Reise mit dem Wind
Mit Segeln und Surfboards bepacken die NORR-Leser Katrin Backer und Dennis Müller ihren alten Bulli und begeben sich auf der Suche nach einer frischen Brise quer durch Norwegen.
Wenn es weht, sind wir da. Denn auf der Jagd nach den besten Winden und mit dem Ziel, möglichst viel Zeit auf dem Wasser zu verbringen, touren Dennis und ich fünf Wochen lang mit unserem Bulli durch Skandinavien. Immer mit dabei sind das Windsurfmaterial von Dennis, unsere aufblasbaren Stand-Up-Paddle-Boards und, für windstille Tage, unsere Mountainbikes. Unsere Reiseroute haben wir nur sehr grob geplant. Vielmehr wollen wir uns einfach treiben oder pusten lassen. Der Wind lockt uns zunächst entlang Schwedens Westküste über Göteborg bis nach Oslo, wo Dennis immer wieder erstklassige Windsurfbedingungen erwischt und sich stundenlang auf dem Wasser austobt.
Unser nächster Stopp aber hat nicht nur für meinen windsurfverrückten Lebensabschnittsgefährten, sondern auch für mich etwas ganz Besonderes parat: Angekommen in Øvre Årdal, parken wir den Bulli vor einem türkisblauen Bergsee, umgeben von riesigen Felswänden. Direkt wird wieder das Windsurfmaterial aufgebaut, aber für den nächsten Tag haben wir einen Ausflug ohne Segel geplant. Ganz in der Nähe befindet sich der Vettisfossen, der höchste Wasserfall Norwegens. 275 Meter fällt er in die Tiefe. Mit unseren Mountainbikes fahren wir die Berge bis zu dem Wanderweg hoch. Unterwegs begegnen wir einigen Wanderern, die wohl zum Sonnenaufgang am Vettisfossen waren. Die rauschenden Wassermassen in dieser idyllischen Landschaft sind unglaublich beeindruckend.
Wandernde Schafe auf kargen Gipfeln
Die Tage sind frisch und der Weg führt über eine schöne Küstenstraße, die sich an einer Bergwand entlang immer weiter nach oben schlängelt. Ihre Haarnadelkurven bieten uns einen herrlichen Blick auf den Fjord. Schafe spazieren in kleinen Grüppchen an uns vorbei und betrachten verwundert unseren fahrbaren Untersatz. Weiter Richtung Norden geht es, auf Augenhöhe mit kargen Gipfeln und fluffigen Wolken, über unzählige steile Bergpässe, die die Bremsen unseres Bullis auf die Probe stellen.
In den kleinen Dörfchen ziehen sich die Hausnummern fortlaufend bis in die Tausender. Dennis und ich machen uns einen Spaß daraus, diese akribisch durchzuzählen. 2 000 Kilometer durch Norwegen haben wir nun zurückgelegt, um an den Geirangerfjord zu gelangen.
Nordwärts steigen die Höhenmeter auf 1 800. Die Landschaft ist schneebedeckt. Das Thermometer im Bulli zeigt vier Grad und der Nebel wird immer dichter. Wir wandern die Pfade am Jotunheimen-Nationalpark entlang und der Schnee verleitet uns zu einer Schneeballschlacht, bis wir unsere Hände kaum noch spüren. Langsam wird die Sicht klarer und hinter dem Bergsee Juvvatnet taucht Galdhøpiggen – der höchste Berg Skandinaviens – auf. Wir atmen die kühle Luft ein und denken beide an etwas Verrücktes.
Bergspitzen und grüne Wildnis
Wahrscheinlich wärmt uns die Vorfreude, als wir in die Neoprenanzüge schlüpfen. Dennis und ich pumpen die Stand-Up-Paddle-Boards auf und laufen zum See. Die Füße frieren bereits auf dem Asphalt. »Ganz vorsichtig aufs Brett steigen. Jetzt bloß nicht ins Wasser fallen«, sind meine einzigen Gedanken. Dann paddeln wir auf die riesige Gletscherwand zu, unter uns eiskaltes klares Wasser. Wie mächtig doch der Gletscher aus nächster Nähe wirkt. Dieser Moment fühlt sich an wie pures Abenteuer.
Später im Bulli wird es zum Glück schnell warm. Wir machen uns auf den Rückweg, denn die Nacht ist zu kalt, um in den Bergen zu übernachten. An den kristallklaren Gebirgsseen können wir uns einfach nicht sattsehen und noch nie zuvor haben wir so viele Wasserfälle entdeckt, eingerahmt von Bergspitzen und grüner Wildnis. Jeden Abend suchen wir uns einen neuen Schlafplatz, kochen in freier Natur und genießen die Stunden bis weit nach Sonnenuntergang, bevor wir irgendwann auf die Matratze in unserem Bulli klettern und den Wetterbericht checken. Für die nächsten Tage meldet die Wettervorhersage starken Wind rund um Stavanger. Wenn man mit einem Windsurfsüchtigen reist, weiß man genau, dass sich die Route schlagartig ändern kann, sobald irgendwo auch nur die geringste Chance besteht, bei einer überaus kräftigen Brise über das Wasser jagen zu können. So treibt uns der Wind zurück in den Süden. Als wir am nächsten Tag den Surfspot in Stavanger erreichen, sind bereits die ersten Surfer im Wasser. Während Dennis sich die stürmischen Wogen mit Norwegern teilt, mache ich es mir in unserem Bulli gemütlich, lege die Füße aufs Armaturenbrett und lese in einem Buch weiter. Der Sturm lässt den Nieselregen mit voller Wucht an die Windschutzscheibe schlagen, während ich keinen Deut neidisch auf Dennis bin, der dort draußen klitschnass zwischen den Wellen tobt.
Nicht enden wollende Abenteuer
Die nächste Autofähre bringt uns in die norwegische Provinz Rogaland. Hier befindet sich eine der spektakulärsten Felsplattformen in ganz Norwegen: der Preikestolen. Die Wanderung zählt zu den beliebtesten des Landes und die Aussicht auf den Lysefjord ist unheimlich eindrucksvoll. Durch die Nebensaison ist es einfach, einen kostenfreien Parkplatz zu finden. Die ersten Anstiege radeln wir mit den Mountainbikes. Der weitere Weg fordert uns zu Fuß über Wald- und Steinwege, hölzerne Brücken, vorbei an Felswänden und entlang steiler Abhänge. Dann stehen wir auf der Felsplattform des Preikestolens mit atemberaubendem Ausblick auf den Lysefjord und um ihn herum eine steile, graue Felslandschaft, bewachsen mit dunklem Moos.
Ein weiteres Naturphänomen ist der spektakuläre Felsvorsprung Trolltunga, der wohl gehypteste Instagram-Hashtag Norwegens. Auch wenn dieser ein ganzes Stück weiter nördlich liegt, wollen wir erfahren, was es mit dem steinigen Social-Media-Star auf sich hat. Zum Sonnenaufgang schockt uns als erstes die Parkgebühr von umgerechnet 50 Euro. Bei der Wanderung handelt es sich um einen anspruchsvollen Tagesmarsch von 28 Kilometern. Die ersten 400 Höhenmeter können mit dem Taxi kraftsparend erleichtert werden. Danach ist die Wegstrecke das Ziel. In unberührter Natur, vorbei an Seen und Schneerändern löst sich langsam der Seenebel über dem Fjord. Gespannt nähern wir uns der Menschentraube und haben es geschafft. Mit leicht wackeligen Beinen posten wir ein Foto von uns auf der Trollzunge, mit über 700 Meter freiem Fall, Adrenalin pur. Und wissen in diesem Moment einmal mehr, warum wir uns wünschen, dass unsere Abenteuer nie enden werden.