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Im Neoprenanzug zwischen 26 Inseln des Stockholmer Schärengartens 65 Kilometer querfeldein rennen und zehn Kilometer durch die Ostsee kraulen: Der Wettkampf »ÖTILLÖ Swimrun World Series« zählt zu den härtesten Ausdauerevents der Welt.
Inselhopping auf Schwedisch
Auf einer Stoffserviette in Schärengartenoptik scheinen die Inseln Utö und Sandhamn nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Vier Schweden, die an diesem Sommerabend im Gasthaus auf Utö schon etwas tiefer ins Glas geschaut haben, messen auf dem Stück Stoff grob zehn Zentimeter und beschließen eine Wette. In Zweierteams wollen sie die Distanz sowohl laufend als auch schwimmend zurücklegen und dabei in jeder auf dem Weg liegenden Kneipe einkehren. Das Verlierer-Team zahlt Hotel, Abendessen und Getränke in Sandhamn. Was auf der Serviette als locker machbar erscheint, entpuppt sich in der Wirklichkeit als eine ziemlich harte Herausforderung: 26 Inseln müssen auf dem Weg überwunden werden, 65 Kilometer an Land und 10 Kilometer im Wasser.
Tatsächlich setzen die Wettabenteurer ihren Plan in die Tat um. Nach über 24 Stunden erreichen sie zum Umfallen erschöpft ihr Ziel in Sandhamn. Der Kneipenbesuch muss allerdings verschoben werden, keiner hat mehr Kraft für abendliche Vergnügungen.
Mit Luftmatratze über die Ziellinie
Als der Stockholmer Ausdauerathlet Michael Lemmel und sein Teampartner Mats Skott von dieser ausgefallenen Wette erfahren, sind sie sofort begeistert. Die beiden Profis nehmen Kontakt zu den Wettkämpfern auf, legen eine exakte Strecke über Land und Wasser fest und rufen 2006 den ersten offiziellen »ÖTILLÖ Swimrun« ins Leben.
Lediglich elf Teams wagen sich vor elf Jahren an den Start. Die Teilnehmer sind hauptsächlich Freunde und Bekannte von Michael und Mats, die von den beiden mit Engelszungen überredet werden, an dem Event teilzunehmen, um den »ÖTILLÖ« in Schweden und international bekannt zu machen. Damals herrscht unter den Wettkämpfern die Überzeugung, dass die Distanz ohnehin kaum, und ohne Hilfsmittel schon einmal gar nicht zu schaffen sei. Die Teilnehmer dürfen alles mitnehmen, was sie während des Swimruns irgendwie tragen und wieder mit ins Ziel bringen können. Der Finne Petri Forman und sein Teampartner schnallen sich Luftmatzratzen auf den Rücken, um die Wasserstrecke paddeln im Liegen zu überwinden. Am Start werden sie noch belächelt, schaffen es dann aber als Erste über die Ziellinie.
War es 2006 noch schwierig, überhaupt Sportler für diese Art des Wettkampfs zu motivieren, gewinnt der »ÖTILLÖ« im Laufe der Jahre mehr und mehr an Popularität. Heute kämpfen bis zu 700 Teams um die 120 Startplätze der Stockholmer Veranstaltung. Und kein Schärenbewohner zwischen Sandhamn und Utö wundert sich mehr darüber, dass am ersten Septembermontag in jedem Jahr 240 Menschen aus aller Welt in Neoprenanzügen durch ihre Gärten und Hinterhöfe schnellen, um wenige Minuten später amphibienartig in die Ostsee zu gleiten und sich zum nächsten Eiland durchzuschlagen.
Natur vor Zeit
Auch André Hook und Wolf Grohé aus Hamburg sind seit 2014 ambitionierte »ÖTILLÖ«-Schwimmläufer. »Das unglaublich faszinierende am Swimrun ist, dass wir während des gesamten Wettkampfs in der freien Natur sind«, sagt André. »Dank der abenteuerlichen Streckenführung gelangt man an Orte, die man sonst vielleicht niemals in seinem Leben entdeckt hätte. Der Mix aus felsigen Klippen, wilden Sandstränden, Waldpfaden und der klaren Ostsee ist unglaublich. Wir nehmen uns während des Rennens immer wieder Zeit, die unberührte Landschaft um uns herum in uns aufzunehmen und zu genießen«.
André und sein Schwager Wolf sind Mitglieder im Triathlonverein, nehmen regelmäßig an Wettkämpfen für Langstreckenschwimmer, Marathons und Supermarathons teil und sind auch schon zu Fuß von München über die Alpen nach Venedig gewandert. Als sie 2013 zufällig vom »ÖTILLÖ« erfahren, wollen sie unbedingt dabei sein. »Als Swimrun-Anfänger hatten wir damals die falsche Ausrüstung dabei und viel zu wenig Erfahrung«, erinnert sich André.
Auch 2015 müssen die beiden mittlerweile routinierten Athleten Stürze und Materialschäden hinnehmen. Beim Borås-Swimrun haben sie mit viel zu kaltem Wasser zu kämpfen. Aber sie geben nicht auf. »Ein großer Unterschied zu anderen Wettkämpfen, wie beispielsweise dem Triathlon, ist, dass man kaum Rivalität unter den einzelnen Swimrun-Teams spürt. Wenn man ein anderes Team überholt, kommt es nicht selten vor, dass jemand einem auf die Schulter klopft und etwas Motivierendes hinterher ruft. Man entschuldigt sich für ungewollte Tritte im Wasser, klopft sich gegenseitig den Staub vom Neoprenanzug und freut sich, dass andere Menschen die Natur genauso genießen können, wie man selbst«, erzählt André.
Geteiltes Leid und doppeltes Glück
Aus Sicherheitsgründen starten die Sportler beim Swimrun immer zu zweit. Die Teampartner dürfen einen Sicherheitsabstand von zehn Metern nicht überschreiten. »Man muss kräftetechnisch ungefähr auf dem gleichen Niveau sein und ähnliche Ziele haben, sonst funktioniert es nicht«, sagt André. »Im Winter trainieren wir im Schwimmbad, im Sommer im Meer. Nicht selten sieht man uns auch in Neoprenanzügen durch den Park joggen«, grinst der Sportler. Gewertet wird in »Mixed teams«, »Männer« und »Frauen«. Alle Teilnehmer müssen das benötigte Equipment den gesamten Wettkampf über bei sich haben. Wer Müll in die Landschaft wirft, wird disqualifiziert. Ein wasserdicht verpacktes Erste-Hilfe-Set, Neoprenanzüge, ein Kompass sowie eine Trillerpfeife pro Person gehören zur vorgeschriebenen Ausrüstung. Hilfsmittel sind weiterhin erlaubt. » Mit einem Abschleppseil kann man sich gegenseitig beim Laufen und Schwimmen ziehen. Im Wasser nutzen wir sogenannte Pullbuoys für den Auftrieb der Beine, um diese vom Laufen zu regenerieren. Und mit Hilfe von Paddles an den Händen verdrängt man beim Schwimmen viel mehr Wasser. Einige Spezialisten bohren sich auch Löcher in die Schuhe, damit das Wasser schneller raus läuft oder stopfen ihre Neoprenanzüge mit Luftpolstern aus, damit der Auftrieb beim Schwimmen noch stärker ist«, sagt André.
Beim Swimrun gibt es keine Wechselzonen. Es würde nur unnötig Kraft und Zeit kosten, sich ständig umzuziehen. Erschöpfung, Seekrankheit und Balanceverlust nach den langen Schwimmabschnitten sind bei den Teilnehmern keine Seltenheit. »Gerade am Ende der Distanz höre ich von Wolf häufig, dass ich gefälligst die Klappe halten soll«, schmunzelt André. »Und irgendwas passiert immer. Mal verliert man ein Paddle, mal ist der Pullbuoy weg. Noch tiefer im Keller ist die Stimmung, wenn man eine Abzweigung verpasst hat und feststellt, dass man in die falsche Richtung läuft. Aber am Ende sind wir beide doch sehr positive Menschen. Und es ist total schön, diese unbeschreiblichen Momente da draußen mit jemandem teilen zu können.«
Übrigens erreichten André und Wolf beim »ÖTILLÖ Swimrun World Championship« im September 2015 in Stockholm mit einer Zeit von 9 Stunden, 28 Minuten und 52 Sekunden den 8. Platz bei den Herren und Platz 9 in der Gesamtwertung. Herzlichen Glückwunsch!
Das Wettkampftagebuch der beiden findet ihr hier.