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Zurück zur Kreativität

Sabrina Lieb ist aufgebrochen, um auf einer Pferdefarm in Dänemark zu arbeiten. NORR will wissen, was sie erlebt hat und welche Weisheiten sie mitnehmen konnte.

Wie bist du darauf gekommen, deine Zelte in Dänemark aufzuschlagen?
Der ursprüngliche Auslöser war eine Not. Ich war über zehn Jahre in der Kunst- und Kreativbranche selbstständig – als Texterin, Fotografin und Künstlerin. Durch Corona brach nach und nach alles weg. Das war sehr schmerzhaft. Eine ganze Zeit lang habe ich versucht, meine Existenz zu retten. Doch irgendwann war der Punkt der Resignation erreicht. Ich wollte nur noch raus aus dem Kopf und rein in körperliche Arbeit. Da ich schon immer einen starken Bezug zu Pferden hatte und eine tiefe Herzverbindung zum Norden, habe ich mich für ein Praktikum auf einem Pferdehof auf Ærø beworben. Ich war zuvor noch nie in Dänemark. Der Pferdehof befindet sich in Tranderup auf der Insel Ærø, die rund 6 000 Einwohner hat. Die Entscheidung traf ich aus dem Bauch heraus.

Sabrina Lieb hat auf Ærø zurück zu ihrer Kreativität gefunden. Heute lebt sie wieder in Deutschland, kann sich aber durchaus vorstellen, einmal ganz nach Dänemark zu gehen. In ihrem kleinen Shop Longsom bietet
sie Bilder und Keramiken an.
longsom.de

Was waren deine täglichen Aufgaben?
Gemeinsam mit einer weiteren Praktikantin war ich für die Versorgung und Bewegung der Pferde sowie landwirtschaftliche Aufgaben zuständig. Der Tag begann um 8 Uhr mit der Fütterung der Tiere. Dann ging es ans Misten, Pferde auf die Koppel lassen, den Reitunterricht vorbereiten. Wir erledigten auch viele kleine Arbeiten, die auf einem Hof anfallen. Der Tag endete mit der letzten Hofrunde gegen 21 Uhr. Für unsere Arbeit bekamen wir Kost und Logis sowie Reitunterricht. Im Anschluss habe ich bei einer Keramikerin auf Ærø gewohnt, die mir das Handwerk an der Drehscheibe nähergebracht hat. Das war schon lange ein Traum von mir. Dann war ich noch auf Omø, einer Insel mit gefühlt genauso vielen Rehen wie Einwohnern.

Was waren die größten Herausforderungen für dich?
Bei der Arbeit auf dem Hof war es tatsächlich das Durchgetaktete und Fremdbestimmte. Durch meine Selbstständigkeit war ich zwar daran gewöhnt, meinen Tag gut zu strukturieren, jedoch nicht daran, dass dies jemand anderes für mich übernimmt. Ich habe gespürt, dass ich meinen Rhythmus brauche, um in meiner Kraft zu bleiben. Wenn eine Arbeit antizyklisch zu meinem eigenen Rhythmus ist, erschöpft mich das sehr. Ich denke, es ist wichtig, dass wir unseren Arbeitsrhythmus an unseren Lebensrhythmus anpassen anstatt – wie es üblicherweise der Fall ist – umgekehrt.

Bodenständige Pferdearbeit ist das perfekte Pendant zur Kreativität.

Wie würdest du das Lebensgefühl in Dänemark beschreiben?
Die Natur und die Weite empfand ich als unglaublich befreiend und erdend. Dänemark ist ein Ort des Durchatmens. Ich hatte das Gefühl, dass die Dänen wesentlich naturverbundener sind und sehr viel Sinn für Achtsamkeit, Nachhaltigkeit und Slow Living haben. Zudem hatte ich den Eindruck, dass sie anderen Menschen viel mehr Vertrauen schenken. In Deutschland muss man sich das oft hart erarbeiten. Dort war es einfach da. Manchmal ab der ersten Minute. In dieser offenen und wohlwollenden Haltung habe ich
mich sehr zu Hause gefühlt.

Was hat dir an deinem Leben in Dänemark am besten gefallen?
Dass ich mir in einer persönlichen Krisensituation etwas geschenkt habe, das mich so nachhaltig und positiv bereichert hat. Ich bin dort vielen Menschen begegnet, die mir so nah wurden, dass ich sie heute zu meiner Wahlfamilie zähle. Die Weite, in die man einfach loslaufen kann und
das Meer haben meinem Geist sehr gut getan. Wenn du morgens Wellen, Vögel und raschelnde Baumkronen statt Autolärm hörst, merkst du erstmal, wie akustisch vollgedröhnt du in deinem Leben warst. Und wenn du abends ans Meer gehst, dich auf einen Stein setzt und die Wellen beobachtest, dann schenkt dir die Natur so viel Kraft und Ästhetik. Für mich war das von unschätzbarem Wert.

Welches Erlebnis ist dir am stärksten in Erinnerung geblieben?
Der Moment, als über mir Hunderte von Kranichen hinwegflogen. Einen solch riesigen Schwarm hatte ich noch nie im Leben gesehen und sie waren so tief, dass ich den Windstoß ihrer Flügelkraft im Gesicht spürte. Ich war so überwältigt und voller Demut, dass ich sehr heftig weinen musste.

Die Kunst ist ein wichtiger Teil in Sabrinas Leben. In Dänemark konnte sie neue Energie sammeln.

Was vermisst du am meisten?
Die Ruhe, den Wind, die Rufe der Kraniche, die Ästhetik der Rehe auf Omø, Gundis Keramikwerkstatt mit Blick aufs Meer und meine Wahlfamilie.

Würdest du nach Dänemark ziehen?
Absolut. Ich würde mir jedoch jemanden wünschen, der diesen Traum mit mir teilt. Vielleicht auch im Rahmen eines Hofprojektes. Man kommt einfach besser durch die Herausforderungen, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht und auch mal eine Schulter hat, an der man sich ausruhen kann. Um dann an anderer Stelle wieder selbst die treibende Kraft zu sein, wenn der andere einen Anschub braucht. Ich bin ein absoluter Teamplayer und ich liebe es, gemeinsame Projekte aufzubauen, Welten zu erkunden oder Räume zu ö­ffnen. Es scha­fft viel Verbundenheit, am Ende des Tages mit einem Glas Wein vor dem Haus zu sitzen und im Angesicht eines Gegenübers sagen zu können: »Das haben wir gut gemeistert. Was
sind wir doch für ein gutes Team.«

Was machst du aktuell?
Noch immer das Gleiche. Die Liebe zum Wort, zur Fotografie und zur Kunst konnten mir selbst diese wilden Zeiten nicht nehmen. Allerdings bin ich nun in Teilzeit angestellt und baue mir parallel meinen eigenen Shop Longsom auf, in dem ich meine Bilder und Keramiken verkaufe.

6 Tipps von Sabrina für ein Leben in Dänemark

1. Die Sprache lernen. Man kommt zwar mit Englisch durch, aber um die Offenheit der Dänen wertzuschätzen, mit denen sie uns deutschen Auswanderern begegnen, würde ich guten Willen zeigen.

2. Nicht nur im Kreise von deutschen Gleichgesinnten abhängen, sondern vor allem auch Freundschaften zu den dortigen Dänen aufbauen. Das ist der Schlüssel zur Integration.

3. Sich am Gemeinschaftsleben beteiligen und lokalen Gruppen beitreten. Gerade auf den kleinen Inseln braucht es Zusammenhalt.

4. Sich in Sachen Nachhaltigkeit, Recycling und Naturverbundenheit von Dänen inspirieren lassen.

5. Sich an dänischer Kunst erfreuen. Ich liebe das Louisiana Museum of Modern Art in Humlebaek.

6. Smørrebrød essen bis zum Umfallen.

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