Traum aus Treibholz
Entspannt auf einem selbstgebauten Floß zu treiben klingt so verlockend, dass NORR-Redakteur
Philipp Olsmeyer den Test wagt. Doch an den Ufern des Klarälvens warten besondere Herausforderungen.
Die Motivation
Die Floßfahrt auf dem Klarälven ist ein Klassiker. Die muss man einfach mal gemacht haben, wenn man den Norden und das Abenteuer liebt. Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon an den ikonischen Bildern selbst gebauter Holzplatt- formen hängen geblieben bin, die friedvoll, bepackt mit Kisten und entspannten Menschen Skandinaviens längsten Strom hinabtreiben. Und wie oft ich mir mich selbst darauf vorgestellt habe – mit Kumpels oder Kindern, glücklich und digital entkoppelt, im Einklang mit dem Fluss und Värmlands Wildnis.
Das Team
Jetzt ist es endlich so weit. In diesem Sommer habe ich das richtige Team gefunden, bestehend aus meiner Frau Ida, meinen Jungs Pelle und Henry, meinen »kleinen« Cousins Nils und Kai und deren Freundinnen Coco und Jana. Auch einen Floßhund haben wir dabei: Die rumänische Promenadenmischung Mala, bei der wir noch unsicher sind, wie sie wohl auf den schwankenden Untergrund und die Elche, Biber und Wölfe am Ufer reagiert, für die Värmland so bekannt ist.
Der Hintergrund
Der Klarälven ist Teil von Skandinaviens längstem Strom, der in den Bergen Härjedalens entspringt und bei Göteborg ins Kattegat mündet. Auf dem gut 400 Kilometer langen Abschnitt durch die waldreichen Regionen Hedmark (Norwegen) und Värmland (Schweden) hat die Flößerei lange Tradition. Vom 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier Holz mithilfe des Flusses transportiert. In den 70er Jahren rief man eine »Touris- musgruppe« ins Leben, die Ideen für den Fremdenverkehr entwickeln sollte. Ein Vorschlag war, in historischer Tradition Floßfahrten auf dem Klarälven zu veranstalten: die Geburtsstunde von Vildmark i Värmland, das heute ein- bis achttägige Holzfloßtrips anbietet.
Der Floßbau
»Sieht super aus. Ganz tolles Floß«, lobt Benno, Student aus Berlin und in den Semesterferien Floßbauinstrukteur bei Vildmark i Värmland. Genau das will man hören, nachdem man stundenlang Baumstämme ins Wasser gerollt und dort nach Bennos geduldig wiederholten Anweisungen mit einem endlosen Seil verknotet hat. Ein körperlich wie geistig recht anspruchsvoller Akt. Für unsere Gruppengröße brauchten wir zwei Plattformen, jede davon konstruiert aus drei Lagen drei Meter langer Stämme, die zu einem großen Floß verbunden werden. Rund zwei Tonnen wiegt der Holzkoloss. Wir haben das gute Gefühl, ein Stück Handwerkskunst geschaffen zu haben. Wie oft er so ein Kompliment verteilt, will ich von Benno wissen. »Immer! Immer positiv sein – das ist wichtig.«
Das Erlebnis
Dann geht es los. Wir setzen uns auf die Reling und paddeln mit gemeinsamen Kräften in die Hauptströmung. Dabei wird direkt klar, dass wir es hier nicht mit einem wendigen Seekajak zu tun haben und ein maximaler Truppeneinsatz für minimale Richtungsänderungen benötigt wird. Dieses Ding will nicht gesteuert werden. Es will einfach nur treiben und fordert von seiner Besatzung weitgehend Tatenlosigkeit. Das Aufregendste, was auf der rund 2 km/h schnellen Reise passieren kann, sind Sandbänke, an denen sich die Stämme festfahren, oder vom Ufer ins Wasser ragende Äste. Für solche Fälle gibt es eine Art Gondoliere-Stange zum Abstoßen. In Sachen Gepäck gibt es bei unserer schwimmen- den Plattform keine Grenzen: Kühlbox, Grill, Taschen, Campingausrüstung, Bag-in-Box, Schaumstoffmatratzen, im Schlepptau noch ein Kanu. Festival- Feeling mitten in Värmlands Wildnis.
Das Anlegen
Am späten Nachmittag wird es Zeit, für die Nacht »vor Anker« zu gehen. An den meisten von Bennos besten Tipps sind wir bereits vorbeigetrieben – mal weideten Kühe auf dem anvisierten Feld, mal sind uns andere Flößer zuvorgekommen, mal waren wir einfach zu spät dran oder zu faul, unsere träge Holzinsel aus der Strömung ans Ufer zu navigieren. Nils und ich fahren im Kanu vor und suchen nach einem geeigneten Platz für unsere Zelte. Irgendwann entdecken wir die perfekte Wiese, springen an Land und lassen uns von den anderen ein Seil zuwerfen. Eine naive Idee. Die Kraft von Holz und Strömung reißt uns mit einem harrschen Ruck von den Beinen in den Klarälven. Während wir ans Ufer kraulen, steuert Ida das Floß mit der Stange in die Böschung und vertäut es dort sicher an einem Baum.
Die Übernachtung
Auf den ersten Blick ist unser Zeltplatz ein Paradies: eine wunderschöne ebene Wildwiese mit hohem, weichem Gras, blühenden Sommerblumen und herrlichem Blick auf den Fluss. Ohne Kühe oder andere flößende Camper, dafür allerdings mit einer Unmenge surrender Störenfriede in der Luft. Mit einer Hand bauen wir unsere Zelte auf, während wir mit der anderen die Angreifer abwehren. Unter Mückenhüten, mit Lagerfeuer und Sprüngen in das schützendkühlende Flusswasser vertreiben wir uns den Abend. Am Morgen laden wir das Camp wieder aufs Floß und treiben die letzten Kilometer ins Ziel. Der Abbau dauert dank der pfiffigen Knotentechnik nur einen Bruchteil der Zeit. Die Stämme landen von selbst in einer Auffangschleuse, von wo sie wieder zu den Startpunkten zurücktransportiert werden.
Das Fazit
Insbesondere der Bau war ein tolles Gruppenerlebnis, bei dem wir trotz Anstrengungen viel Spaß hatten. Es empfiehlt sich aber, mindestens zwei Nächte zu bleiben, um richtig runterzukommen. Die Passivität auf der Plattform kann für bewegungfreudige Outdoor- Freunde zur Herausforderung werden. Insektenschutz ist unerlässlich – und beim nächsten Mal werde ich einen Zeitpunkt außerhalb der Mückenhochsaison wählen. Ansonsten bleibe ich dabei: Wer den Norden und das Abenteuer liebt, sollte einmal im Leben ein Floß bauen und sich treiben lassen.