Mission Possible
Einfach nur Norwegens Küste mit dem Kajak entlang zu paddeln, war Sören Kjellkvist zu einfach. Also ließ er das Portmonaie zu Haue und lebte 83 Tage von dem, was Menschen und Meer ihm boten.
Die meisten modernen Expeditionen werden mit umfassender PR-Arbeit begleitet. Der Grund dafür ist einfach: je höher die mediale Aufmerksamkeit ausfällt, desto besser fallen die Sponsorenverträge aus. Doch dass es nicht nur immer um Geld gehen muss, hat der schwedische Abenteurer Sören Kjellkvist nachdrücklich bewiesen. Er gehörte im letzten Jahr zu den gefragtesten Persönlichkeiten der schwedischen Presseszene. Für ihn ging es nicht um Sponsorengelder, sondern um eine Botschaft. Seine 2880 Kilometer lange Paddelexpedition in Norwegen war eine Art schwimmende Demonstration, um auf die fortschreitende Umweltzerstörung aufmerksam zu machen.
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»Einige halten dieses Thema für ausgelutscht. Doch ich bin der Ansicht, dass man gar nicht genug darüber reden kann, es ist schließlich eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit heute steht«, sagt er. »Mein Paddelprojekt ist außerdem ein Beispiel dafür, dass man nicht um die halbe Welt reisen muss, um spannende Abenteuer zu erleben. Es reicht, über die Grenze nach Norwegen zu fahren. Dort gibt es spektakuläre Natur in Hülle und Fülle. Das ist einfach phänomenal.«
Von Süden nach Norden
Am 26. Mai 2013 stach Sören Kjellkvist mit seinem Kajak in See. Von Strömstad in Schweden ging es nach Norwegen und dann die Küste entlang bis zur russisch-norwegischen Grenze – ohne Proviant und ohne einen Pfenning Geld in der Tasche. Er wollte zeigen, dass man auch ohne umweltschädliche Verkehrsmittel reisen kann. Und ohne Reisekasse. Seine Tour war ein Protest gegen die Wegwerfgesellschaft und gegen die zunehmende Umweltzerstörung im Ostseeraum.
Sören lebt mit seiner Familie in Knivtsa in der Nähe von Stockholm. Ein ähnliches Projekt entlang der schwedischen Küste wäre unmöglich gewesen: »In einem geschädigten Ökosystem wie wir es im Ostseeraum vorfinden, ist es schwer, ganz im Einklang mit der Natur zu leben.« Während seiner Paddelexpedition lebte er ausschließlich von dem, was die Natur zu geben hatte. Dass er von Süden nach Norden, und nicht umgekehrt unterwegs war, lag auch an ernährungstechnischen Überlegungen. Er wollte den Makrelenschwärmen folgen, die um diese Jahreszeit ihre Wanderung nach Norden beginnen. »Die Fische schwimmen sonst eigentlich nur bis Tromsø. Doch ich konnte auch in Mehamn, der nördlichsten Siedlung Europas, noch Makrelen fangen. Nie zuvor sind sie so weit nach Norden gewandert«, berichtet Sören. »Das zeigt, wie ernst es um unseren Planeten steht. Klimazonen verschieben sich, die Arktis schmilzt und die Nordostpassage ist in den Sommermonaten eisfrei.«
Kajak statt Büro
Die norwegische Küste entlang zu paddeln gehört zu den großen Kajakabenteuern er Welt. Karge Klippen, Windböen, Meeresströmungen, Gezeiten und Stürme, die vom Atlantik kommend auf die Küste treffen sind auch für erfahrene Paddler eine große Als er sich umdrehte, sah er einen riesigen Koloss von Wal.Herausforderung. Doch Sören war gut vorbereitet. Außer seinem Paddel Know-how hatte er eine gediegene Abenteurer-Ausbildung im Gepäck. Acht Monate lang hat er sich an der Haglöfs Adventure Academy auf seine Expedition vorbereitet. Jedes Jahr werden dort 15 Teilnehmer nach einem aufwendigen Bewerbungsprozess aufgenommen. Planung, Motivation, Überlebenstechnik und andere wichtige Fächer stehen auf dem Lehrplan. Jeder der Expeditions-Azubis plant gleichzeitig ein eigenes Projekt. Sören entschied sich für das norwegische Paddelabenteuer.
»Överleva norska kusten« (dt. die norwegische Küste überleben), so der offizielle Titel des Projektes bekam schon vor dem Start einiges an Aufmerksamkeit; Sören gewann das schwedische Stipendium »Årets Äventyr« (dt. Abenteuer des Jahres), das es ihm ermöglichte, sich beurlauben zu lassen und 83 Tage im Kajak zu verbringen. Seine Tage auf dem Wasser waren hauptsächlich von Einsamkeit, herausfordernden Wellen, allerlei Kontakt mit diversen Tieren und unerwarteten Begegnungen geprägt: Otter, die um sein Boot rumturnten und Tümmler, die ihn eine Weile begleiteten, waren eine willkommene Abwechslung. Nur einige Wochen nach dem Start erlebte Sören das vielleicht denkwürdigste Ereignis seiner Reise. An einem diesigen Tag, als der Regen schwer in der Luft hing und er nur 100 Meter Sichtweite hatte, hörte er plötzlich ein pfeifendes Geräusch hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er einen riesigen Koloss von Wal, der nur einige Meter von ihm entfernt im Wasser lag. Nach einer kurzen Sondierung der Lage tauchte das Tier wieder ab.
Wurde ihm von Einheimischen oder Touristen eine Mahlzeit oder ein Bett für die Nacht angeboten, nahm er dankbar an. Einige gaben im sogar ein wenig Geld mit auf den Weg, allerdings keine großen Summen. Insgesamt reichten die Spenden für vier Kilo Reis, Öl, Butter und Nudeln. An den meisten Tagen war es das Meer, das ihn mit Nahrung versorgte. Jeden Tag warf Sören für fünf bis zehn Minuten die Angel aus und fing mehr als genug. Auf die Frage, ob er jetzt keinen Fisch mehr sehen könne, antwortet er lachend, dass das nicht der Fall sei.
Schritt ins Ungewisse
Im Norden bot die Barentssee noch größere Herausforderungen. Die Wellen waren höher und wilder und die Strömung um einiges stärker. Als eine besonders große Welle das gesamte Boot zum Kippen brachte, wollte ihm die Eskimorolle partout nicht gelingen – trotz intensiven Trainings vor der Reise. Nach sechs Stunden auf dem Wasser war er einfach zu müde. »Ich musste dann eine Selbstrettung mit dem Paddelfloat (aufblasbare Wiedereinstiegshilfen, Anm. de.Red.). Dann musste ich erst mal das ganze Wasser abpumpen, das Boot war bis obenhin voll.«
Aber solche Ereignisse sind der Kern jeden Abenteuers: Unsicherheit und unvorhergesehene Ereignisse. Man muss jeden Tag den Schritt ins Ungewisse wagen. Auge in Auge mit der Natur zu sein, die eigenen Gedanken, aber auch praktische Herausforderungen gehören zum Programm. »Auf so einer Reise lernt man viel über sich selbst; man lernt seine Grenzen kennen, aber auch das eigene Leistungsvermögen. Man muss es immer wieder wagen, die eigene Komfortzone zu verlassen und die Angst auszuhalten. Das ist für mich der Inbegriff der Lebendigkeit«, sagt Sören.
Der schönste Station seiner Reise waren die Lofoten. Er zögert ein bisschen mit der Entscheidung für einen einzigen Ort, da er ganz Norwegen und seine Bewohner, für die das Leben im Freien eine Herzensangelegenheit ist, sehr schätzt. Doch die Lofoten waren einfach magisch.
Die Einsamkeit auf dem Wasser war manchmal nur schwer auszuhalten. Weil er aber vom Ziel seiner Reise überzeugt war, war er bis zum Ende der Reise motiviert. Aufgeben war keine Option. Auf seinem Blog veröffentlichte er jeden Tag einen Umwelttipp. Und jeden Tag zehn Stunden im Kajak zu sitzen, gab ihm ausreichend Die Tour umfasst lange und schwierige Passagen. Sören ist ein wenig nervös.Zeit zum Nachdenken: »Wir reden meistens vom Treibhauseffekt, wenn es um die Umwelt geht. Doch das ist eigentlich nur ein kleiner Teil des großen Problems. Mir wäre es lieber, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge wie Umweltgifte, Übersäuerung und Überdüngung richten würden. Es ist letztlich der gestörte Naturkreislauf, der das Ökosystem beeinträchtigt, und das hat zahlreiche Konsequenzen. Das weltweite Bienensterben ist nur ein Beispiel.«
Sören ist der Meinung, dass jeder die Pflicht hat, sich für eine Botschaft stark zu machen und für ihre Verbreitung zu sorgen. Nach seiner Rückkehr hat er daher in vielen Interviews vor allem Umweltfragen betont. Sein nächstes Abenteuer hat ebenfalls eine deutliche Botschaft: Am 7. Juni sticht er wieder in See. Dieses Mal von Stockholm aus, und in einem Ruderboot. Das neue Projekt trägt den Titel »Row to Russia for Equality« (dt. für die Gleichberechtigung nach Russland rudern). Von Schweden aus will Sören in einem Vagabond 4.7 über die Ostsee nach Russland rudern. Das gewählte Modell ist laut Sören die einzige mögliche Alternative auf dem schwedischen Markt. Es ist speziell für Rudertouren auf offenen Gewässern konstruiert und kann auch hohen Wellen und Wind Stand halten: Ein im Prinzip unsinkbares Ruderboot mit eingebauter Selbstleerung, das mit einem Rollsitz ausgestattet ist, der die optimale Ausnutzung der Beinkraft ermöglicht.
Die Tour umfasst lange und schwierige Passagen. Sören ist ein wenig nervös, aber so soll es auch sein, meint er. Man muss die wirklichen Ausmaße so eines Abenteuers verinnerlichen. »Ich werde auch dieses Mal meine Geldbörse zu Hause lassen, weil ich nochmals zeigen will, dass man auch als Ökotourist ohne negative Klimaeinflüsse reisen kann. Ich werde mich bei allen meinen Abenteuern nur mit Hilfe der Natur und meinen eigenen Kräften vorwärts bewegen«, erzählt er. Dieses Mal wird er aber Proviant mit an Bord nehmen. Denn nur von dem, was die Ostsee hergibt, kann man nicht überleben.
Alles riskieren
Es geht bei seiner nächsten Expedition aber um eine andere Botschaft als in Norwegen: »Ich mache diese Rudertour, um auf den Unterschied zwischen den Geschlechtern hinzuweisen, der immer noch Teil unserer Wirklichkeit ist. Alle Menschen sollten eigentlich Feministen sein. Dass es Menschen gibt, die nicht für Gleichberechtigung sind, ist für mich unbegreiflich. Ein Feminist ist in meinen Augen jemand, der nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau strebt. Wie kann man behaupten, kein Feminist und gegen dieses Ziel zu sein?« Sören fordert vor allem eine strengere Gesetzgebung bei Vergewaltigungen. »Dass ein Nein ein Nein ist, ist für die meisten Menschen selbstverständlich. Doch leider ist das im schwedischen Rechtswesen überhaupt nicht selbstverständlich. Unsere Gesetzgebung auf diesem Gebiet ist ziemlich vorsintflutlich«, sagt er.
Für Sören ist dies eine wichtige Angelegenheit. Der Abenteurer ist ausgezeichnet informiert – und wütend. Er berichtet von mehreren aktuellen Fällen, bei denen die Täter vor Gericht freigesprochen wurden. Und um auf diese himmelschreiende Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, will er bis nach Russland rudern. »Für mich besteht der Sinn des Lebens darin, dass man es wagt, alles zu riskieren. Solange, bis ich meine Ziele erreicht habe.«