Alte Liebe
Die Sehnsucht führt NORR-Leserin Mona Moldovan zurück in ihr geliebtes Südnorwegen, wo sie durch grüne Täler
wandert, einsame Bergspitzen erklimmt und mehr als einen brennenden Grund findet, immer wiederzukommen.
Im letzten Sommer saß ich auf einer Bank an einem der schönsten Orte, den ich je gesehen hatte, im Dorf Flørli, mitten in der atemberaubenden Landschaft des Lysefjords in Südnorwegen. Ich spürte, wie mir schwer ums Herz wurde: Ich wollte nicht weg. Und so kam ich ein Jahr später gemeinsam mit Jessy, Quirin und Chris wieder, um auf alt bekannten und unentdeckten Wegen zu wandern.
Schlange vor der Kanzel
Mit der Fähre geht es in den Lysefjord, wo die Tour auf den Preikestolen, die vielleicht berühmteste Wanderung Norwegens, auf die jährlich etwa 300 000 Menschen starten, beginnt. Heute sind all diese scheinbar gleichzeitig unterwegs. Um den Massen, die für das beste Instagram-Foto vor der Steinformation, die der Kanzel eines Priesters ähnelt, Schlange stehen, zu entkommen, nehme ich die Abzweigung zu dem 714 Meter hohen Moslifjellet und bereue diesen Abstecher nicht eine Sekunde. Oben eröffnet sich eine 360-Grad-Sicht über Fjord und Wälder, die mir den Atem verschlägt. Als Entschädigung für einen Schauer, gerät mir ein Regenbogen vor die Linse.
Gemeinsam fahren wir weiter nach Lysebotn, Startpunkt für einen weiteren Hotspot: der Wanderung zum Kjerag, dem eingeklemmten Stein, 1 000 Meter über dem Fjord. In der Hoffnung, dass die Wetterbedingungen eine Wanderung zulassen, haben wir zwei Tage hier eingeplant. Die Prognose ist leider bescheiden: Am ersten Tag soll es sehr kalt und windig sein, am zweiten kräftig regnen. Wir machen uns direkt auf den Weg und spüren, wie es sich anfühlt, wenn der Wind einen fast wegweht. Auf den Stein steigen wir nicht. Es ist einfach zu kalt und rutschig. Stattdessen geht es zu unserem Schlafplatz, einem Bauernhaus im Tal mit Sauna in einer alten Scheune, in der wir unsere kalt gewordenen Glieder wieder richtig durchwärmen.
Das Schmerzhafteste an jeder Reise nach Norwegen ist für mich die Abreise
Wie angekündigt regnet es am nächsten Tag. Jessy, Quirin und Chris möchten nicht vor die Tür. Ich aber ziehe meine Regenklamotten an und spaziere durch das grüne Tal mit seiner reinen, nassen Luft. Am späten Nachmittag zeigt sich die Sonne am Himmel. Ich vergewissere mich, dass es noch lange hell bleibt und mache mich auf den Weg zu dem sehr einsamen Jenafjell. Der Pfad führt lange durch den Wald, dann an einem tosenden Bach entlang. Es ist immer noch nass, aber das ist mir egal. Ich will nur nach oben. In etwa vier Stunden treffe ich genau zwei Lebewesen: eine Frau mit einem Hund. Die Markierung ist dürftig und manche Stellen extrem rutschig. Schließlich erreiche ich den Gipfel des 819 Meter hohen Berges und die Sicht über den Fjord in der Abendsonne ist einfach magisch.
Nichts geschenkt
Der Bauer, bei dem wir übernachten fragt mich später, ob ich seine Schafe gesehen habe. Tatsächlich war ein Grüppchen irgendwo auf dem Jenafjell unterwegs, aber ich kann mich nicht recht erinnern wo, geschweige denn, dass ich ihm auf Norwegisch hätte antworten können. Offensichtlich muss ich an meinen Sprachkenntnissen feilen. Und das ist nicht mein einziger Grund, zurückzukommen. Die Zeit in diesem Land ist nicht bequem. Das Wetter ist launisch. Der Wind versucht einen heute vom Berg herunterzupusten, während man sich morgen einen Sonnenbrand holt.
Um die wilde, einsame Natur zu erleben, muss man mit viel Schweiß bezahlen.
Um die wilde, einsame Natur zu erleben, muss man mit viel Schweiß bezahlen. Norwegen schenkt einem nichts. Und trotzdem kann ich nicht anders, als immer wieder hier sein zu wollen. Im Wald, auf dem Berg, mitten im Nirgendwo. Zwischen den Wolken erscheint nach dem Regen der schönste Regenbogen. In einem glatten, kristallklaren Bergsee spiegeln sich eine Holzhütte mit Grasdach und Wolken. Es gibt bestimmt auch andere tolle Orte auf der Welt, aber ich persönlich habe nie etwas Schöneres gesehen. Das Schmerzhafteste an jeder Reise nach Norwegen ist für mich die Abreise.