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So laut ist die Stille

NORR-Leserin Katharina Kaufer findet sich, während sie durch die Moor-Nationalparks Südfinnlands wandert, in einem lautlosen, duftenden Land der Moomins und Bären wieder.

Katharina Kaufer hat sich auf einen herbstlichen Roadtrip durch Südost-Finnland begeben und Wanderungen durch die finnischen Moor-Nationalparks unternommen, die sie mit ihrer Stille auf besondere Weise berührt haben.

Auf einem Bohlenweg stehend, lausche ich ins Moor. Nichts. Ich versuche konzentrierter zu horchen. Kein Laut. Die Stille legt sich auf meine Ohren. Die Brutvögel haben den finnischen Patvinsuo-Nationalpark bereits Richtung Süden verlassen. Das Gras schimmert in Gelb. Nur selten fliegt ein Rabe über die offene Moorfläche des 105 km2 großen Nationalparks, in dem auch alte Kiefernwälder, Seen und Flüsse liegen.

Um mit dem Rucksack, der Utensilien zum Zelten und Essen enthält, nicht vom Bohlenweg zu kippen, wenn man in die Landschaft schauen will, muss man stehen bleiben. Oft halte ich inne, fasziniert von dieser weiten Landschaft und der Stille. Ich entdecke die Moosbeeren neben den Holzplanken. Wenn einem jemand entgegenkommt, muss man aneinander vorbei balancieren. Vielleicht trifft man sich einen Tag später wieder, wenn jeder seine Wanderrunde in entgegengesetzter Richtung vollendet hat.

Verschwundener See

Es gibt in Patvinsuo 20 Kilometer Bohlenwege und die Möglichkeit, den Nationalpark in zwei bis drei Tagen mit Rucksack und Zelt zu umrunden. Mittags bin ich am Parkplatz Suomu gestartet und komme nachmittags an der Raststelle Majaniemi an. Dazwischen liegt noch der hölzerne Aussichts- und Vogelbeobachtungsturm Teretinniemi. Zwischen den Kiefern ist am Ufer des Sees Koitere Platz für Zelte, daneben eine Feuerstelle und ein Trockentoilettenhäuschen. Es ist abends noch schön warm für ein Bad im See. Tief ist das Wasser nicht, ich bin ein ganzes Stück vom Ufer entfernt und lege mich flach auf den sandigen Grund. Es geht kein Wind, die Wasseroberfläche ist spiegelglatt. Von den anderen Wanderern hört man leise Stimmen und das Knacken des Feuers. Später setze ich mich vor das Zelt und warte, bis es dunkel wird. Dann geht der hell leuchtende Abendstern über dem See auf und spiegelt sich im Wasser. Ich fühle mich behütet und schlafe ein.

Am nächsten Morgen ist der See verschwunden. Erst als die Sonnenstrahlen durch den Nebel dringen und ihn auflösen, glitzert das Wasser wieder blau. Weiter geht es in westliche Richtung zum Fluss Nälmänjoki. Dort kommt man nur mit einer Seilfähre hinüber, einer Art Floß, auf dem man sich über ein Tau zum anderen Ufer zieht. Zwischen den Moorflächen liegt ein Wunderland aus Beeren: Unmengen an Preiselbeeren, Heidel- und schwarze Krähenbeeren sorgen beim Wandern für ausreichend Vitamine. Auf der 19 Kilometer langen Tagesetappe zurück nach Suomu befinden sich zwei weitere Zelt- und Rastplätze. An letzterem überquere ich den Fluss erneut, diesmal über eine Brücke. Durch lichten Kiefernwald wandere ich zum Uferweg des Suomunjärvi. Durch die Bäume hindurch sehe ich ein Boot weiter hinten auf dem See lautlos über das Wasser gleiten. Eine Person rudert, die andere sitzt gegenüber. Die geräuschlose, fast magische Szene erinnert mich an die Geschichten in den Muminbüchern von Tove Jansson.

Das Wasser im See ist flach und der sandige Grund ist klar sichtbar. Platz für Zelte und eine entspannte Kaffeepause gibt es am Rastplatz Suomu.

Der Geruch von Bären

An einem großen Zeltplatz mit Feuerstelle, einer Badebucht und Brunnen für Trinkwasser am See stelle ich mein Zelt auf und lasse mir den Kaffee schmecken. Am Morgen packe ich die Zeltutensilien ins Auto. Dabei spricht mich ein älteres finnisches Ehepaar an. Die Frau erzählt mir, dass sie fischen waren und wieder viel zu viel gefangen hätten. Das müssen die beiden gestern in dem lautlosen Ruderboot gewesen sein, denke ich mir vergnügt.

Mit dem Tagesrucksack breche ich zur 15-Kilometer-Runde um den Suomujärvi auf. Sie führt am Seeufer auf kleinen Pfaden entlang, vorbei an drei weiteren wunderschönen Plätzen zum Zelten, Rasten und Baden. Heute ist es jedoch ziemlich windig, und für das Bad im See ist es mir zu kühl. Kurz hinter dem Rastplatz Pokkaniemi steht auf einem Schild, dass in dem Gebiet bei Virtaniemi Bärengeruch festgestellt wurde. Vorsichtshalber ziehe ich meine Kaffeepause vor. Anders als in Nordamerika haben in Skandinavien die Bären nicht gelernt, sich von Abfällen zu ernähren, und kommen Menschen normalerweise nicht zu nah. Man sollte jedoch trotzdem immer aufmerksam unterwegs sein und Essen nicht offen herumliegen lassen. Das nächste Wegstück wandere ich also etwas angespannter, nehme aber keinen besonderen Geruch wahr.

Entlang der Bohlenwege gibt es jede Menge Beeren, die für ein buntes Fabenspiel im Moor und die nötige Vitaminzufuhr beim Wandern sorgen

Moosbeeren und Rosmarinheide

Mein nächster Stopp ist der Valkmusa Nationalpark, der mich mit dem betörenden rosmarinartigen Duft von Sumpfporst empfängt. Zusammen mit Rausch- und Heidelbeeren wächst er dort flächendeckend unter den Kiefern. Es nieselt leicht, und die feuchte Luft verstärkt den Geruch noch. Auf der 2,3 Kilometer langen Runde komme ich an einem hölzernen Aussichtsturm vorbei und entdecke am Wegesrand Moosbeeren, Sonnentau und Rosmarinheide. Torronsuo, mein letzter Halt, ist Finnlands tiefstes Moor. Ich folge einem Rundweg von acht Kilometern über viele Holzbohlen. Zwei Aussichtstürme bieten weite Sicht, und Feuerstellen mit Laavus laden zum Grillen ein. Auch hier verströmt der Sumpfporst seinen würzigen Duft. Ich lasse mich kurz nieder, lausche ins Nichts und lasse Revue passieren. Die Stille, Weite und Ruhe haben mich auf ganz besondere Weise berührt.

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