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Mädchenpower auf Königsspuren

Lässt sich Langlaufski fahren mit Mitte dreißig lernen, um beim Vasaloppet zu starten? Diesen Test wagt NORR-Chefredakteurin Karen Hensel und nimmt an Schwedens traditionellem Rennen für Frauen teil.

Die Motivation

An einem verschneiten Wintersonntag schleppte mich eine Freundin nach Hellasgården, einem Naherholungsgebiet von Stockholm. Wir liehen uns Langlaufskier und wollten einen fünf Kilometer langen gespurten Rundweg bewältigen. Unter größter Anstrengung versuchte ich, die zuvor noch nie auf Skiern gestanden hatte, hektisch trapsend vorwärtszukommen und wurde dabei mehrmals von Fußgängern im Rentenalter überholt. Als ich mich schweißgebadet eine Anhöhe heraufgekämpft hatte und bangend vor der Abfahrt stand, musste ich mit ansehen, wie drei Langläuferinnen den Hügel mühelos mit wippenden Pferdeschwänzen im Stechschritt erklommen und galant hinabglitten. »Gutes Training für den ›Tjejvasan‹ (dt. Mädchenrennen)!«, hörte ich sie rufen, bevor sie verschwanden. Ich hingegen musste die Skier abschnallen und entwürdigend auf dem Hosenboden nach unten rutschen. Da setzte ich mir in den Kopf, nicht nur Langlaufski fahren zu lernen, sondern auch einmal an dem zu Schwedens traditionellem Skirennen Vasaloppet gehörenden Tjejvasan teilzunehmen.

Hintergrund

Der Legende nach wurde der erste Vasaloppet bereits 1521 von Gustav Ericsson bestritten, der in Mora versuchte, das Volk Dalarnas zum Aufstand gegen die dänische Besatzung zu gewinnen. Als ihm dies nicht gelang, floh er auf Skiern zur norwegischen Grenze. Als die Nachricht über das Stockholmer Blutbad, bei dem der dänische König Christian II. über 80 seiner politischen Gegner hinrichten ließ, nach Dalarna gelangte, änderten die Leute ihre Meinung und schickten zwei Skiläufer hinter Gustav Ericsson her, die ihn in Sälen fanden. Zu dritt begaben sie sich auf die 90 Kilometer von Sälen zurück nach Mora und der Befreiungskampf begann. Gustav Vasa wurde zum ersten schwedischen König gekrönt und Symbol des Vasaloppets, dem weltweit größten Skiwettrennen, das 1922 zum ersten Mal ausgetragen wurde. Der Tjejvasan, nur für Frauen, ist eine kürzere (und testosteronfreie) Version, von Oxberg nach Mora, und umfasst 30 Kilometer.

Vorbereitung

Ich kaufte mir gebrauchte Langlaufskier, Schuhe und Stäbe. Fortan nutzte ich jeden verschneiten Wintertag, um mir die Skier unterzuschnallen und rund um Stockholm auf gespurten Loipen mein Unwesen zu treiben. Im ersten Winter war mein Erfolg noch dürftig – der Hintern mit blauen Flecken gespickt und mit vernichtendem Muskelkater in den Beinen stellte ich die Skier etwas desillusioniert pünktlich zur Schneeschmelze weg. Als ich sie im zweiten Jahr erneut hervorkramte, lief es schon etwas besser. Mal ging es mit einer Thermoskanne und Zimtschnecken durch die Wälder, mal auf die stadtnahen Trainingsloipen. Mithilfe der unermüdlichen Tipps meiner schwedischen Freunde wurde mein hektisches Gewatschel langsam zu einem Gleiten. Auch den einen oder anderen Hügel traute ich mich hinunter. Im dritten Jahr war es dann so weit. Ich hatte mich tatsächlich für den Tjejvasan angemeldet. Dieser Winter allerdings entpuppte sich als weitgehend schneefrei. Das Training beschränkte sich auf das Gleiten in den kurzen Kunstschneespuren rund um Stockholm, umgeben von grünen Wiesen und inmitten eines Pulks aus tüchtig für den Vasaloppet trainierenden Profis.

Die Zweifel

Am Wettkampftag werde ich am Frühstücksbüfett unfreiwillig Mithörerin des Gesprächs dreier älterer Damen, die sich darüber auslassen, wie unmöglich es doch sei, Skilanglauf im Erwachsenenalter noch zu erlernen. Man müsse von Kindesbeinen an auf Skiern stehen, um sich dabei nicht alle Knochen zu brechen. Mein Löffel Haferbrei bleibt mir im Halse stecken. Eingetroffen am Startpunkt in Oxberg, dröhnt eine Stimme aus dem Mikrofon: »Mit Schnee vermengter Regen und Temperaturen von knapp über null. So nasses Wetter hatten wir in der Geschichte des Vasaloppets noch nie. Seid vorsichtig, es ist glatt.« Kurz überlege ich, ob es wirklich eine zu waghalsige Idee ist, mich bei diesen Bedingungen auf den Tjejvasan zu trauen.

Das Erlebnis

Als der Startschuss fällt, passiert nichts. Die Startergruppen sind groß und es vergehen Minuten, bis das Feld auf die Loipe vorgetrippelt ist. Hunderte Skier, die sich den vereisten Hügel hinaufkämpfen, klingen wie eine Invasion emsiger Kakerlaken. Einige fallen zu Boden. Es fühlt sich an, als würde man Wasserski fahren, so viel Flüssigkeit hat sich in den Loipen gesammelt. An den steileren Kuppen entstehen kleine Pulks von Teilnehmerinnen, die darüber beratschlagen, ob man es wagen kann, die schlittrige Abfahrt zu nehmen oder sich lieber die Skier abschnallen sollte. Die ersten steilen Hügel traue ich mich hinunter. Als ich dann eine kleine Blutlache erspähe, ist der erste Übermut vorbei. Hier und da kämpfe ich mich an jemandem vorbei und werde gleichzeitig immer wieder überholt. Aber es beginnt, richtig Spaß zu machen und ich genieße die Blicke auf rote Holzhäuser und grüne Nadelwälder. Nach 20 Kilometern setzt schlechte Laune ein. Die Reserven sind aufgebraucht. Ein Verpflegungsstand mit Blaubeersuppe und kleinen Zimtschnecken sowie trällernde Countrysänger sorgen für Schwung auf dem letzten Drittel. Kurz nach Eldris stehen Bauern an ihren Höfen, feuern uns an und geben Tipps für das bevorstehende Gefälle. Einmal falle ich lang auf die Erde und mir wird sofort von rettenden Händen auf die Füße geholfen. Dann ist sie in Sicht, die letzte Abfahrt vor Mora. Ich muss an meinen ersten Hügel in Hellasgården denken und sause die gar nicht mehr gruselig erscheinende Talfahrt ins Ziel.

Das Fazit

Der Tjejvasan hat trotz Nässe und Glätte unglaublich viel Spaß gemacht. Die Stimmung war fantastisch, wir haben uns gegenseitig angespornt, zugelächelt, Mut gemacht und zurück auf die Skier geholfen. Dass man fast alles schaffen kann, wenn man es nur probiert, ist der größte Schatz, den ich aus dem Vasaloppet mitnehme. Und ich kann jedem raten, es selbst einmal zu versuchen.

Der Langlauf-Event Vasaloppet (dt. Wasa-Lauf) in der schwedischen Provinz Dalarna findet seit 1922 unter dem Motto “In der Spur der Väter – für die Siege der Zukunft. (I fäders spår – för framtids segrar.)” statt. Die Vasalopps-Arena wird im Sommer auch Wandern oder Laufen (Vasaloppsleden) und Radfahren (Cykelvasaleden) genutzt.

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