unser Hotelzimmer in Fjällnäs verlassen und sind mit dem Ruderboot über den See gefahren. Am anderen Ufer lag der Startpunkt für unsere Bergwanderung. Als wir nun die letzten Schritte auf dem Weg zum Bolagskammen, auf Deutsch Firmenkamm, zurücklegen, fühlt es sich an, als ob wir in einer anderen Welt und anderen Zeit gelandet wären.
Ganz weit unten beim See ist am äußersten Ende einer kleinen Landzunge die kleine Bolagsstugan, eine Berghütte, die zum Fjällnäs Hotel gehört, zu sehen – wegen des Grasdachs ist sie fast nicht zu erkennen. Seit ihrer Errichtung Ende des 19. Jahrhunderts ist sie ein gut gehütetes Geheimnis für ausgewählte Hotelgäste.
Steinzeit und Gegenwart
Fjällnäs, das westlich von Funäsdalen in der schwedischen Provinz Härjedalen liegt, ist ein Ort, der Gegensätze gekonnt miteinander vereint – die Sehnsucht des Steinzeitmenschen, im Einklang mit der Natur zu leben und die Leidenschaft urbanisierter Zeitgenossen für moderne Annehmlichkeiten und besondere Erlebnisse. Hier erwartet einen eine ursprüngliche Steinzeit-Landschaft, die sich seit der Eiszeit nicht mehr verändert hat: Beeindruckende Ausblicke, das spektakuläre Vigelfjäll, das sich vor einem aufbäumt, ein Bad in eiskalten Gewässern, ohne Badeklamotten versteht sich, die so sauber sind, dass das bisschen Wasser, dass man dabei unabsichtlich in die Nase bekommt, sicher eine gesundheitsfördernde Wirkung hat. Und trotzdem können wir uns hier nach einem Tag in der Natur abends einfach an einen gedeckten Tisch setzen und uns anschließend ins gemachte Bett legen.
Fjällnäs spielt in der Geschichte des schwedischen Fjälls eine ganz besondere Rolle – es ist das erste und älteste Berghotel des Landes. 1882 wurde es von dem Geschäftsmann Jonas Åslund gebaut. Damals war es der Rückzugsort für Mitglieder des Königshauses und betuchte Schweden. Mit der Zeit verblich der Glanz und Fjällnäs wurde zu einem traditionellen Gasthaus. Doch vor einigen Jahren erwachte das Haus aus seinem Dornröschenschlaf. Der Finanzinvestor Lars Bertmer kaufte Fjällnas und verwandelte es in ein exklusives Resort. Für 80 Millionen Kronen wurde der gesamte Gebäudekomplex ausgebaut und renoviert. Auch die Einrichtung wurde erneuert. Aus dem alten Berggasthof wurde so ein Berghotel der Spitzenklasse. Zwei beeindruckende Gebäudeflügel, eine luxuriöse Spa-Anlage direkt am Wasser sowie eine ökumenische Kapelle für Konzerte und Hochzeiten wurden von der Architektin Fanny Sachs entworfen.
Internationales Medienecho
Das alte Hauptgebäude mit dem Speisesaal, der Bar und dem Salon sind ebenfalls umgebaut worden – für die Inneneinrichtung zeichnete die Stararchitektin Shideh Shaygan verantwortlich: Helle Räume mit Schieferböden und handgemachten Textilien von Monica Tyréus. An den Wänden hängt ausgewählte Kunst und der Boden ist mit antiken persischen Teppichen ausgelegt. Die Möbel stammen von namhaften Designern wie Carl Malmsten und Bruno Mathsson – geschmackvoll bis ins letzte Detail. Für uns als Gäste bedeutet diese Kulisse, dass wir das Fjäll hier auf eine ganz besondere Art erleben. Der schöne und nur schwer zu überbietende Kontrast von Luxus und Wildnis, Weltklasse-Design und unberührter Natur, von Komfort und Einfachheit, Äußerlichkeiten und Abenteuer ist eine einmalige Kombination – und ein Konzept, das auch in der internationalen Presse für Aufmerksamkeit gesorgt hat.
Vor einigen Jahren landete das kleine Fjällnäs auf einem sensationellen siebten Platz auf der Liste mit den angesagtesten Reisezielen der New York Times. Auch das Reisemagazin Condé Nast Traveller hat Fjällnäs in den höchsten Tönen als eines der »topaktuellsten Hotels der Welt« gelobt. Als wir uns nach der Wanderung ins Außenbecken der Spa-Anlage begeben, wundert uns das auch gar nicht mehr. Und bald schon werden noch weitere unserer Sinne eine Sensation erleben.
Kultivierter »After walk«
Das Dinner wird im Speisesaal serviert. Als Vorspeise gibt es Seesaibling-Tatar mit Sauergemüse, Mayonnaise und Saiblingkaviar. Das Hauptgericht besteht aus Rentier-Entrecôte mit Selleriecreme, Steinpilzen und gebackenen Mohrrüben. Joghurtpudding mit Armen Rittern und Blaubeeren runden das Geschmackserlebnis ab. Zu jedem Gang wird selbstverständlich ein passender Wein serviert. In Fjällnäs gilt die Devise, dass die Küche nur lokale Rohwaren verarbeiten darf. Das Kalb kommt aus Ljungdalen, das Rentierfleisch von den ortansässigen samischen Familien, der Fisch aus dem See vor der Haustür und Pilze, Beeren und andere Leckereien stammen aus der Vorratskammer der Fjälls – wo man sich nach dem Essen nur zu gerne noch auf einen kultivierten »After walk« begibt. Sämtliche Tische haben Fjällblick. Da kann man gar nicht anders.
Die Woche im Funäsfjäll steht auch in den nächsten Tagen ganz im Zeichen der Kontraste. An einem Tag wandern wir um das Hamrafjäll herum. Nirgendwo sonst wachsen in Schweden mehr verschiedenen Bergblumen als hier. Am Südhang schwelgen wir in einem Meer von blühenden Orchideen, nur um kurze Zeit später auf der anderen Seite des Fjälls von einem Regenschauer überrascht zu werden, der die Seen in einem magischen Schimmer erscheinen lässt. Am Tag darauf besteigen wir den Gipfel des Vaulddalshögda, wo auf dem Gipfel auch ein kleiner See ist. Dieser hat keinen äußeren Zufluss, sein Wasser stammt aus einer unterirdischen Quelle und hat eine konstante Temperatur von vier Grad. Trotzdem können wir es nicht lassen, in dieser Natur-Badewanne ein Bad zu nehmen – inklusive 360 Grad Panoramablick auf die Berggipfel der Umgebung. Noch so ein gut gehütetes Geheimnis, das nur eine Stunde vom Hotel entfernt ist.
Die Kunst des Genießens
Und in diesem Stil geht es weiter. Wir beobachten Rentiere aus nächste Nähe, essen gebratene Wildente mit Kastaniencreme und Apfeldressing, genießen den beeindruckenden Blick auf das Skars- und Helagsmassiv von Malmagsvålen aus, probieren Meereskrebse mit Schwarzwurzel, Multebeerensorbet und Cognac, baden in einem Wasserfall, schwitzen in der Sauna und gönnen uns eine Gesichtsbehandlung. Das wilde und das gute Leben gehen hier Hand in Hand.
Ich habe festgestellt, dass es uns Schweden oft schwerfällt, etwas zu tun, ohne dass es mit Leistung verbunden ist. Dies liegt in unserer Vergangenheit begründet. »Das lutherische Erbe« ist in Schweden ein eher negativ besetzter Begriff, der mit einer hohen Erwartungshaltung an sich selbst verbunden ist. Wir müssen uns in allem, was wir tun immer besonders auszeichnen. Einfach nur wandern geht nicht, man muss schon den gesamten Kungsleden in drei Wochen schaffen oder fünfzehn Gipfelbesteigungen in einer. Auf unserer Jagd nach Erlebnissen und Kicks riskieren wir daher, wichtige Dinge entlang des Weges zu übersehen: Zum Beispiel sich Zeit zu nehmen, neue Sinneseindrücke in sich auf- und anzunehmen. Wenn wir im Fjäll ein geruhsameren Tempo einschlagen, öffnen sich unsere Sinne für einen intensiveren und stärker spürbaren Kontakt mit der Natur und uns selber. Man muss nicht zwanzig Kilometer pro Tag mit einem dreißig Kilo schweren Rucksack zurücklegen, um glücklich sein zu dürfen. Ein paar Stunden wandern tun es auch. Diese Philosophie funktioniert hier im Funäsfjällen besonders gut, wo die Landschaft zum Großteil aus Urgestein besteht und die Täler weniger tief und die Berge weniger steil sind. Was wiederum dazu führt, dass man schnell und ohne große Anstrengungen in die unberührte Natur kommt. Und dort hat man einen kilometerweiten Blick über sanfte Hügelketten und Berggipfel.
Fjällnäs liegt auf 800 Metern Höhe, direkt an der Baumgrenze. Man hat das Gefühl, dem Himmel ganz nah zu sein – sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinn, denke ich, als ich mir am letzten Tag noch eine Anwendung im Spa, das »Mii gullo« heißt, gönne. Eine Ganzkörpermassage mit heißen Specksteinen steht auf dem Programm. Schritt für Schritt werde ich entspannter, bis ich mich in einem Grenzland zwischen Traum und Wirklichkeit befinde. Als ich ein wenig später ins Spa-Becken hineingleite und sehe, wie sich der Himmel über den Berggipfeln rosa verfärbt, merke ich, dass der Traum Wirklichkeit ist. »Mii gullo« bedeutet übrigens »Wie geht es dir?« auf Samisch. Was für eine unnötige Frage.